Prozess:Mit Messer auf Ehefrau eingestochen - Mann hat Erinnerungslücken

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Der 67-Jährige hat der Polizei verschiedene Versionen von der Tat erzählt, vor Gericht schweigt er nun. Und ein Beweisvideo kann nicht abgespielt werden - wegen veralteter Technik.

Von Susi Wimmer

Eine Gerichtsverhandlung gleicht immer auch ein wenig einem Puzzlespiel. Teil für Teil wird von der Kammer zusammengetragen, Zeugen vernommen, Beweise eingeführt. Und am Ende ergibt sich im besten Fall ein schlüssiges Bild. Im Fall von Sulaiman S. allerdings herrscht noch etwas Unordnung auf dem Puzzletisch. Was auch daran liegen könnte, dass der 67-Jährige selbst bei der Polizei verschiedene Variationen und Motive geliefert hat, wie er im März vergangenen Jahres in Riem mit einem Messer auf den Kopf seiner Ehefrau eingestochen hat. Die Frau überlebte mit schweren Verletzungen. Ihr Mann muss sich nun vor der ersten großen Schwurgerichtskammer am Landgericht München I wegen versuchten Mordes verantworten.

Sulaiman S. sitzt auf der Anklagebank und schweigt. Er will sich nicht zu den Vorwürfen äußern, und auch nicht zu seiner Person. "Vielleicht später", sagt seine Anwältin Christina Keil. Der Mann mit dem grauen Schnauzbart und dem raspelkurzen, grauen Haarkranz an den Seiten blickt nur unter seinen dunklen Augenbrauen vor sich hin und nickt gelegentlich, wenn der Arabisch-Dolmetscher übersetzt.

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Dass an diesem ersten Verhandlungstag doch ein paar Puzzleteile von dem Vorsitzenden Richter Michael Höhne zusammengefügt werden können, liegt daran, dass Sulaiman S. kurz nach der Tat über vier Stunden lang mit Beamten der Mordkommission gesprochen hat - und zumindest auch einen Tag lang mit dem psychiatrischen Gutachter Kolja Schiltz. Letzterem erzählte er, dass er aus dem Irak nach Deutschland gekommen sei, um sich ärztlich versorgen zu lassen aufgrund seiner Zuckererkrankung. Was S. dem Psychiater schilderte, klingt nach einem ruhigen Leben und einer guten Ehe, zumindest für den Angeklagten. Mit 20 Jahren habe er die drei Jahre jüngere Frau geheiratet, die Ehe sei arrangiert worden, gegen den Willen der Frau. Er habe sich als Gelegenheitsarbeiter in Bagdad verdingt, sei dann zum Militär gegangen, wo ihm mit 30 Jahren eine Mine im Nordirak den rechten Unterschenkel zerfetzte. Seitdem trage er eine Prothese und die Familie lebe von seiner Pension.

Er habe seine Frau nie geschlagen, man habe auch nie gestritten und er sei auch kein eifersüchtiger Mensch, erzählte er. Zweimal die Woche sei der Geschlechtsverkehr vollzogen worden, wenn seine Frau sich verweigerte, sei er verärgert gewesen. Wobei Sexualität für ihn nichts mit Umarmen oder Küssen zu tun habe. Elf Kinder hat das Paar. Eigentlich, so sagt Kolja Schiltz, seien für die Begutachtung mehrere Tage angesetzt gewesen. Als allerdings die Sprache auf einen Vorfall im Irak kam, sei die Stimmung gekippt: Sulaiman S. berichtet, er habe 1990 seinen Cousin mit einem Gewehr erschossen, weil der ein Verhältnis mit seiner Ehefrau gehabt habe. Dafür sei er fünf Jahre im Gefängnis gesessen, seine Frau wegen Untreue ein Jahr.

Sulaiman S. kam alleine nach Deutschland, zum Jahreswechsel 2018 half er seiner Frau nachzukommen in eine Wohnsitzlosenunterkunft. "Aber sie hat hier nur gejammert", erzählte er bei seiner polizeilichen Vernehmung. Bis zu vier Wochen vor der Tat sei es auch zu keinem Sex gekommen, weil seine Frau sich geweigert habe. Und auch am Abend des 11. März 2018 habe sie nur geschimpft und soll zu ihm "Hund" gesagt haben.

Dann schilderte S. mehrere Tatvarianten. Dass seine Frau auf ihrem Bett saß, ein Messer in der Hand hatte und er Todesangst gehabt habe. Dass sie mit Fäusten auf ihn losgegangen sei oder auch nicht. Dass sie stand oder saß, als er ihr schließlich das Messer entwand und ein oder mehrmals auf sie einstach.

Staatsanwalt Laurent Lafleur jedenfalls wertet den Angriff als heimtückisch und lebensbedrohlich. Durch den Stich in den Kopf wurden unter anderem zwei Kopfschwartenarterien geöffnet, außerdem erlitt die Frau Abwehrverletzungen an den Händen. Die Flucht der Frau aus dem Zimmer wurde von Überwachungskameras aufgezeichnet. Doch aufgrund "der veralteten Technik bei der Justiz", so Richter Höhne, lässt sich das Video nicht abspielen. Dieses Puzzleteil muss in einer der nächsten Verhandlungstage beigefügt werden.

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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