Politikkabarett:Knackige Messe der Spielfreude

Lesezeit: 4 min

Das Kabarett ist wieder da, nun auch im Suresnes-Schlosspark. (Foto: Stephan Rumpf)

Am Wochenende treten Politkabarettisten im Innenhof des Deutschen Museums und im Park von Schloss Suresnes auf und zeigen, was sich bei ihnen während des Lockdowns aufgestaut hat

Von Thomas Becker und Oliver Hochkeppel

Es hat sich viel aufgestaut. Viel zu lange konnten Kabarettisten ihre Kritik an Politik und Gesellschaft nur mehr im Fernsehen oder in Streams loswerden. Jetzt dürfen sie zumindest im Freien wieder vor die Leute - sofern es das Wetter zulässt. Neue Programme und ein neuer Spielort feierten so bei Till Hofmanns "Eulenspiegel Flying Circus" Premiere.

Im Innenhof des Deutschen Museums, der sich schon im vergangenen Sommer als zentrales Kleinkunst-Ausweichquartier für Till Hofmanns "Eulenspiegel Flying Circus" bewährt hatte, verdichtete Christian Springer mit "Viel los!" seine 35-jährige Karriere in ein aktuelles Resümee. Unpolitisch war Springer ja nie, wie auch bei einem, der Kabarettist wurde, "weil mir nach einem - verfehlten - Eierwurf auf Franz Josef Strauss der Abschluss des Arabistikstudiums verwehrt wurde". Früher freilich verpackte er das in Rollen wie die des Kurti im Duett mit Helmut Schleich oder des Schloss-Neuschwanstein-Wärters Fonsi. Figuren, bei denen er sich dumm stellte, um erheiternd Missstände zu entlarven. Spätestens seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, als er mit seiner Hilfsorganisation "Orienthelfer" vom gesellschaftlich-politischen Beobachter zum aktiv Handelnden wurde, ist es damit vorbei. "Jetzt geht's nicht um politische Vorgaben, jetzt geht's um Menschenleben", sagte er einmal.

Ob in seinen Programmen, ob in Vorträgen, Reden, Büchern oder seinem wöchentlichen Blog während der Corona-Zeit (zuletzt mit einem aufsehenerregenden Aufruf gegen Antisemitismus an junge Muslime auf Englisch und Arabisch) - Springer ist grundsätzlicher, ernster und persönlicher geworden. Selbst bei aktuellen Themen herrscht bei ihm nun eine Art verzweifeltes Lachen, so wie eingangs im Deutschen Museum, wo er anhand einer Vorschriften-Blütenlese den Schindluder mit den Corona-Testzentren aufgriff. "Macht uns die Krise gescheiter? Ich glaube das nicht", befand er. Und belegte dies unter anderem mit dem aktuellen Wahlkampftrend, sich jetzt auf die Grünen einzuschießen statt auf die AfD, "die in den Parlamenten sitzt und da raus muss". Was er mit einer heftigen Attacke auf die bayerische AfD-Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner zurechtrückte.

Christian Springer fleht wieder um Vernunft. (Foto: Stephan Rumpf)

Ausführlich zog Springer wieder gegen falschen Nationalstolz und Bayerntümelei zu Felde. Etwa, indem er den englisch-österreichisch-kroatischen Ursprung der Nationalhymne bloßstellte, die türkische Herkunft des bayerischen Bierzelts oder die Abstammung der Bayern von syrischen Bogenschützen in der römischen Armee. Überraschend, witzig, spannend - auch beim Nach-Corona-Springer lacht man nicht nur, man lernt auch was.

"Viel los" war zeitgleich auch in Schwabing, wo Till Hofmann die nächste Open-Air-Bühne einweihte: der maximal lauschige Park von Schloss Suresnes. Seit 1718 hat das Haus 28 Mal den Besitzer gewechselt, seit 1969 ist hinter den Mauern zwischen Werneck- und Mandlstraße die Katholische Akademie zuhause, deren seit zwei Jahren amtierender Direktor die Institution öffentlich zugänglicher machen will. Das klappt: Bei der Premiere am Freitag bleibt trotz Gewitterwarnung kaum einer der 250 Klappstühle frei. Die Menschen dürsten nach Kultur, und auch den Künstlern sind nicht nur Einnahmen abgegangen, wie Anny Hartmann gen Publikum zugibt: "Sie glauben gar nicht, wie sehr Sie uns gefehlt haben."

Zu feiern gibt es auch gleich etwas: 65 Jahre Lach- und Schießgesellschaft. Till Hofmann, mal nicht in Regenjacke, sondern im taubenblauen Dreiteiler, bedankt sich bei Bruno Jonas und Dieter Hildebrandt, dass die Lach- und Schieß-Chefs damals gesagt hatten: "Probieren wir's halt mit dem." Mit seinem Team hat Hofmann den Fundus des "Ladens" gescannt, einen Klappzylinder aus dem ersten Lach- und Schieß-Programm ausgegraben, dazu einen Trikotsatz von Sammy Drechsels legendärer Promi-Kicktruppe "FC Schmiere", von dem man gegen eine Spende ein Leibchen erstehen kann, in dem womöglich schon Fritz Walter, Maximilian Schell, Gerhard Schröder oder Rudi Dutschke gesteckt haben. Doch obwohl viele Gesichter von früher da sind, wird es kein melancholisch rückwärts gewandter Gedenkabend, sondern eine knackige Messe der Spielfreude: Alles muss raus!

Philipp Weber legt los, als müsse er all das in den vergangenen Monaten nicht Gesagte in zehn Minuten nachholen. Anny Hartmann zitiert Hildebrandt ("Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt") und fragt, warum man in Zeiten des Klimawandels eine Airline rettet. Matthias Egersdörfer berichtet in der ihm eigenen Art von einer Albtraum-Fahrt in den Italien-Urlaub, Severin Groebner besingt radfahrende Rentner, Luise Kinseher mutmaßt, die Lach- und Schieß hätte sich wohl nie träumen lassen, "dass sie mal Kirchen-Asyl braucht", und Vierfach-Mama Martina Schwarzmann bekennt: "A bissl komisch bin i scho worn im Lockdown". Pause. "Aber mir is' wurscht." Den Humor hat sie vom Papa. Nach ihrer ersten Premiere in der Lach- und Schieß habe der Vater gemeint: "Da is' so eng. Schau ich demnächst lieber im Bierzelt zu." Auf die Rückkehr in die Enge des guten alten Ladens wartet das neue Ensemble schon ewig: Christl Sittenauer, Sebastian Fritz und Frank Klötgen haben längst Übung in der Verschiebung der Premiere ihres Programms "Aufgestaut". Der kurze Vorgeschmack macht jedenfalls Appetit auf mehr.

Und dann ist da noch Georg Schramm. Eigentlich erst für den Hildebrandt-Abend am Samstag eingeplant, aber wenn er schon da ist, muss/soll er doch bittschön auch beim bunten Abend mitmachen. An Hildebrandts altem Schreibtisch sitzend, liest er eine 13 Jahre alte Nummer des Kollegen zum Thema Nazis bei der Bundeswehr. Traurige Erkenntnis: Da ist aber auch gar nichts besser geworden, im Gegenteil. Nach dem wetterbedingt abgesagten Samstagstermin macht Schramm im Verbund mit den "Well-Brüdern aus'm Biermoos" bei der vernieselten Sonntags-Matinee da weiter, liest einen Hildebrandt-Text von 1996 über das "Neo-Nazi-Nest in Neubiberg", die Bundeswehr-Hochschule.

Georg Schramm rückt mit Dieter Hildebrandts Worten einiges zurecht. (Foto: Stephan Rumpf)

Schramm tut sich leicht, Hildebrandt-Texte mit aktuellem Bezug zu finden: "Er war ein Stilist, konnte unglaublich schreiben." Als er mal erlebte, wie Hildebrandt eine TV-Intendantin aus dem Stegreif brillant abkanzelte, wusste Schramm: "So einer kommt nicht mehr." Gespenstisch die Zugabe: Schramm hatte Hildebrandt mal gebeten, einen Thomas-Bernhard-Text zu lesen, und als dieser nun mit der vielen so vertrauten Stimme des 2013 Verstorbenen vom Band läuft, müssen einige im Schlosspark ganz schön schlucken. Ein Gefühl wie: Er ist wieder da. Schön wär's.

© SZ vom 07.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: