Pinakothek der Moderne:Endlich wieder Auge in Auge

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In der Pinakothek der Moderne können Besucher zwei Fotoausstellungen neu entdecken: "Resistant Faces" und Nicholas Nixons Serie der "Brown Sisters".

Von Evelyn Vogel

Endlich öffnet auch die Pinakothek der Moderne nach dem langen Lockdown wieder ihre Türen. Ein, wenn auch vorläufiges, elektronisches Ticketsystem ist vorhanden, über das Zeitfenster für den Besuch gebucht werden können. Und die Dimensionen des Museums sind so, dass alle, die hineinwollen, auch hineinkönnen. Bis zu 900 Personen dürfen sich gleichzeitig in dem weitläufigen Gebäude aufhalten. Da sollte man - jedenfalls unter der Woche - nicht an Kapazitätsgrenzen stoßen. Wie man an eines der zweistündigen Zeitfenstertickets kommt, dazu finden sich alle Infos auf der Website der Pinakotheken.

Natürlich auch, was alles zu sehen ist. Darunter sind zwei sehr lohnenswerte Ausstellungen: "Resistant Faces", eine Ausstellung in der Reihe "Fotografie heute", die aber nicht nur Fotografie und Videokunst, sondern auch Zeichnung, Collage, Objekte und Installation präsentiert und in der es um Gesichts- und Körperbilder geht. Außerdem in der Reihe der Sammlungspräsentationen Nicholas Nixons Serie der "Brown Sisters", die von Nähe und Distanz handelt. Erstmals wird die mittlerweile dank der Alexander-Tutsek-Stiftung angekaufte konzeptionelle Serie mit allen Aufnahmen von 1975 bis 2020 gezeigt. Mit beiden stellt sich die neue Sammlungsleiterin für Fotografie und Medienkunst, Franziska Kunze, vor, die im Sommer die Nachfolge der im November 2019 gestorbenen Inka Graeve Ingelmann angetreten hat.

Vor allem bei der größeren - "Resistant Faces" - ist Eile geboten. Denn die Ausstellung, die während des Lockdowns aufgebaut wurde und seither ihrer Eröffnung harrt, kann nur bis Mitte April gezeigt werden. Über das Gesicht kommt die größte Individualität zum Ausdruck, das Gesicht ist der Körperteil, der in den zurückliegenden Jahren die größte Selbstoptimierung erfahren hat, das Gesicht spielt die wichtigste Rolle, wenn es um Identitätsverlust, biometrische Überwachung und Künstliche Intelligenz geht. Die Schau nähert sich auf vielfältige Weise dem Thema. Von den acht gezeigten Positionen reflektierte die Medien-Pionierin Lynn Hershman Leeson schon früh das Thema der Identität. Mit ihrer Kunstfigur "Roberta Breitmore", in deren Rolle sie selbst schlüpfte, dieses künstliche Leben dann fotografisch dokumentierte und sich zudem von angeheuerten Detektiven überwachen ließ, hinterfragte sie bereits in den Siebzigerjahren die Authentizität von Identitäten. Jüngere Vertreter fiktiver, künstlich geschaffener oder manipulierter Bildwelten sind Eli Cortiñas, Esther Hovers, Frida Orupabo und Antye Guenther, das Duo Broomberg & Chanarin, Emmanuel Van der Auwera und Basim Magdy. Letzterer hat seine Bild-Text-Werke auf einer die ganze Länge des Raumes farblich spektakulär beherrschenden Wand installieren lassen.

Extrem faszinierend: die aus mehreren, aber sich wiederholenden "Porträts" bestehende Wand von Broomberg & Chanarin. Wie moderne Totenmasken wirken die Gesichtsausschnitte, die mit Hilfe einer russischen Überwachungssoftware generiert wurden, und die das Duo in geschwärztes Glas eingelassen hat. Egal an welchem Punkt der langen und breiten, aus 104 Objekten bestehenden Vierer-Reihe man steht, man fühlt sich permanent beobachtet. Vordergründig spielerischer wirken Eli Cortiñas Videoarbeiten von Sexpuppengesichtchen und humanoiden Roboter. Am Ende stellen sie sich als ziemlich hintergründig und bedrohlich heraus. Auch bei einigen Arbeiten der anderen internationalen Künstlerinnen und Künstler lohnt sich ein sehr genaues Hinsehen und vor allem ein Dicht-Herangehen sehr.

Und damit zur zweiten neuen Ausstellung, mit der die Pinakothek der Moderne an diesem Dienstag wiedereröffnet: der Serie "The Brown Sisters" von Nicholas Nixon. 1975 fotografierte der 1947 in Detroit geborene, in Brookline, Massachusetts lebende Fotograf anlässlich eines Familientreffens seiner Frau Bebe diese und ihre drei Schwestern zum ersten Mal. Daraus wurde eine fotografische Familienaufstellung mit Langzeitcharakter. Jedes Jahr treffen sich die vier Schwestern seither für dieses Fotoprojekt. Mit einer analogen Großbildkamera fotografiert Nixon Heather, Mimi, Bebe und Laurie in der immer gleichen Aufstellung. Meist draußen, manchmal in Dreiviertelansicht, manchmal im Porträtformat. Immer in Schwarz-Weiß. Die Aufnahmen entwickelt er selbst.

Bebe, die älteste, war beim ersten Fotoshooting 25 Jahre alt, Mimi, die jüngste, war 15. Und auch wenn man den Frauen durch die Jahrzehnte hindurch beim Altern zusieht, geht es doch um mehr als das Altern. Vielmehr steht die Beziehung der vier Schwestern im Mittelpunkt. Man spürt förmlich, wie sich diese vier Frauen im Laufe der Jahre mal näher, mal ferner stehen und im Alter schließlich fast miteinander zu verwachsen scheinen. Standen sie anfangs noch wie gelangweilte Teenager, die sie zum Teil ja auch noch waren, nebeneinander, so begannen sie sich im Laufe der Jahre immer mehr zu umarmen, ja mitunter scheint es, als ob sich manche von ihnen gegenseitig Halt geben würden.

Es ist schade, dass man nicht mehr über die Schwestern weiß. Doch außer dem Alter von Bebe und Mimi und der Angabe, wo die jährliche Aufnahme - die übrigens nicht vom Fotografen, sondern von den vier Frauen ausgewählt wird - gemacht wurde, wird nichts preisgegeben. Graeve Ingelmann sagte einst über die Serie, sie sei "persönlich, aber nie privat". Sie hatte anlässlich des 40. Jahrestags die bis dahin existierenden Aufnahmen gezeigt. Nun waren also die Fotos von 2015 bis 2020 dazu gekommen. Das wäre vielleicht nicht so spektakulär - wenn nicht Pandemiezeiten wären. Denn anstatt sich wie jedes Jahr zu treffen, schauten die Schwestern 2020 per Videocall in die Kamera des Fotografen. Erstmals stehen die "Brown Sisters" nicht nebeneinander, sondern sind in Kachel-Form angeordnet. Ein Paradigmenwechsel, dem die Ausstellung Rechnung trägt, indem die 2020-Aufnahme nicht chronologisch in der Reihe, sondern separat gehängt wurde.

Fotografie heute: Resistant Faces , bis 11. April / Nicholas Nixon: The Brown Sisters , bis 11. Juli, Pinakothek der Modere, Barer Str. 40, Di-Sa 10-18, Do 10-20 Uhr, Besuch mit Zeitfenster, Infos unter www.pinakothek.de/tickets

© SZ vom 16.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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