Ausstellung:Malerisches Schweben

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Ansichten aus Venedig: In der Pinakothek der Moderne sind Zeichnungen und Druckgrafik zu sehen wie die Lodewijk Toeput, genannt Il Pozzoserrato, zugeschriebene Gondel mit Liebespaar, Musiker und Gondolieri, entstanden um 1600. (Foto: Staatliche Graphische Sammlung München)

Die Pinakothek der Moderne zeigt venezianische Zeichnungen und Druckgraphik aus vier Jahrhunderten und erzählt damit von dem flirrenden Zusammenspiel von Himmel, Erde, Wasser, Licht und Dunkel.

Von Harald Eggebrecht, München

Ein kräftiger Mann in Hemd und Hose ist von hinten aus leichter Untersicht zu sehen, das Gewicht ruht auf dem rechten Bein, während das linke abgespreizt ist. Sein rechter Arm hält eine lange, nach links abgesenkte Stange, der Griff der Hand ist durch den Schenkel verdeckt, der linke Arm angewinkelt, der Boden nur angedeutet, ansonsten leichte Schraffuren und viel Luft um den Körper. Es ist eine kleine Zeichnung des großen Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), der aus Venedig stammte und hier wohl die typische Haltung eines Gondoliere mit der Feder festhielt. Saß er hinter dem Mann im Boot, hat an manchen Kringeln und Linien vielleicht das Schaukeln auf dem Wasser mitgewirkt? Die kleine Zeichnung wirkt unmittelbar, doch so klar sie Alltägliches zeigt, so rätselhaft scheint die Idee dahinter.

Alltäglich und doch auch rätselhaft: Giovanni Battista Piranesis "Figurenskizze (Gondoliere)". (Foto: Staatliche Graphische Sammlung München)

Absichtlich geheimnisvoll bleiben die Blätter des grandiosen Radierungszyklus der Capricci des Gian Battista Tiepolo gerade trotz der Fülle an Assoziationen, die sie auslösen: eine Nymphe lehnt in einer Steinnische, ihre linke Hand ruht auf dem Leib eines Satyrknaben, der vor sich hin träumt, hinter den beiden schreitet ein Ziegenbock an einem Baum mit Dickicht um den Stamm vorbei, dahinter schweift der Blick in die zarteste Weite einer angedeuteten Berglandschaft. Zwischen Bock, Nymphe und Knabe scheint es trotz der Nähe zueinander keinen Bezug zu geben, jedes der drei Lebewesen ist in sich versponnen. Des kleinen Satyrs Bocksbeine lassen an die erotische Verbindung zwischen Bock und Mensch denken, auch das Tuch, das der Bock auf dem Rücken trägt und das weiter zu reichen scheint über den rechten Arm der Nymphe, mag an diese archaisch-mythische Verbindung erinnern. Tiepolos Radierkunst erreicht in der Feinheit der Linien und dem Andeutungsreichtum der versammelten Motive ein Raffinement sondergleichen. Überall dringt Licht durch die Radierung, das Bild scheint zu schweben wie ein sonderbares Traumgebilde.

Allein Piranesis kleines, vor Beobachtungsintensität bebendes Blatt ebenso wie Tiepolos zauberisches Capriccio lohnen den Besuch der Ausstellung, die die Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne in drei Räumen bietet: Ansichten von und aus Venezia, der Serenissima, Gestalten und Gesichter, Alltagsszenen und Staatsaktionen, vertrackte Capricci und abgelegene Idyllen, und immer wieder die Campi vor den vielen Kirchen und die Platzräume, die sich plötzlich zwischen den Palazzi und Bürgerhäusern öffnen. Das fängt an und endet gewissermaßen auf der Piazza San Marco und der Piazzetta am Dogenpalast entlang mit dem unglaublichen Blick übers Wasser der Lagune hinüber auf Andrea Palladios San Giorgio Maggiore.

Repräsentative Ansichten wurden von englischen Touristen gerne gekauft

Der Weg führt zu den repräsentativen Ansichten der Lagunenstadt und ihren prominenten Örtlichkeiten, wie sie im 18. Jahrhundert Luca Carlevaris, der ursprünglich aus den Niederlanden stammte, Michele Marieschi und Antonio Canal, genannt Canaletto, in ihren Radierzyklen nicht nur festhielten, sondern mit Alltagsbeobachtungen anreicherten und zur personenreichen lebendigen Szenerie entfalteten. Solche druckgrafischen Veduten wurden von englischen Touristen gern gekauft. Canaletto hatte bei seinem achtjährigen Englandaufenthalt die Vorlieben seiner Hauptkunden kennengelernt. Carlevaris war der erste, der diese Chance erkannte und dementsprechend die Sehenswürdigkeiten ins Bild setzte. Doch ihm und allen anderen gelingt dabei nicht nur die Abbildung imposanter Baukunst, sondern all diese Radierungen leben von dem immer unfassbaren Zauber Venedigs, ein nahezu unwirkliches Gebilde zwischen Himmel und Wasser zu sein. Raffiniert spiegeln sich daher auf diesen Bildern die Wolken in den Kanälen, formt die Helligkeit die Fassaden, sodass sich deren Massivität und bauliche Festigkeit in Lichtarchitektur zu verwandeln scheint.

Druckgraphik und Zeichnung venezianischer Prägung, das lehrt diese Präsentation ein ums andere Mal, lebt vom Malerischen. Das lässt sich dann im sehr informativen und alle Exponate abbildenden Katalog vertiefen. Die Künstler schon des 15. Jahrhunderts wollen nicht Einzelheiten für sich bestechend präzisieren, sondern Zusammenhänge, Stimmungen, ja, das Ungreifbare im Zusammenspiel von Himmel, Erde, Wasser, Licht und Dunkel fassen. Giulio Campagnola (1482-1516) etwa zeigt den Raub des Ganymed durch Zeus in Gestalt eines Adlers nicht als Drama, sondern stellt den nicht fliegenden Vogel mit dem auf ihm reitenden Knaben in den weiten Himmel über einer höchst unvenezianischen fränkischen Landschaft, die Campagnola von einem Kupferstich Dürers variierend übernahm. Der frappierende Effekt dieses Stichs ist der des absolut Fremden, Unerhörten, nie Dagewesenen gerade im Zusammenzwingen zweier letztlich unvereinbarer Motive, der altdeutschen Landschaft unten und dem mythischen Geschehen darüber.

Enorm welche Ausdrucksemphasen im Kupferstich möglich sind, wenn der gebürtige niederländische Kupferstecher Cornelis Cort (1533-1578) , der nach Venedig ging und bei Tizian unterkam, die Folter des heiligen Laurentius nach einer Vorzeichnung Tizians in einen Rausch aus Linien steigert, der das grausige Geschehen zum dramatischen Fanal werden lässt. Den mächtigen Wolkenwirbeln am nachtdunklen Himmel antwortet das hell lodernde Feuer unter dem Rost, auf dem der Märtyrer gequält wird: Kupferstich als eigene Art von Malerei.

Mit den sechs anmutigen Porträtköpfen junger Männer und Frauen, die Teodoro Viero in Kupfer gestochen hat, und den zwölf "Divers portraits", die Giovanni David radiert hat, treten Venezianer groß ins Bild. Bei David sind es vornehme Damen und Herren in der Stadt, auch eine Bedienstete ist zu sehen oder ein müder Perückenmacher, der sich mit seinem Mantel zugedeckt hat. Ein untilgbare Ironie bis zur Karikatur liegt über dieser großartigen Serie. Am Schluss aber trifft einen der Blick von Daniele Barbaro, wie ihn Paolo Veronese auf bräunlich olivgrünem Papier gezeichnet hat. Der Blick ist so "fotografisch" direkt und filterlos, als stehe einem der Mann gegenüber - unvergesslich.

Venedig. La Serenissima. Zeichnungen und Druckgraphik aus vier Jahrhunderten , bis 8. Mai, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40

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