Oktoberfeste in Berlin-Brandenburg:Feiern, bis die Smartwatch vor Hörschäden warnt

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Auf der "Hauptstadtwiesn" an der Spinnerbrücke feiern die Gäste ausgelassen zur Musik der Band "Kraxlhaxer". (Foto: Robert Emanuel Laubach)

Mehr als ein Dutzend Oktoberfeste werden derzeit in Berlin und Umgebung gefeiert - mal in Tracht, mal mit Eintrittstickets, mal acht Wochen lang. Wie gut kann die Hauptstadt Wiesn? Ein Streifzug.

Von Robert Laubach, Berlin

Direkt am Bundeskanzleramt in Berlin führt eine Brücke über die Spree. Läuft man darüber, steht man am Zollpackhof, einem bayerischen Wirtshaus, das seit zehn Jahren auch Oktoberfest feiert. Es ist Samstagnachmittag, es geht fröhlich zu. Kinder toben im kleinen Spielplatz in einer Ecke des Biergartens, im Rest sitzen Erwachsene, die in Berlin bleiben, aber trotzdem echtes Oktoberfest-Bier trinken wollen. Und auf einer Bühne unter einer großen Kastanie strahlt Wirt Benjamin Groenewold, als die Blasmusikkapelle ein "Prosit der Gemütlichkeit" anstimmt. "Mittiger geht es in Berlin nicht, aber das ist Bayern", sagt Groenewold über sein Wirtshaus.

Die Dimensionen auf diesem Oktoberfest sind natürlich andere. Groenewold spricht von bis 2000 Gästen an einem Oktoberfest-Tag, der eben nur das ist - ein Tag. "Wir feiern hier den Anstich, aber nicht jeden Tag Oktoberfest. Da sollte es schon das Original sein", sagt Groenewold.

Wirt Benjamin Groenewold dirigiert mit einer Mass Bier in der Hand die Blaskapelle beim Oktoberfesttag in seinem Wirtshaus Zollpackhof. (Foto: Robert Emanuel Laubach)

Das fällt auch einigen Gästen auf. "Sie geben sich hier Mühe, aber es ist nicht Bayern. Es ist mehr Biergarten und Musik", meint Benjamin Hartwig, der mit drei Freunden am Tisch sitzt und eine Mass trinkt. Er hebt auch hervor, dass fast niemand Tracht trägt. Das störe ihn aber nicht, denn er gehe mit seinen Freunden auf verschiedene Oktoberfeste in Berlin, "das Angebot wird von Jahr zu Jahr größer", sagt er.

Damit hat er Recht, das Stadtportal berlin.de führt fünfzehn verschiedene Oktoberfeste auf. Das Ausmaß und die Termine unterscheiden sich aber grundlegend. Manche - wie der Zollpackhof - beschränken sich auf einen einzelnen Tag. Andere laufen von Anfang September bis Ende Oktober. Was nicht heißt, dass acht Wochen ohne Pause durchgefeiert wird. Diese langen Oktoberfeste öffnen meist nur am Wochenende ihre Türen für Wiesn-Fans. Selbst in der feierfreudigen Hauptstadt wäre mehr kaum möglich.

Da wären zum Beispiel die Spreewiesn. Direkt am Ostbahnhof gelegen teilen sich mehrere Veranstalter das Festgelände. Wöchentlich gibt es die "Wilden Wiesn" (wohlgemerkt: Plural, nicht wie beim bayerischen Original Singular), jeden Donnerstag das "Wiesn Afterwork", die mit dem Zusatz "Don't tell your boss" beworben werden, und jeden Montag die "Gaywiesn". Dort ist die Trachtenquote deutlich höher als im Zollpackhof, ebenso die Männerquote.

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Die Musik macht hier statt einer Blaskapelle ein DJ namens Ronny. Er legt eine Mischung aus Schlager und Hits aus den vergangenen 20 Jahren auf. Nach einem Set auf der Bühne im Inneren des Zelts kommen viele Besucher in den überdachten Außenbereich und erholen sich vom Tanzen. Eine Dragqueen mit dem Namen Cathrinsche stolziert vorbei.

Angesprochen auf den Zeitpunkt der Feier am Montagabend sagt sie: "Ja, viele müssen morgen wieder arbeiten, aber dadurch ist es auch entspannter. Die Leute übertreiben es dann nicht so." Diesen Punkt hört man auf den verschiedenen Berliner Oktoberfesten immer wieder. Bilder wie auf dem berüchtigten Kotzhügel in München gibt es nicht und auch fast nie Schlägereien. Dennoch werden auch auf den Berliner Oktoberfesten Sicherheitsleute beschäftigt, die Taschen kontrollieren und notfalls eingreifen.

Die bisher genannten Wiesn-Nachahmer konzentrieren sich weitestgehend auf das Feiern, das Bier, die Musik und die Outfits. Den Volksfest-Charakter des Originals sucht man dort aber vergebens. Da verspricht zumindest dem Namen nach das "Oktobervolksfest" in Potsdam anderes. Die brandenburgische Landeshauptstadt grenzt direkt an den Berliner Südwesten, das Festgelände befindet sich unweit des dortigen Hauptbahnhofs. Es öffnet im Gegensatz zu den meisten Berliner Festen täglich von Ende September bis in den späten Oktober.

Fahrgeschäfte und Buden gibt es auf dem Oktoberfest in Potsdam. Zelte und Trachten sucht man hier aber vergeblich. (Foto: Robert Emanuel Laubach)

Hier gibt es kleinere Fahrgeschäfte und die typischen Jahrmarkt-Stände. Väter versuchen beim Sternschießen Plüschtiere für ihre Kinder zu gewinnen, meist erfolglos. Am etwa zehn Meter hohen Freifall-Turm schnallt sich ein Junge an, der gerade so die Altersbeschränkung von sechs Jahren übertreffen dürfte, und Teenager im Breakdancer setzen sich in Wagen im Formel-1-Stil. Die Wagen sind Teams wie Jaguar und Benetton nachempfunden. Mit insgesamt acht Fahrgeschäften und etwa doppelt so vielen anderen Buden fällt das Fest in Potsdam recht klein aus. Zelte oder Masskrüge sucht man hier ebenso vergeblich wie Besucher in Tracht.

Zur "Hauptstadtwiesn" an der Spinnerbrücke immer dem Lärm nach

Einige Kilometer die A9 entlang - ehemals die Transitstrecke von München nach West-Berlin - findet man auf dem Rückweg von Potsdam nach Berlin auch die Spinnerbrücke, an der seit 15 Jahren die "Hauptstadtwiesn" veranstaltet werden (auch hier: "Wiesn" im Plural). Wer dort von der Autobahn abfährt oder mit der S-Bahn ankommt, braucht keine Wegweiser. Am Samstagabend ist die Musik auch aus einiger Entfernung unüberhörbar. Aus der Nähe sieht man dann zahlreiche Gäste - nahezu alle von ihnen in Lederhosen oder Dirndl - die sich auf den Weg in eine große Holzhütte machen.

Jedes Jahr kommt das Altholz aus dem bayerischen Pleiskirchen auf sechs Sattelschleppern, erzählt Veranstalter Frank Wobeser, dann werde die Hütte über zehn Tage hinweg aufgebaut. Das sei nicht ganz günstig und erkläre die langen Öffnungszeiten und die Preise. Wer hier zwischen 9. September und 28. Oktober am Wochenende feiern will, muss 20 Euro zahlen. Sitzplätze gibt es nur für diejenigen, die rechtzeitig buchen.

Das führt auch zum ersten Frustmoment. Amy Kornetzki sitzt auf einem Hocker neben einem Tisch und beschwert sich. Sie habe einen Platz reserviert und keinen bekommen. Veranstalter Wobeser zeigt seine Sitzplanung vor und betont, seit Tagen keine Sitzplätze mehr für diesen Abend angeboten zu haben. Es sei alles voll.

Auf der "Hauptstadtwiesn" an der Spinnerbrücke feiern die Gäste in einer riesigen Holzhütte. Die Stimmung ist ausgelassen, die Smartwatch warnt vor Gehörschäden. (Foto: Robert Emanuel Laubach)

Als dann später die Band, die Kraxlhaxer, die Bühne besteigt, scheint auch Amy den Ärger vergessen zu haben. Sie steht in der Menge auf der Tanzfläche und singt "Hey Baby". Die Stimmung ist ausgelassen, nach nur zwei Minuten in der Hütte warnt die Smartwatch: Bei dieser Lautstärke könnten nach einer halben Stunde kurzfristige Hörschäden auftreten. Doch in der Hütte an der Spinnerbrücke ist noch längst nicht Schluss. "Um 1.15 Uhr machen wir die Musik aus. Da sind die meisten seit fast sieben Stunden da, das reicht dann auch", sagt Wobeser.

Auch wenn keine der Feiern das Original abbilden kann, so ist das Oktoberfest in Berlin und Umgebung angekommen. Wer gleich mehrere von ihnen besucht, kann verschiedene Aspekte mitnehmen: gemütliche Biergartenstimmung, Szeneparty oder Jahrmarkt. Und ganz klein geht es auch. Das stellt ein Herr in der S-Bahn in Richtung eines Oktoberfests klar. Er trägt Tracht, weil sich am Abend sein Stammtisch treffe. Und der habe sich entschieden, dieses Treffen unter das Motto Oktoberfest zu stellen.

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