Tradition auf der Wiesn:Wer zur Hölle, Hölle, Hölle geht zum Schafkopfen aufs Oktoberfest?

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Ober sticht! Im Armbrustschützenzelt treffen sich die Schafkopfspieler zum gemeinsamen Karteln. (Foto: Florian Peljak)

Im Armbrustschützenzelt duellieren sich Kartenspieler regelmäßig um den Hauptpreis: einen Wiesn-Tisch samt Verpflegung. Bier spielt hier eine Nebenrolle, die Gespräche drehen sich um den Wenz, die Gras-Sau und auch mal um Bluthochdruck.

Von Thomas Becker

Thomas Gottschalk, ausgerechnet. Dem traut man ja so einiges zu, aber dass er heuer auf der Wiesn das Schafkopfturnier im Armbrustschützenzelt gewinnt? Nein, das dann doch nicht. Und dennoch prangt nun in der Box Rehbock rechts hinten im Zelt der berühmte Name auf der Ehrentafel, gleich unter den bisherigen Siegern Florian Malcher und Helmut Wagner.

Spätestens beim Blick aufs Siegerfoto wird jedoch klar, dass es sich beim besten Wiesn-Schafkopfer 2023 nicht um den spätblonden Kulmbacher aus Malibu handelt, sondern um einen deutlich jüngeren Herrn vom Schafkopfclub Bayern, einen gebürtigen Münchner, der das Turnier "mit herausragenden 81 Punkten" gewann, wie Organisator Stefan Aldenhoven berichtet: "Das Turnier ist super gelaufen. 180 Teilnehmer, darunter Hans Zach, Hilde Gerg und Marcus H. Rosenmüller, spielten an 45 Tischen, und am Ende konnte an Steffen Horak von der Münchner Tafel eine Spende in Höhe von 4000 Euro übergeben werden."

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Bier wird dabei deutlich weniger getrunken als noch 2022, dafür war Alkoholfreies und Wasser nachgefragt. Wie der zweite Teil des Oktoberfests verlief in der Nachlese.

Klingt alles ganz wunderbar, lässt aber eine zentrale Frage unbeantwortet: Wer zur Hölle, Hölle, Hölle geht zum Schafkopfen aufs Oktoberfest? Nun, gar nicht mal so wenige, wie sich bei einem Besuch in der Rehbock-Box feststellen lässt. Es ist schon ein spezielles Setting: An einem handelsüblichen Wiesn-Mittag hocken da gut ein halbes Dutzend Vierer-Runden an Biertischen und karteln in aller Seelenruhe. Vier statt der üblichen zehn Mann am Tisch: Entspannter sitzt man nirgends auf der Wiesn. Die meisten tragen Tracht, einer ein T-Shirt mit der Aufschrift "Fridays for Schafkopf". Auch eine reine Frauen-Runde ist dabei.

Die Gespräche drehen sich um den Wenz, die Gras-Sau und auch mal um Bluthochdruck. Ein paar Biere stehen auf dem Tisch, aber die spielen nur eine Nebenrolle. Das Mittelschiff des Armbrustschützenzelts ist am frühen Nachmittag noch nicht bis auf den letzten Platz besetzt, die Platzl-Oktoberfestkapelle spielt traditionelle Blasmusik, sozusagen die Vorstufe von Layla und Co. Eine angenehm zünftige Atmosphäre, bei der man sich in der Box sogar noch unterhalten kann.

Seit 2018 wird auch auf der Wiesn Schafkopf gespielt

Zum Beispiel mit Stefan Aldenhoven, dem langjährigen Vorstand und Gründungsmitglied der 2004 ins Leben gerufenen Schafkopfschule München. Seit einem Vierteljahrhundert spielt er mit seinem Team "Weida United" in der Schafkopf-Bayernliga, plant, organisiert und betreut die Lehrgänge für Anfänger und Fortgeschrittene. Und seit die Wirtefamilie Inselkammer 2018 auf ihn zukam, weil sie das Schafkopfen fördern wollte, kümmert sich Aldenhoven auch darum, dass beim größten Fest der Welt diese in Bayern nahezu systemimmanente Tradition nicht zu kurz kommt.

"Am Anfang war die Idee: an gewissen Tagen eine Box für Schafkopfer freihalten", erzählt der Vereinsvorstand. "Unser Job war es, die Spieler zu betreuen und einen Tisch aufzufüllen, wenn mal einer fehlt." Standby-Schafkopfer sozusagen. 25 Mitglieder zählt der Klub mit dem einzigen Vereinszweck: anderen das Schafkopfen beizubringen. Auch Fortgeschrittene können sich Tipps holen oder mal ein Turnier spielen. "Einmal haben wir im Olympiaturm-Drehrestaurant gespielt", erzählt Aldenhoven stolz.

Seit 2018 also auch auf der Wiesn. Zunächst nur in der ersten Woche, mittlerweile in beiden Wochen, jeweils von Montag bis Donnerstag zwischen 10 und 16 Uhr, bevor das abendliche Halligalli losgeht. Auf der Website des Armbrustschützenzelts kann man einen Vierer-Tisch reservieren oder auch spontan dazu stoßen. Nachdem die Schafkopf-Box schon im ersten Jahr gut angenommen wurde, wünschte sich Chefin Katharina Inselkammer 2019 ein Turnier.

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Aldenhoven sagt: "Da wir in der Szene gut vernetzt sind, spielt bei unserem Turnier das Who is Who des Schafkopfens: die ersten vier der vergangenen Schafkopf-Weltmeisterschaft sowie der deutsche und der bayerische Meister. Sportlich ist das hochkarätig besetzt, aber es sind auch viele Gaudi-Spieler dabei, was eine schöne Mischung ergibt. In der Szene ist das Turnier mittlerweile ein gefragtes Highlight. Wer mal hier war, kommt jedes Jahr wieder. Und wer gewinnen will, muss schon einige Größen aus dem Weg räumen."

Thomas Gottschalk hat's geschafft. Der Lohn: ein Wiesn-Tisch samt Verpflegung in fester und flüssiger Form. Rund 90 Preise gab es zu gewinnen, Restaurant-Gutscheine und ein signiertes Original-Trikot von Thomas Müller. Mit dem Bayern-Star hat Aldenhoven vor ein paar Jahren mal ein Schafkopf-Tutorial-Video aufgenommen, gemeinsam mit den ehemaligen FC-Bayern-Größen Hansi Dorfner und Peter Kupferschmidt.

"Wenn man sportlich ambitioniert ist, ist das mit dem Bier schon schwierig"

Das Wirte-Ehepaar Inselkammers musste beim Turnier heuer passen, weil gleichzeitig das Platzkonzert an der Bavaria stattfand, wo Peter Inselkammer als Wirte-Sprecher gefordert war. "Beim ersten Turnier waren beide dabei", erinnert sich Aldenhoven. "Sie hat die erste Runde gespielt, er die zweite, zusammen sind sie immerhin in die Top Ten gekommen."

Zweimal 32 Spiele stehen in rund vier Stunden auf dem Programm: Da muss man sich den Bierkonsum schon einteilen. "Wenn man sportlich ambitioniert ist, ist das mit dem Bier schon schwierig", sagt Experte Aldenhoven. "Es gibt welche, die zehn Weißbier trinken und immer noch super spielen, aber das sind Ausnahmen. Normal ist da schon ein Leistungsabfall. Ein Weltmeister wie Harry Hug knockt sich bestimmt nicht aus. Bier macht halt einfach müde."

Auf der Wiesn trinke er als Organisator nur Alkoholfreies, dem Schafkopfen zuliebe: "Es soll ja alles gut laufen - damit beim nächsten Mal alle wiederkommen." Auch Thomas Gottschalk.

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