Nürnberg:Schmuddelmeile war gestern

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Die Schriftstellerin Natascha Wodin wurde schon mehrfach ausgezeichnet, etwa 2017 auf der Leipziger Buchmesse. Jetzt erhält sie als Erste den Nürnberger Literaturpreis. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Das Nürnberger Literaturhaus hat sich langsam zu einer Art literarischem Kaffeehaus entwickelt und das Bahnhofsviertel geprägt. Nun gibt es vielversprechende neue Pläne - und einen Preis.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Als Nürnbergs ehemaliger Oberbürgermeister Ulrich Maly einmal gebeten wurde, die Vorzüge der Halbmillionenstadt auf möglichst einen Satz zu komprimieren, da antwortete Maly: "Nürnberg hat alles, was eine Großstadt braucht."

Sollte in etwa heißen: passabler Flughafen, passable U-Bahn, passables Stadion und zahlreiche überdurchschnittliche Kultureinrichtungen, darunter wichtige Museen, das Staatstheater und eine urbane freie Szene. Insoweit trifft Malys Sentenz zweifellos zu. Wo Nürnberg freilich mit anderen Städten dieser Größenordnung nicht mithalten kann, ist die Infrastruktur der literarischen Szene. Als Stadt der Literatur kann sich Nürnberg bislang nicht einmal mit der Nachbarstadt Erlangen messen. Und die ist fünfmal kleiner als Nürnberg.

Schon vor 18 Jahren sollte sich das eigentlich ändern. Unter der Überschrift "Belletristik auf der Schmuddelmeile" wurde über das neue Literaturhaus auf der Luitpoldstraße geraunt, was allerdings zu jener Zeit schon leicht schief war. Zwar galt die Straße in Bahnhofsnähe historisch als die sündige Meile Nürnbergs. Als das Literaturhaus an den Start ging, hatte sich die Prostituiertenszene aber längst in Richtung Stadtmauer verabschiedet. Trotzdem blieb das Haus der Literatur ein Solitär zwischen allerlei Peep-Shows, Nachtbars und Fachmärkten für Ehehygiene. Was sich seither deutlich zum Besseren gewendet hat. Inzwischen ist die Luitpoldstraße mit ihren stattlich renovierten Altbauten eine der angesagtesten Gastromeilen der Region. Wer also Argumente sucht, wie Kultur die Atmosphäre von Stadtvierteln zu verändern in der Lage ist - in der Nürnberger Luitpoldstraße würde man fündig werden.

Das Haus an sich? Aller Ehren wert war es, als sich der Privatier Manfred Boos 2003 aufschwang, aus einem ehemaligen Spielzeuggeschäft einen Ort literarischer Begegnung zu machen. "Froh und glücklich" äußerten sich die Stadtoberen über die private Initiative und sagten alle Unterstützung zu. Wohlgemerkt aber: ideelle Unterstützung. Mit einem Mäzen im Rücken versuchte Boos das Haus in eine Art literarisches Kaffeehaus zu wandeln. Im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten darf das als einigermaßen gelungen gelten. Aber dass das Literaturhaus auch nur annähernd die Ausstrahlung der Häuser etwa in München und Frankfurt entfacht - wird keiner ernsthaft behaupten können. Nürnberg hat alles, was eine Großstadt braucht? Ein einer Halbmillionenstadt angemessenes Literaturhaus hat man nicht, nein.

Der neue Gisela-Elsner-Preis ist mit 10 000 Euro dotiert

Jedoch hat sich der Verein Literaturhaus Nürnberg nun neu aufgestellt. Und auch wenn dieser von den Möglichkeiten in vergleichbaren Städten wohl weiterhin nur träumen kann - die Pläne sind vielversprechend. Der Verein will weniger auf klassische Lesungen setzen, stattdessen mit "neuen, auch diskursiven Formaten" der Literatur einen höheren Stellenwert in der Stadt einräumen, erklärt der Vereinsvorsitzende Dirk Kruse. Freunde der Belletristik erhoffen sich einiges davon, immerhin gilt Kruse seit Jahren als einer der unterhaltsamesten Moderatoren des Erlanger Poetenfests: einer, der Literaten zu locken und Gespräche zuverlässig aus dem Ghetto volkshochschulhafter Ödnis herauszuhalten weiß. Auch seine Mitstreiterin Katharina Erlenwein, ehemalige Feuilletonredakteurin der Nürnberger Nachrichten, lässt auf viel neuen Schwung hoffen.

Das äußere Zeichen für den Neuanfang darf schon mal als gelungen gelten. Zu Ehren der aus Nürnberg stammenden Schriftstellerin Gisela Elsner hat der Verein einen mit 10 000 Euro dotierten Literaturpreis aus der Taufe gehoben, der künftig im Zweijahresrhythmus vergeben wird. Erste Preisträgerin ist die 1945 in Fürth als Kind russischer Zwangsarbeiter geborene Schriftstellerin Natascha Wodin, die nach Ansicht der Jury beispielhaft für das Nachdenken über die Verwerfungen der europäischen Nachkriegsepoche steht. Ihre Romane - darunter "Sie kam aus Mariupol" - würdigt die Jury als Plädoyer für einen genaueren Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft. Der Preis wird Wodin am Samstag verliehen, tags zuvor startet das neue Literaturhausprogramm mit einem Abend für Gisela Elsner.

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