NS-Dokumentationszentrum:Konzept ohne Seele

Lesezeit: 2 min

"Es fehlt die Empathie": Marian Offman, Vorsitzender des politischen Beirats, kritisiert die bisherige Planung des NS-Dokumentationszentrums.

Joachim Käppner

Am heutigen Donnerstag diskutiert der Kulturausschuss des Stadtrats über das geplante NS-Dokumentationszentrum, das ein "Erinnerungs- und Lernort von überregionalem Rang" werden soll. CSU-Stadtrat Marian Offman, der Vorsitzende des politischen Beirats des Zentrums, äußert Kritik am Konzept.

Marian Offman will jungen Leuten anschaulich erklären, dass es in München eine Zeit gab, in der die Menschenwürde massiv verletzt wurde. (Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Die Münchner CSU fordert Änderungen am Konzept des NS-Dokumentationszentrums. Was stört Sie daran?

Offman: Leider zeichnet sich schon jetzt die Gefahr ab, dass das Ergebnis sehr technokratisch sein wird, zumindest aber von einer wissenschaftlichen Kühle, die ich für problematisch halte. Ich kann nirgends erkennen, wie sich die Besucher in diese Zeit und die Lage der Opfer einfühlen könnten. Es fehlt die Empathie, der Versuch, den Betrachter zu berühren, ihn emotional zu erreichen.

SZ: Im Entwurf des Kulturreferates zur Konzeption des Zentrums heißt es: "Es geht nicht bloß darum, Geschichte präsent zu machen und persönliche Betroffenheit auszulösen. In diesem Sinne 'Nie wieder!' auszurufen, ist nicht genug." Ist es das, was Sie kritisieren?

Offman: Die Ära der Zeitzeugen neigt sich dem Ende zu. Bald ist leider keiner mehr da, der noch berichten kann, wie es gewesen ist. Es stellt sich also die Frage: Wie kann ich jungen Zuschauern emotional vermitteln, dass es in München eine Zeit gab, in der die Menschenwürde so massiv verletzt wurde, wie das Weltall unendlich ist? Als in dieser Stadt eine Ideologie groß wurde, die Menschen zum Freiwild erklärte? Unser Grundgesetz und unsere heutige Gesellschaft basieren doch auf dem "Nie wieder!" Ich habe den Eindruck, dass die Stadt München hier vor allem ein eigenes Forschungszentrum schaffen will...

SZ: ... sie hat sich immerhin über Jahrzehnte den Vorwurf anhören müssen, sie ignoriere ihre braune Vergangenheit.

Offman: Das war früher so. Heute kann man das doch nicht mehr behaupten - denken wir doch nur an das sehr gelungene Neue Jüdische Zentrum am St.- Jakobs-Platz. Aber Münchens Geschichte im Nationalsozialismus ist bereits recht gut erforscht - man kann das Rad nicht neu erfinden.

SZ: Also: weniger Forschung, mehr Anschaulichkeit?

Offman: Natürlich gibt es in dieser Stadt ein interessiertes Fachpublikum, keine Frage. Aber dem stehen das Institut für Zeitgeschichte zur Verfügung und die Fachseminare und -bibliotheken der Universität, die Staatsbibliothek, das Stadtarchiv nicht zu vergessen. Eine neue, vergleichsweise kleine Einrichtung kann da gar nicht mithalten. Mir scheint hier eine andere Frage viel dringlicher: Wie können wir alle Schichten der Bevölkerung erreichen? Wie können wir jenen Besuchern, die eher bildungsfern sind, nachvollziehbar und anschaulich vermitteln, wie München, einst die Stadt der Malerfürsten, nach dem Ersten Weltkrieg zur Hochburg der Nazis wurde?

SZ: Sie fürchten, die Ausstellung werde zu verkopft?

Offman: Ja, so könnte man es sagen. Niemandem, der an dem Projekt beteiligt ist, auch nicht der Leitung des Zentrums, spreche ich den guten Willen ab. Ich fürchte nur, dass dem Dokuzentrum bei allen Verdiensten die Seele fehlen wird. Das könnte eine sehr kühle Angelegenheit werden.

SZ: Es soll ja auch der vernachlässigte Platz der Opfer des Nationalsozialismus neu gestaltet werden. Überzeugt Sie dessen Konzept mehr?

Offman: Ich hatte diese Frage befürchtet. Um sie ehrlich zu beantworten: Nein, völlig überzeugend finde ich das auch nicht - und zwar aus denselben Gründen. Gedenktafeln, die allen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet sind, und die ganze Platzgestaltung können nur schwer das Leid der Opfer vermitteln. Es fehlt ein sensibilisierender Ansatz. Ein einziges, anschaulich, nachfühlbar geschildertes Schicksal, mit dem sich der Betrachter identifizieren kann, würde viel erreichen. Im "Gang der Erinnerung" im Jüdischen Zentrum hat neulich ein Mann den Namen eines Mädchens gefunden, mit dem er einst als Kind gespielt hatte. Er berührte den Namen, und es war für ihn eine schmerzvolle, aber auch versöhnliche Begegnung. Er hatte Tränen in den Augen. Ich will es so sagen: Es ist richtig, dass man das NS-Dokumentationszentrum jetzt macht - aber man muss es richtig machen.

© SZ vom 22.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: