Nahverkehr:Der MVV-Tarifdschungel soll einfacher werden - aber das ist kompliziert

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Der "Ticketverkäufer" der MVG lässt sich mit wenigen Handgriffen bedienen - und ist mehrsprachig. (Foto: Robert Haas)
  • Die richtige Fahrkarte für den MVV am Automaten zu finden, ist nicht ganz einfach, das Tarifsystem scheint vielen zu kompliziert.
  • Experten arbeiten bereits seit Monaten an einer Vereinfachung.
  • Doch ein günstiges und gerechtes System ist schwer zu finden - und es wird dauern, bis es umgesetzt ist.

Von Marco Völklein

Gerd M. kann die Aufregung nicht verstehen. "Das MVV-Tarifsystem ist nicht kompliziert", schreibt er in einem Leserbrief an die SZ. Wer gelegentlich mit Bussen und Bahnen fahren wolle, der müsse in einem ersten Schritt unterscheiden, ob er eine Einzelkarte wolle oder eine Tageskarte. "Dann ist der Kauf des Fahrscheines ganz einfach", findet M. "Jede angefahrene Farbzone kostet zwei Streifen, wenn es keine Kurzstrecke ist."

Auch bei den Tageskarten gibt es mehrere Varianten - ebenfalls nach Farben sortiert. Weiß beispielsweise für den Innenraum, weiß und grün für "München-XXL". "Dann muss man nur den entsprechenden Fahrschein kaufen", sagt M. Fertig.

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Mit dieser Ansicht steht er allerdings relativ alleine da. Selbst im Rathaus rufen viele nach einer Reform des MVV-Tarifs. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte im Kommunalwahlkampf vor mehr als zwei Jahren eine Überarbeitung angeregt - "einfacher und gerechter" müsse es künftig im MVV zugehen. Und der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU), zugleich Sprecher der acht MVV-Landkreise, erwartet, dass die Münchner ihr Preismodell zum "modernsten Tarifsystem in Deutschland" weiterentwickeln.

Doch angesichts der jüngsten Vorfälle mit falsch gestempelten Fahrkarten und Kontrolleuren ohne Kulanz stellt sich die Frage: Wie steht es um die Reformbemühungen des Tarifgefüges? Und wie geht es weiter?

Tatsächlich hat sich der MVV der Wünsche der Politik angenommen. Seit Monaten tüfteln externe Gutachterbüros an Preis- und Tarifmodellen. Konkrete Vorschläge liegen noch nicht vor, soweit sind die Fachleute nicht. Noch versuchen sie, die Vorgaben zu bündeln und in ein neues Gefüge zu packen. Denn die Politik hat nicht nur die groben Linien vorgegeben ("moderner", "einfacher", "gerechter"), sondern es gibt auch konkrete Anforderungen. Reiters SPD beispielsweise will schon seit Längerem Jugendlichen und Auszubildenden einen günstigeren Tarif als den jetzigen bieten.

Nachlässe nicht nur für Schüler und Studenten

Einige Landräte und Verbände fordern, ähnliche Nachlässe auch Senioren oder sozial Schwächeren zu gewähren. Hinzu kommt, dass im derzeitigen System an den Zonengrenzen teils heftige Preissprünge zu verzeichnen sind. Der Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl forderte unlängst, den S-Bahnhof Oberschleißheim an den MVV-Innenraum anzudocken. Dann müssten Fahrgäste, die von dort aus zum Stachus möchten, nurmehr zwei Streifen stempeln statt aktuell vier.

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Das Problem der Preissprünge ließe sich, so hofft zumindest Niedergesäß, mit einem "kilometrischen" Grundtarif entschärfen, also einem System, bei dem der Fahrgast tatsächlich nur für die Strecke zahlt, die er fährt. Die Erfassung der Fahrt wie auch deren Abrechnung könnte über das Smartphone erfolgen. Das Handy soll dann erkennen, an welchen Haltestellen der Kunde ein- und aussteigt, darauf aufbauend den Fahrpreis automatisch berechnen und vom Konto abbuchen.

Die Hoffnung der MVV-Strategen ist auch, durch ein solchermaßen bequemes System die "Zutrittsschwellen zum Nahverkehr möglichst gering" zu halten und neue Kunden zum Umstieg vom Auto auf Busse und Bahnen zu motivieren. Vor Jahren schon hatte der Verkehrsclub Deutschland (VCD) gefordert, das MVV-System zu entrümpeln, um zusätzliche Kundengruppen zu erschließen. So manchem Fahrgast indes graut davor: Schon heute sind U- und S-Bahnen teils heillos überfüllt. Drängen noch mehr Kunden rein, wird es noch voller.

Ein weiteres Problem: Wer die Fahrten per Smartphone erfassen und abrechnen will, muss Fragen zum Datenschutz beantworten. Und er muss sagen, was er mit den Kunden macht, die kein Smartphone besitzen oder in ihrem Gerät die Ortungsfunktion bewusst deaktiviert haben, meist ebenfalls aus Datenschutz-Gründen. Auch hier feilen die Fachleute derzeit an Lösungen. Der Zeitplan sieht vor, dass ein erstes Grobkonzept bis Ende 2016 vorliegt. Danach wird man sich intensiv mit den Details beschäftigen müssen.

Das System soll gerecht sein

Denn Zielkonflikte sind programmiert: Einfache Tarife sind oft eher ungerecht; soll ein System gerecht sein, wird es gern kompliziert. Schon jetzt deuten sich schwierige Grundsatzentscheidungen an, über die in den MVV-Gremien intensiv zu verhandeln sein wird. Bis wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen? Niedergesäß sagt: "Im Jahr 2018 oder 2019 muss das Paket verabschiedet sein."

Spätestens dann werden alle im MVV auch sagen müssen, wie das finanziert werden soll. Denn das haben die Politiker auch sofort klar gemacht: Bei all der Reformarbeit, bei all den Wünschen nach Sonderangeboten für Senioren, Jugendliche und sozial Benachteiligte - unterm Strich sollen die Verkehrsunternehmen als Betreiber von Bahnen und Bussen "nicht schlechter gestellt werden". Zuschüsse von den Kommunen oder vom Freistaat soll es nicht geben; vielmehr soll die "Tarifergiebigkeit", also das Niveau der Fahrgeldeinnahmen, gehalten werden. Im Jahr 2015 kamen 820 Millionen Euro in die MVV-Kasse.

Am Ende könnten also die neuen Tarife deutlich über den jetzigen liegen - zumindest für diejenigen Kundengruppen, die nicht im besonderen Fokus stehen wie Jugendliche oder Senioren, beispielsweise die Nutzer von Wochen- oder Monatskarten. Zumal die MVV-Verantwortlichen seit Jahren argumentieren, das Tarifniveau im Zeitkartensegment sei verglichen mit anderen deutschen Verkehrsverbunden "ungenügend". Fahrgastverbände widersprechen vehement. Und kündigen bereits Widerstand gegen solche Ideen an.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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