Die geschätzten Baukosten liegen mittlerweile bei gut drei Milliarden Euro. Und der Zeitplan verschiebt sich immer weiter. Nicht nur Grüne und Freie Wähler, auch Umwelt- und Fahrgastverbände fordern nun erneut, das umstrittene Projekt zweite Stammstrecke endlich zu beerdigen und das Geld lieber in "realistische Alternativprojekte" zu stecken. Davon gibt es einige. Hier ein kurzer Überblick mit den wichtigsten Argumenten in der Zusammenschau.
Der Südring
Die Idee: Beim Blick auf den Stadtplan zeigt sich: Es gibt eigentlich schon eine zweite Stammstrecke, die den Haupt- und den Ostbahnhof miteinander verbindet - nämlich den Südring. Viele Gegner des geplanten zweiten Tunnels präferieren einen Ausbau dieser Strecke: Mehrere Planer haben bereits Entwürfe vorgelegt, es gibt Vorschläge zum Teil- wie zum Vollausbau.
Die Vorteile: Unter anderem würde mit einem Südringausbau das aufs Zentrum ausgerichtete Münchner Netz durch eine tangentiale Umfahrung erweitert; mit Knotenbahnhöfen am Heimeranplatz, an der Poccistraße und am Kolumbusplatz ergäben sich neue Knotenpunkte, die die überlasteten Stationen im Zentrum entlasten könnten. Zudem sei der Ausbau stückweise und somit günstiger zu haben als der Innenstadttunnel, sagen die Befürworter.
Pläne für die S-Bahn:Wie die zweite Stammstrecke München spaltet
Es dauert länger und wird noch teurer: Braucht die Stadt einen neuen Tunnel für die S-Bahn? Das sagen Gegner und Befürworter.
Die Schwierigkeiten : 2009 hatte eine vergleichende Studie ergeben, dass der Südring-Ausbau unwirtschaftlich sei gegenüber dem Innenstadttunnel. Daraufhin verwarfen Freistaat und Stadt die Idee. Die Südring-Befürworter sagen: Der Ringausbau wurde in der Studie absichtlich schlecht gerechnet, um der zweiten Röhre zum Durchbruch zu verhelfen. Sie fordern mittlerweile eine Neuauflage der Wirtschaftlichkeitsstudie, zumindest eine Neuberechnung des Tunnels. Ihre Hoffnung: Angesichts der erheblichen Kostensteigerungen beim Tunnel müsste sich dadurch eine Verschiebung der Sachlage zugunsten des Südrings ergeben. Doch bislang lehnt der Freistaat eine solche Neuberechnung ab. Hinzu kommt: Die Pläne für den Südring müssten noch detaillierter gefasst werden, eine Baugenehmigung dafür wäre erforderlich - beides, das hat sich beim Tunnel gezeigt, kann sich ziemlich lange hinziehen. Und: Klagen von Anwohnern dürfte es in Giesing - ähnlich wie bei den Tunnelplanungen in Haidhausen - ebenfalls geben.
Die Kombibahn
Verlängert man den Tunnel der U 5 von Laim bis zum Bahnhof Pasing, entstünde quasi eine zweite Stammstrecke. Sogenannte Zwei-System-Züge könnten dann aus der Innenstadt kommend von den U- auf die S-Bahn-Gleise wechseln und weiter in die Region hinausfahren. Ein ähnlicher Übergang wäre zum Beispiel in Neuperlach möglich - dort halten die U- und S-Bahnen heute schon auf einer Bahnsteigebene. In Riem könnte die U-Bahn verlängert werden, etwa nach Feldkirchen, und dort aufs S-Bahn-System wechseln.
Die Vorteile: Die bestehenden U-Bahn-Tunnel würden genutzt, zusätzliche Investitionen in neue Bauwerke fielen geringer aus als beim geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel. Zudem hatten die Planer der U-Bahn vor 50 Jahren deren Tunnelquerschnitte schon so dimensioniert, dass auch S-Bahnen dort locker Platz finden.
Die Schwierigkeiten: Unter anderem die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als Betreiberin der U-Bahn lehnt den Vorschlag ab. Sie sagt: Die U-Bahn habe mit ihren kürzeren Zügen und kürzeren Bahnsteigen geringere Aufnahmekapazitäten als die S-Bahn. Zudem, so die MVG, sei die Linie während des Oktoberfests am Anschlag - was die Befürworter der Idee vehement bestreiten. Außerdem würde die Anschaffung neuer Zwei-System-Fahrzeuge laut MVG viel Geld kosten. Die Befürworter der Kombibahn-Idee halten dagegen: Die mehr als 40 Jahre alten U-Bahnen müssen eh nach und nach erneuert werden. So hätte die MVG, wenn sie denn wollte, bei der derzeit laufenden Bestellung von neuen U-Bahnen (Typ "C2") eine Ausrüstung mit dem Zwei-System-Standard ja auch gleich mit in Auftrag geben können.
Verbesserungen im Bestand
Die Idee: Viele Fahrgäste sagen: Statt immer nur in die Zukunft zu schauen, müsste man akut etwas verbessern. So verkehren zum Beispiel viele S-Bahnen als "Vollzüge" mit nur zwei Waggons statt als "Langzüge", die aus drei Wagen bestehen. Durch längere Züge ließe sich die Kapazität heben. Zudem schlagen Tunnelgegner immer wieder vor, die bestehende Röhre aufzurüsten - zum Beispiel mit zusätzlichen Signalen, um so mehr Züge als bislang durch die Röhre zu schleusen.
Die Vorteile: Statt viel Geld im Untergrund zu verbuddeln, könnte man durch solche Maßnahmen mit verhältnismäßig wenig Aufwand relativ rasch den Fahrgästen das Leben deutlich erleichtern, argumentieren die Befürworter der Idee.
Die Schwierigkeiten: Die Deutsche Bahn als Betreiberin der S-Bahn sagt: Eine Aufrüstung der bestehenden Stammstrecke sei technisch nicht möglich. Mehr als 30 Züge pro Stunde und Richtung kriege man nicht durch die Röhre. Die Tunnelgegner bestreiten das: Bis zu 33 Züge seien drin. Beide Seiten haben dazu bereits Gutachten erstellt - eine Lösung ist nicht in Sicht. Zusätzliche Waggons lassen sich nach Angaben der Deutschen Bahn an die bestehenden Züge auch nicht einfach so anhängen, weil der hier eingesetzte Typ "ET 423" nicht mehr gebaut wird. Und die Fahrzeuge aus anderen Gegenden im Bundesgebiet abzuziehen oder Fahrzeuge einer anderen Baureihe einzusetzen - das sei nicht möglich, entweder aus technischen Gründen oder weil die 423er in den anderen S-Bahn-Räumen gebraucht würden. Hintergrund des Hickhacks ist aber auch: Weil der bestehende S-Bahn-Vertrag zum Jahresende 2017 ausläuft und offen ist, welches Unternehmen künftig die S-Bahn betreibt, hat die Deutsche Bahn aktuell auch eher wenig Interesse daran, den Münchner Betrieb massiv zu stützen.
Außenäste und Umfahrung
Die Idee: Statt auf die "große Lösung" im Untergrund zu schielen, würden viele kleinere Maßnahmen im Gesamtnetz helfen, den Betrieb zu stabilisieren - beispielsweise der Ausbau der bislang noch eingleisigen Außenäste auf zwei Gleise. Verspätungen, die sich von den eingleisigen Strecken ins Gesamtnetz einschleichen, könnten so künftig vermieden werden.
Die Vorteile: Jedes Projekt käme für sich gesehen günstiger als der teure Tunnel, zudem würden die Einzelideen aufeinander aufbauen. Immer wenn mal wieder ein paar Millionen übrig sind im Etat des Freistaats, könnte man das nächste Vorhaben angehen, sagen die Befürworter.
Die Schwierigkeiten: Als Beispiele genannt werden in dem Zusammenhang immer wieder zwei Projekte: der zusätzliche Regionalzughalt an der Poccistraße - er würde, etwa zur Wiesn, das Nahverkehrssystem entlasten. Und ein Gleisabzweig in Laim (Fachausdruck: "Sendlinger Spange") würde bei Blockade der bestehenden Röhre eine Umfahrung ermöglichen. Grundsätzlich haben Freistaat und Stadt den Charme dieses Ansatzes erkannt - und fordern viele Maßnahmen, unter anderem den Poccistraßen-Halt und die Sendlinger Spange. Es gibt sogar ein "Sofortprogramm" des Freistaats aus dem Jahr 2012, in dem viele Einzelmaßnahmen aufgelistet wurden. Nur findet sich seit Jahren niemand, der die Projekte nachhaltig vorantreibt - planerisch wie auch bei der Frage der Finanzierung. Die Tunnelgegner vermuten dahinter System: Mit den Plänen würde man unter anderem den Südring als Alternativstrecke aufwerten - und genau das wolle der Freistaat ja verhindern, um den Tunnel nicht zu gefährden.
Weitere Ideen
Weil eine Lösung des Dauerstreits nicht in Sicht ist, tauchen immer wieder neue Vorschläge auf, wie der Nahverkehr verbessert werden könnte. So hat der Fahrgastverband "Aktion Münchner Fahrgäste" ein Konzept namens "X-Bahn" entwickelt: Drei Linien sollen mit herkömmlichen Regionalzügen die Innenstadt entlasten - eine Pendellinie via Südring von Pasing zum Ostbahnhof, eine von Pasing zum Hauptbahnhof und eine von Dachau über den Nordring zum Ostbahnhof, um unter anderem das BMW-Forschungszentrum anzubinden. Ein anderes Konzept ("Südschleife") hat sich Joachim Falkenhagen aus Solln einfallen lassen: Er will einen Teil der Züge von Westen kommend auf den Südring leiten, an der Poccistraße in einen eingleisigen Tunnel abtauchen lassen und im Bogen zum Hauptbahnhof führen. Dort sollen sie wieder auftauchen und auf einer anderen Linie gen Westen fahren - so würde zusätzliche Kapazität zumindest für Züge aus Westen geschaffen. Beide Ideen wurden noch nicht intensiver diskutiert.