Er durfte die Bilddatei in der Mail nicht alleine öffnen, das hatten sie vereinbart. So fuhr Ferdinand Kraemer zu Peter Krause. Sie entkorkten ein Fläschen Wein. Und dann, klick, sahen sie zum ersten Mal - sich. Als Peter Crow C. und Mr. Jelly Roll mit Gitarre und Mandoline. Einen an eine Zimmerwand gelehnten Sarg flankierend, in dem ein finsteres Männlein mit Hörnern liegt. Gezeichnet hat dieses Cover ihrer neuen Platte "Satan's Funeral" Robert Crumb. Unverkennbar, diese meisterhaften Schraffuren, die Verliebtheit in jede Falte, die Detailversessenheit bis zu den Sarggriffen - der finstere Witz. "Das ist das Größte, was uns hätte passieren können," sagt Kraemer. Crumb kennt jeder, der sich ein bisschen für Comic-Geschichte interessiert. Crumb, der für Janis Joplin das Cover zu "Cheap Thrills" gezeichnet hat und das Angebot der Rolling Stones abgelehnt haben soll. Crumb, der in den 60ern und 70ern als Star der Szene mit Figuren wie Fritz the Cat an vorderster Front eines Kulturkampfes der jungen Generation stand und der 2009 die Genesis zu einem wuchtigen Comicwerk von überbordender Schönheit machte.
Peter Crow. C. und Mr. Jelly Roll spielen im kommenden Juni seit zehn Jahren als Black Patti miteinander. Sie haben sich auf die Unterhaltungsmusik eines untergegangenen Amerikas spezialisiert. Hier vermischen sich Blues, Bluegrass, Gospel. Und was man heute historisch verzerrt glaubt, säuberlich einsortieren zu können, ist im Sound dieser beiden, was es eigentlich war: ein lebendiges Wesen aus Melodien, Rhythmen, Traditionen, in dem aus Schwarz zu Weiß wird und umgekehrt. Wer heute solche Musik macht, bewegt sich in einer Szene mit tiefen Wurzeln, die von außen allerdings nicht so offensichtlich einsehbar ist.
Vor eineinhalb Jahren haben sie auf einem Festival einen Schellack-Händler kennengelernt, der zum Freund wurde. Er hatte Kontakt zum mittlerweile in Südfrankreich lebenden Crumb und nahm bei seinem nächsten Besuch das Black-Patti-Album "Red Tape" mit. Liest man in der Crumbschen Werkausgabe den Band "Mister Nostalgia" wird klarer, wie es kam, dass Crumb ein Cover für ein kleines Münchner Duo zeichnete. Denn Crumb ist ein hingebungsvoller, nun gut, fanatischer Sammler alter 78er-Schellack-Platten, der sich in einem Comic zeichnet, wie er in den 60ern an Türen klingelt auf der Suche nach dem alten Sound. Und dann ist da seine "Abhandlung über moderne Musik", deren Titel mit einer Frage Crumbs Sehnsucht fasst: "Wo ist sie hin, all die wunderschöne Musik unserer Großeltern?"
Black Patti hatten nicht erwartet, auf ihre Musik eine Reaktion zu bekommen. Crumb allerdings gefiel, was er hörte, und er ließ das durch den Plattensammlerfreund übermitteln. Das machte Black Patti solchen Mut, dass sie ihm wiederum die Demos zu ihrem im ersten Corona-Lockdown konzipierten neuen Album schickten. Es ist ein Album mit Konzept. Ausgewählt haben sie Spirituals, die man nicht mit der gängigen Vorstellung von Gospel verwechseln darf. Religiöse amerikanische Volkslieder sind es, die im Kern nichts mehr von der amerikanischen Popularkultur trennt, aus der sich die Popmusik speist. Es ist das thematische Nebeneinander von Kirche und Puff, Suff und Andacht, das in der amerikanischen Kultur nie aufgelöst wurde: "Samstagabend und Sonntagmorgen," sagt Kraemer.
Hier scheint ein Amerika auf, das einem aus westlicher Sicht so fremd ist und ein Nachhall vergangener Zeiten war, bis es in den letzten Jahren Dinge an die Oberfläche spülte, die hinter der zivilisierten Fassade Amerikas etwas lauernd Archaisches ahnen lassen. Black Patti allerdings habenden Bibel Belt nicht als Mode der Saison entdeckt. Mit den Frommen oder gar Bigotten wollen sie sich nicht gemein machen. Die Melodien zogen sie an. Deren Harmonieseligkeit ist ein dünner Vorhang. Fährt der Wind hinein, werden für Momente Tod und Verdammnis sichtbar. "Be Ready When He Comes" singen sie, wie einst der Bluesmann Skip James, und schon diese Zeile hat nichts Erbauliches. Sie ist ein Warnschild: Sei bereit! Der Tod schaut dir über die Schulter. In dieser Ahnung vom Ende der Zeit findet das Repertoires aus dem weißen und dem schwarzen Amerika zueinander. "Lonesome Valley" beispielsweise, sagt Kraemer finde man in unterschiedlichsten Versionen. Auf ihrer Platte steht Skip James neben dem ersten Country-Superstar Hank Williams. Für dessen "I Saw The Light" sind ihnen eigene Melodiewendungen eingefallen. Denn Black Patti sammeln nicht Songs für ein Soundmuseum. "Covern in diesem Zusammenhang ist ja total sinnlos", sagt Kraemer. Es geht bei diesen Lieder um eine "oral tradition", die mündliche Überlieferung, die schon mit einschließt, dass sich jeder das Material selber zurechtlegt. Beschränkt auf Gitarre, Mandoline, Mundharmonika und ihren Stimmen gehen Black Patti die Vorlagen an. Die Variation liegt im Feinen, wie dem dezenten Einsatz der Mandola, einer etwas größere Mandoline, die, sagt Kraemer, etwas erhabener und majestätischer klingt.
"Sounds like the real deal to me", schrieb Crumb. Ein Ritterschlag ist das, findet Kraemer, besser als jeder gute Gig. Denn Crumb ist ein Held in der Pre-War-Musik-Szene Amerikas, der selber auch Musik macht. In den 70ern beispielsweise mit den Cheap Suit Serenaders. Die Songs aus dem alten Amerika hat die Band auf 78ern veröffentlich. Crumb zeichnete die Cover, klar. Genauso wie für Labels, die altes Material wieder veröffentlichen, wie Yazoo Records. Und blättert man sich beispielsweise durch die Porträts in seinem Buch "Heroes of Blues, Jazz & Country" spürt man neben der Klangbegeisterung ein fundiert musikhistorisches Interesse an der Evolution der Popkultur aus der die Gesellschaft von heute wächst. Mit Black Patti hat Robert Crumb zwei gleichgesinnte Münchner Musiker gefunden, für die Vergangenheit auch eine Zukunft hat.