Kritik:Ein Hoffen auf Hoffnung

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Eindrucksvolle Saisoneröffnung der Münchner Philharmoniker mit Oksana Lyniv am Pult.

Von Rita Argauer, München

Kunst oder Politik? Für die Münchner Philharmoniker war diese Frage zuletzt nicht einfach. Und so ist das Programm zur Saisoneröffnung unbedingt als politisch zu verstehen: Die Ukrainerin Oksana Lyniv dirigiert in der Isarphilharmonie. Zunächst Valentin Silvestrovs "Elegie für Streichorchester": ukrainische Moderne mit stechenden Pizzicati, schwankenden Streichern - schwebend nervös. Danach Sofia Gubaidulinas "Der Zorn Gottes". Ein musikalisches Ereignis an sich. Tiefes Blech, dröhnend, fast wie ein Synthesizer. Danach stehende Streicher in den Mittellagen, undefiniert, ohne Halt von Oben oder Unten. Kriegstrommeln, Snare-Krach und Glockenlärm. Die musikalischen Ausbrüche Gubaidulinas sind eindeutig. Mit kühler Akkuratesse seziert Lyniv diese Erbarmungslosigkeit. Klug ist das. Denn was soll man dieser Musik noch hinzufügen? Sämtliche Verstärkung würde die Aussage schmälern. Und so wiegt der finale Dur-Akkord als Vollzug am Ende nur noch schwerer.

Max Regers "An die Hoffnung" erklingt dann in schwelender Ruhe, mehr ein Hoffen auf Hoffnung als echte Hoffnung. Das Orchester spielt verhalten, dennoch versinkt Wiebke Lehmkuhls Stimme beinahe darin, ein akustischer Wermutstropfen in einem sonst so pointierten Konzert. Es gipfelt in Auszügen aus Wagners "Parsifal", denen Lyniv den verklärten Ballast nimmt. Das Vorspiel beginnt recht laut, voller Klarheit. Grandios klingen die Bläser hier, ohne jeden Überwältigungsversuch stehen sie einfach da. Die Celli darunter kratzen an der Grenze zum Geräusch, rauen die Szenerie auf. Lyniv versetzt diese Musik, im immer gemäßigten Tempo, in einen permanenten Unterdruck. Der Philharmonische Chor zum Ritteraufzug weht düster vom ersten Rang. Ein großer Zauber entsteht, auch weil Lyniv gerade nicht auf Verzauberung setzt. Die Musik klart auf, das Hirn dazu, und Lyniv schiebt Wagner mit den Philharmonikern in Richtung Aufklärung. Was für eine grandiose Vorstellung von Erlösung. Auch politisch gesehen. Und es bleibt: Tosender Applaus und eine schwache Hoffnung, dass sich da vielleicht eine Kandidatin für eine sehr präsente vakante Stelle bei den Philharmonikern vorgestellt hat.

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