Marionettentheater:Haus im Glück

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Große Ehre für das kleine Haus an der Blumenstraße: Siegfried Böhmke trägt die Tafel mit der Auszeichnung "Immaterielles Kulturerbe Bayern". (Foto: Florian Peljak)

Intendant Siegfried Böhmke freut sich über den Titel "Immaterielles Kulturerbe Bayern" für das Münchner Marionettentheater.

Von Barbara Hordych, München

Das Münchner Marionettentheater trägt ab sofort den Titel "Immaterielles Kulturerbe Bayern". Eine Ehre, zu der Herr Strauß und Frau Merkel beifällig nicken. Freilich sind die beiden Klappmaulpuppen - die hat Intendant Siegfried Böhmke vor einigen Jahren gebaut. "Erich Lejeune beauftragte mich mit einer kleinen Geburtstagsshow für seine Frau Irene; da ließ ich diese beiden als Gratulanten auftreten", erinnert sich Böhmke und schmunzelt. Gelernt hat er das Klappmaulpuppen-Handwerk einst bei Muppets-Erfinder Jim Henson, in der Nachfolgesendung "Fraggles" spielte er in rund hundert Folgen mit.

Den Bau der Klappmaulpuppen - darunter auch Franz Josef Strauß und Angela Merkel - erlernte Siegfried Böhmke beim Muppets-Erfinder Jim Henson. (Foto: Florian Peljak)

Die Klappmaulpuppen stellen etwa 15 Prozent der rund 500 Ensemble-Mitglieder des Marionettentheaters, die übrigen 85 Prozent sind hölzerne Marionettenfiguren. Auch die hat Böhmke größtenteils selbst gebaut und geschnitzt, eingekleidet hat sie meistenteils seine Kostümbildnerin Eva Richter. So wie Pamina und Tamino, die an feinen Fäden hängend vor der Schreckensgruft stehen, die sie für die Feuer- und Wasserprobe durchqueren müssen. "Eine Szene aus der ,Zauberflöte', das war vergangenen Freitagvormittag die erste Schul-Sondervorstellung, die wir nach zwei Jahren wieder gespielt haben." Wie gut, dass sein Ensemble jederzeit einsatzbereit ist: "Die Fäden sind eingedreht, werden ausgedreht, schon kann es losgehen", sagt Böhmke.

Die Bewerbung für den Titel, der im übrigen nicht dotiert ist, war "eine halbe Doktorarbeit", sagt Böhmke. Wie Geschichte und Innovation sich in seinem Haus verbinden, wollte man genauestens wissen. Inwiefern die Tradition des Gründers Josef Leonhard Schmid, im Volksmund als "Papa Schmid" bezeichnet, weitergeführt, das Puppenspiel und die Technik des Puppenbaus in die heutige Zeit transferiert werde. Themen, zu denen Böhmke viel beitragen kann, schließlich leitet er seit 22 Jahren die Geschicke des klassizistisch anmutenden Säulen-Giebel-Musentempelchens an der Blumenstraße. Das gilt seit seiner Errichtung im Jahr 1900 als erster fester Theaterbau für Marionettentheater in Europa und ist ein architektonisches Kuriosum. Der auch innen bezaubernd extravagant ist, die Bühne und die 14 aufsteigenden Reihen im Zuschauerraum sind an barocken Vorbildern orientiert.

"Schon als Junge von elf Jahren war ich dem damaligen Intendanten Franz Leonhard Schadt behilflich", sagt Böhmke und lässt sein charakteristisches, kehliges Lachen hören. Damals hatte er mit seiner Mutter die Vorstellung des "Raketenkasperls" besucht, danach stand für ihn fest: Hier wollte er unbedingt mitmachen! Die Mutter hatte ein Einsehen und stellte den Jungen dem Direktor vor. "Ich durfte dann auch tatsächlich mithelfen, natürlich nicht als Puppenspieler. Aber ich bekam die Aufgabe, beim ,Gestiefelten Kater' in der Hintergrundkulisse eine kleine Kutsche an zwei Stäben entlangzuführen", erzählt Böhmke.

Später bot ihm Schadt eine Stelle als fester Mitarbeiter an. "Fortan war ich das Mädchen für alles, dazu gehörte das Toilettenputzen genauso wie das Puppenspielen und Kulissenbauen. Von meinem Vorgänger habe ich gelernt, wie eine Marionette geschnitzt und geführt wird", sagt Böhmke. Soviel zur Tradition. Die Moderne kommt ins Spiel, als er sich nach 13 Jahren verabschiedete und zu neuen Ufern aufbrach. "Mich interessierten die Fernsehpuppen, ich wollte die Arbeit mit ihnen kennenlernen. Also ging ich nach London, um mich in den Werkstätten von Jim Henson ausbilden zu lassen." Als ihn 1999 die Anfrage der Stadt - sie ist die Eigentümerin der Immobilie - erreichte, ob er die Nachfolge des knapp 90-jährigen Schadt antreten wolle, sagte er zu - und kam zurück nach München.

Gut gelaunt vor der Schreckensgruft: Siegfried Böhmke neben einer Kulisse der "Zauberflöte" und den Puppen Tamino und Pamina. (Foto: Florian Peljak)

Erst vor gut vier Wochen hat Böhmke sein Haus wieder eröffnet. Zuvor lag der Spielbetrieb in der Pandemie immer wieder über Monate hinweg brach. "Unter den seinerzeit geltenden Hygiene- und Abstandsregeln waren statt 190 nur 45 Leutchen im Saal erlaubt, das rechnete sich einfach nicht", erklärt Böhmke. Immerhin nutzten er und seine Mitarbeiter die Schließung für eine Rundumerneuerung. Eine neue Elektronik wurde eingebaut, dazu kamen Scheinwerfer, Bühnenwagen sowie ein hochmoderner Rollvorhang als Hintergrund, der auf Knopfdruck einen hellblauen oder goldgelben Hintergrund auf die Bühne zaubert, wie der Techniker stolz vorführt. 52 000 Euro ließ sich das Baureferat die Sanierung kosten, mithilfe der Spende eines Marionettentheater-Fans konnte Böhmke noch einmal 50 000 Euro drauflegen.

Vergangenes Wochenende veranstaltete er einen "Tag der offenen Tür", auch dies erstmals seit zwei Jahren. "Die Resonanz war groß, bestimmt 700 Leute kamen", freut sich Böhmke. In der Werkstatt wurden Marionettenfiguren verkauft, dazu ganze Konvolute von alten Märchenschallplatten sowie Blechdosen und Spielzeug. Auf der Bühne zeigte er Auszüge aus Kinderstücken, für die Erwachsenen den "Münchner im Himmel". "Sie haben einen traumhaften Beruf", hätten ihm zwei Besucherinnen vorgeschwärmt, nachdem sie erst die Bühne besichtigt und dann auf den schmalen Stiegen in den Marionettenfundus hinaufgestiegen waren.

Im Fundus wartet das Ensemble auf seinen Einsatz: die Darsteller von "Felix Spürnase" (unten) und "Don Giovanni" (oben). (Foto: Florian Peljak)

Doch der Traum kostet. Vor allem viel Durchhaltevermögen, wenn während der Schließungsmonate die Einnahmen wegbrachen, die sechs festen Mitarbeiter in Kurzarbeit waren. Aber jetzt blickt der Intendant hoffnungsvoll in die Zukunft. Für die große "Tabaluga"-Produktion, die am 5. November Premiere haben soll, stehen oben im Fundus bereits vier Darstellerinnen bereit: drei Bienen und ihre Königin. Behutsam hebt Böhmke die Hand der Letzteren. Sie besitzt rot lackierte Fingernägel, die Füßchen stecken in zierlichen roten Pumps mit Pelzbesatz. Es ist diese besondere Liebe zu Details, die den speziellen Charme seiner Kreationen ausmacht.

Vier Bienen gibt es bereits für die große "Tabaluga"-Produktion, die im Herbst Premiere haben soll. (Foto: Florian Peljak)

Auch unten in der Werkstatt kann man an diesem Vormittag einen Blick auf die Zukunft erhaschen: Sie wird hergerichtet für Dreharbeiten zur RTL-Produktion "Neue Geschichten vom Pumuckl" in der Regie von Marcus H. Rosenmüller. "Die Original-Werkstatt von Meister Eder im Lehel existiert ja nicht mehr, deshalb sprachen sie mich an", sagt Böhmke. In der neuen Serie ist der Neffe des Meisters in der Werkstatt tätig. Und der hat eben mehr Puppen als Tischlerhandwerk im Kopf.

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