Wiedereröffnung:Erwachen der Puppen

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Das Münchner Marionettentheater öffnet nach sechsmonatiger Pause wieder seine Pforten. Die Zeit haben Intendant Siegfried Böhmke und seine Mitarbeiter für eine Rundumsanierung von Bühne und Technik genutzt

Von Barbara Hordych

Diese ganz besondere Vorstellung im vergangenen August werden die jungen Besucher im Münchner Marionettentheater bestimmt nicht vergessen: Noch während das Stück "Die Abenteuer des kleinen Bären" über die Bühne ging, heulte eine Sirene los, kurz darauf stand ein ganzer Trupp Feuerwehrleute vor den Pforten des Hauses an der Blumenstraße 32. Auslöser war ein Schwelbrand in der Elektrikanlage unten im Keller, der über die Rauchmelder den Alarm ausgelöst hatte. "Obwohl die Hauptfeuerwache praktisch gegenüber, in nur 30 Meter Entfernung liegt, kamen sie mit einem riesigen Feuerwehrauto angerückt; was die Kinder aber sicherlich spannender fanden als die Vorstellung", sagt Siegfried Böhmke und schmunzelt.

Der Intendant sitzt an diesem Vormittag hoch oben im Zuschauerraum seines kleinen Theaters, auf der Bühne laufen Vorbereitungen für eine Probe am Mittag. Eigentlich bieten die 14 ansteigenden Sitzreihen im Saal 190 Zuschauern Platz. Wenn das Haus am kommenden Samstag, 19. September, nach einer sechsmonatigen Pause wieder eröffnet - abermals läuft das Stück "Die Abenteuer des kleinen Bären" -, dürfen allerdings nur 42 Gäste kommen. Mehr ist mit dem genehmigten Hygienekonzept nicht möglich. "Der Grund dafür ist unser winziges Foyer, das es nicht zulässt, allzu viele Besucher aneinander vorbeizuschleusen", sagt Böhmke. Dabei bleibt schon der Kiosk geschlossen, an dem normalerweise Speis und Trank in der Pause verkauft werden. Stattdessen hat Böhmke ein System ausgeklügelt, nach dem künftig Erfrischungen vor der Vorstellung auf einem Zettel bestellt und in der Pause von den Mitarbeitern an den Platz gebracht werden können. Doch zurück zu den Abenteuern des kleinen Bären, die mit dem Auftauchen des großen Feuerwehrautos eine unerwartete Wendung nahmen. So groß die Aufregung seinerzeit auch war, barg sie doch auch etwas Gutes. Die Stadt, die Eigentümerin der Immobilie ist, schickte einen Sachverständigen vorbei. Aus dessen Gutachten ging hervor, dass die Elektronik dringend eine Generalüberholung bräuchte. "Die stammte noch aus den Achtzigerjahren; ein Austausch war überfällig", sagt Böhmke. 52 000 Euro stellte das Baureferat der Stadt für die Sanierung zur Verfügung.

Obwohl er das "C-Wort" eigentlich nicht mehr hören kann, kommt es Böhmke doch in die Quere, wenn er über den Grund für die sechsmonatige Schließung seines Hauses spricht, die im März auf einen Schlag seine Zukunftspläne durchkreuzte. Zu denen auch ein vierwöchiges Festprogramm gehörte, denn in diesem Jahr stehen eigentlich gleich zwei Jubiläen an: Vor 120 Jahren zog Josef Leonhard Schmid, im Volksmund als "Papa Schmid" bezeichnet, mit seinem Marionettentheater in den eigens dafür errichteten Bau an der Blumenstraße ein. Das im Jahr 1900 eröffnete, nach außen klassizistisch wirkende Säulen-Giebel-Musentempelchen für Kinder gilt nicht nur als architektonisches Kuriosum, sondern auch als erster fester Theaterbau für Marionettentheater der Welt. Das auch innen bezaubernd extravagant daherkommt, sind Bühne und Zuschauerraum doch an barocken Vorbildern orientiert.

Daneben hat auch der Intendant selbst Anlass zu feiern: Der Puppenspieler, der unter anderem bei "Sesamstraßen"-Gründer Jim Henson seine Ausbildung absolvierte, hat vor 20 Jahren die Leitung des Hauses übernommen. Von seinem damals knapp neunzigjährigen Vorgänger Franz Leonhard Schadt, bei dem er 13 Jahre lang Mitarbeiter gewesen war.

Heute gebietet Böhmke über ein "Ensemble" von rund 400 Marionetten, darunter auch die selbst gebauten Klappmaulpuppen, die er als neue "Mitspieler" eingeführt hat. Doch sie alle waren plötzlich ruhig, ungewohnte Stille zog in das Theater ein. Bis nach eineinhalb Monaten die sechs festen Mitarbeiter zu Böhmke sagten: "Chef, wir wollen wieder arbeiten". Und da beschloss der Chef, noch 50 000 Euro draufzulegen und mit seinem Team den Bühnenbereich zu erneuern. Dieses Geld wiederum stammte aus einer hohen Spende, die er vergangenes Weihnachten von einem Marionettentheater-Fan erhalten hatte, "dem ich versprechen musste, seinen Namen nicht zu nennen", sagt Böhmke. "Jedenfalls dachte ich mir: Wenn jetzt sowieso geschlossen ist, dann nutzen wir die Zeit doch für eine Rundumrenovierung".

Seitdem ist im Haus viel geschehen. Jetzt gibt es also nicht nur eine neue Elektronik, sondern auch eine ganze "Armada" von blinkenden Scheinwerfern, neuen Bühnenwagen sowie einen hochmodernen Rollvorhang als Hintergrund, der auf Knopfdruck einen hellblauen oder goldgelben oder dunkellila Hintergrund auf die Bühne zaubert. "Ich hoffe, dass diese Technik nun mindestens die nächsten zwanzig Jahre hält", sagt Böhmke. Durch den städtischen Zuschuss in Höhe von 346 000 Euro zum privat geführten Marionettentheater sei der Betrieb des Hauses noch bis Ende des Jahres gesichert, erklärt er. Wie es allerdings mit der jährlichen Fördersumme für das kommende Jahr aussieht, entscheidet sich erst in einer Sitzung des Kulturreferats im Oktober. "Wenn das Niveau der Vorjahresförderung erhalten bliebe, wäre ich heilfroh", sagt der Intendant. Doch dahinter stehe jetzt angesichts des "C-Wortes", das über allem schwebe, ein "dickes Fragezeichen", so Böhmke. Sorge bereitet ihm insbesondere der Gedanke an die Vorweihnachtszeit, die in der Regel durch die Vormittagsvorstellungen für die Schulen und Kindergärten 40 Prozent der Einnahmen im Jahr ausmachten. "Jetzt können wir nur noch vor eineinhalb Schulklassen spielen", rechnet Böhmke vor.

Trotzdem blickt er voller Tatendrang nach vorne, wurde in den letzten Wochen die Arbeit an Kostümen und Kulissen fortgesetzt, hat er an neuen Stücken und Konzepten gefeilt. Für das erwachsene Publikum gehen heute Mittag die Proben für die Inszenierung des Carl-Orff-Stücks "Astutuli" weiter, das am 10. Oktober Premiere feiern soll. Und für die Jüngeren hat er sich die Rechte an Peter Maffays Musical "Tabaluga" gesichert. "Dass wir überhaupt wieder spielen können, ist eine Freude, auch wenn die Umstände miserabel sind", sagt Böhmke. Und fügt hinzu: "Wissen Sie, was mir während der Schließung am meisten gefehlt hat? Die Vorfreude der Kinder, ihr Lachen im Foyer."

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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