Prozess am Zivilgericht:Blutende Wunde beim Theaterbesuch

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In erster oder zweiter Reihe will die in den Münchner Kammerspielen geschädigte Zuschauerin künftig nicht mehr im Theater sitzen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein vier Meter langer Holzstab fliegt von der Bühne der Münchner Kammerspiele und trifft eine Zuschauerin am Auge. Ein vermeidbarer Unfall? Die Rentnerin verklagt die Landeshauptstadt auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Von Andreas Salch

Die Münchner Kammerspiele stehen nicht mehr auf dem Programm einer Rentnerin aus dem Ostallgäu. Der Grund, weshalb die 74-Jährige das Haus in der Maximilianstraße fortan meidet und sich auch in anderen Theatern nie wieder in die erste oder zweite Reihe setzen wird, hat mit einer im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhaften Erfahrung zu tun. Denn bei der Inszenierung "Der Sprung vom Elfenbeinturm" der Regisseurin Pinar Karabulut Anfang Juni 2022 wurde die Seniorin, die damals in Reihe zwei saß, von einem vier Meter langen Holzstab mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern getroffen, der von der Bühne fiel.

Der Fauxpas passierte gegen Ende der Inszenierung. Die Rentnerin erlitt eine blutende Wunde unter dem rechten Auge. Ein Theaterarzt war zur Erstversorgung schnell zur Stelle. Er diagnostizierte eine Schnittwunde und Schwellung am Jochbein sowie ein Hämatom. Seit dem Vorfall klagt die 74-Jährige über ein tränendes Auge sowie ein "chronifiziertes Schmerzsyndrom". Da es sich bei den Kammerspielen um ein städtisches Theater handelt, verklagte sie die Landeshauptstadt vor dem Zivilgericht München I auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von 9487,50 Euro.

Wie es dazu kam, dass der Holzstab im Publikum landete, war in der Verhandlung am Dienstag vor der 47. Zivilkammer strittig. Die Klägerin behauptete, einer der Schauspieler habe den Stab im Rahmen der Aufführung "mit voller Wucht" gegen die Rampe, also den vorderen Bühnenrand "geschmissen". Dummerweise aber verfehlte der Mime diesen, sodass der Holzstab im Zuschauerraum einschlug und die Klägerin am Auge traf.

Die Anwältin der Stadt München indes trug vor, der Darsteller habe mit dem Stab andeuten wollen, wie ein Stabhochspringer ins Publikum zu springen. Leider habe er den Stab jedoch fallen lassen, worauf dieser "ins Publikum gerutscht" sei. Aus Sicht des Anwalts der Rentnerin stellt ein vier Meter langer Holzstab auf einer Theaterbühne ein "nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial" dar. Gegen einen Unfall, wie er seiner Mandantin widerfahren sei, hätte der Veranstalter Vorkehrungen treffen müssen.

Ein Unglück oder "etwas, das man hätte voraussehen können"?

Verletzungen von Zuschauern durch eine Theateraufführung sind keine Seltenheit. In der Rechtsprechung finde sich etwa der Fall eines Zuschauers, der bei einer Faust-Aufführung infolge eines Schusses, der auf der Bühne abgefeuert wurde, ein Knalltrauma erlitten habe, erklärte die Vorsitzende Richterin. Als weiteres Beispiel nannte sie den Fall einer Frau, die sich mit ihren Stöckelschuhen in einer Matte im Theater verfangen habe. Laut obergerichtlicher Rechtsprechung müsse der Veranstalter dafür Sorge tragen, dass "niemand verletzt wird", stellte die Richterin fest.

Im vorliegenden Fall stelle sich die Frage, ob es sich um ein Unglück handele oder "aber etwas, das man hätte voraussehen können". Ihrer Einschätzung nach, so die Richterin, hätte man "wohl eher überlegen müssen", wie verhindert werden kann, dass ein vier Meter langer Holzstab ins Publikum fliegt. Womöglich hätte ein Korridor vor der Bühne geschaffen werden oder aber die ersten beiden Zuschauerreihen hätten frei bleiben müssen.

Ob denn eine gütliche Einigung zwischen den Parteien möglich wäre, fragte die Richterin schließlich die Anwältin der Stadt und den Vertreter der Klägerin. Die Frage beantwortete die Vertreterin der Landeshauptstadt mit Ja, fügte aber hinzu, dass dies von der Höhe des geforderten Betrags abhänge. 5000 Euro lautete ihr Vergleichsangebot. Nach einer kurzen Beratungspause mit ihrem Anwalt stimmte die Rentnerin zu.

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