Circus Roncalli:Bissig, auch ohne Tiere

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Elefanten erscheinen bei Roncalli nur noch als hübsche Videoprojektionen. (Foto: Leonhard Simon)

Die Premieren-Vorstellung des Circus Roncalli im Werksviertel wird das erwartete völkerverbindende Nostalgie-Fest. Nur Direktor Bernhard Paul stänkert - gegen die Stadt.

Von Michael Zirnstein

Der Zirkus ist in der Stadt - für viele Grund zu kindlicher Freude. Nur Tierschützer protestieren dann meistens, aber beim Circus Roncalli gibt es diesbezüglich nichts mehr zu schimpfen. Elefanten erscheinen hier seit 2018 nur noch als hübsche Videoprojektionen auf einem Schleiervorhang um die Manege herum. Da könnten wiederum Zirkuspuristen meckern: Einem Zirkus ohne Bestien, ohne die Gefahr des Löwenmauls und die Zähmung des Wilden, dem fehlt doch was.

Wie gut, dass es Bernhard Paul gibt. Der Direktor in der Lederjacke macht diesmal einen auf Biest. In der Begrüßung des Premierenpublikums wird der 76-Jährige bissig, knurrt gegen das Gendern ("liebe Kinder und Kinderinnen") und keilt gegen die Stadt München und die nicht vorhandene Kulturförderung für Kunst in der Manege wie die seine, überhaupt zähle der Zirkus seit den Nationalsozialisten nicht mehr zur Kultur. Und dann tut er etwas sehr Unfeines in der Show-Branche, er spricht über Geld: "70 000 Euro für vier Wochen! Wir haben zuerst gedacht, die wollen uns den Platz verkaufen. Das ist der teuerste Platz, den wir je gemietet haben."

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"Buuuh!" Das Publikum schämt sich für sein München. Wobei: Das wundervolle, gut beheizte Nostalgie-Zelt steht auf dem Privatgelände von Werner Eckart im Werksviertel, sehr instagrammable hinter dem Riesenrad, auf der Baubrache für das geplante Konzerthaus des Freistaats, der dafür Erbpacht bezahlt. Wie auch immer das nun verrechnet wird, die Stadt kassiert wohl eher nicht ab.

Die Stimmung ist nach dieser Begrüßung auf dem Boden, es kann nur aufwärtsgehen. Das tut es zum Beispiel bei der Jonglage von Danil Lysenko. Der Ukrainer darf er sich mit 24 schon Inhaber diverser Weltrekorde nennen. Bis zu elf Ringe wirft er hinauf unter die Kuppel und fängt sie wieder auf. Von der nüchtern-sportlichen Inszenierung her wäre allerdings Luft nach oben.

Das gilt für auch für das Gesamtkonzept des Programms "All for Art for All": Anfangs schreiten einige Artisten als Tableaux vivants einher, als lebende Mona Lisa, Mann mit Goldhelm, Munchs Schrei und so weiter. Maria Sarach windet sich als Handstand-Artistin aus einem Mondrian-Grafik-Bild und krümmt dessen Rechtecke durch ihre Schlangenlinien. Aber der feine rote Faden der Kunst verblasst mehr und mehr, bald folgt Nummer auf Nummer.

Die Stärksten sind wieder mal die Weichsten

Auch Nummerngirls folgen, das Roncalli-Ballett: nicht mehr zeitgemäß. Was soll es einem sagen, wenn Frauen in Business-Anzügen ohne Hosen tanzen? Dass man als Frau Karriere machen kann, aber nur mit sexy Beinen? Die stellt auch Lili Paul-Roncalli zur Schau, Pauls in München geborene Tochter. Die Let's-Dance-Gewinnerin verknotet ihre Glieder im Ganzkörper-Nylonstrumpf bei einer Räkelei auf einem Billardtisch. So sahen Männerphantasien in alten Erotikfilmchen aus.

Starke Männer dominieren hier. Wie die russische Schleuderbretttruppe Jump 'n' Roll, und ja, man freut sich, hier einmal wieder etlichen Moskauer Vorzeigeathleten - übrigens ganz friedlich im Wechsel mit ukrainischen Artisten - applaudieren zu dürfen. Standing Ovations bekommen gar die kolumbianischen Muskelmänner Hermanos Acero, die sich höchst spannend stemmen und balancieren. Aber zum Glück gibt es modernere Geschlechter-Spiele: wenn etwa beim Duo Turkeev sie ihn an den Strapaten im Spagat fliegend mitschleppt. Oder wenn bei einem Equilibristik-Pärchen aus Fulda die Vanessa den Sven auf ihrem ausgestreckten Unterschenkel einen Handstand üben lässt. Krass!

Beim "Duo Turkeev" schleppt sie ihn an den Strapaten im Spagat fliegend mit. (Foto: Leonhard Simon)
Die Clowns sind wahre Multitalente - und ihrer Zeit immer voraus. (Foto: Leonhard Simon)

Aber die Stärksten sind wieder mal die Weichsten: die Clowns. Denn die Akrobaten sind eher die Pausenfüller eines Festivals des Lachens. Die Spaßmacher sind bei aller Nostalgie als echte Queer-tisten ihrer Zeit immer voraus: Multitalente, die jonglieren, tanzen, zaubern, poetisieren und Hausmeisterdienste erledigen - diese aber auch gerne an Zuschauer übertragen, wie an jenen Herren, der gefühlt die ganze Vorstellung lang einen angeblich einsturzgefährdeten Mast halten muss. Streng überwacht vom "Wiu-Wiu"-Clown mit rotem Haarkranz.

Der russisch-ukrainische Israeli Anatoli Akerman ist der größte Star hier in der Manege. Er hinterlässt nach seinen Nummern stets ein Chaos wie ein unordentliches Kind in seinem Zimmer, spricht wie die Mainzelmännchen ("Guudn Aaaaabnd!") und hat Haxen mit Beulenknien wie Karl Valentin. Roncalli gehört eben doch nach München, und Bernhard Paul mag's hier ja auch, er hat versprochen, wiederzukommen.

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