Die Sache schien klar zu sein: Das in die Jahre gekommene Mehrfamilienhaus in Bogenhausen, erbaut 1967, sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Aus bisher neun Mietwohnungen mit insgesamt 327 Quadratmetern würden dann neun etwas größere Mietwohnungen auf 506 Quadratmetern. Die Eigentümerfamilie stellte einen Bauantrag. Und erfuhr kurz später vom Münchner Sozialreferat, dass für den Neubau eine Mietobergrenze gelten wird: maximal fünf Prozent über Mietspiegelniveau, wie der entsetzte Bauherr berichtet. "Dann aber rentiert sich der komplette Neubau nicht."
Die Eigentümer waren eigentlich davon ausgegangen, dass für Neubauten keine Vorgaben in puncto Mieten gelten, so sieht es das Gesetz vor. "Die Stadt setzt sich über Bundesrecht hinweg", ärgert sich Rechtsanwalt Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Verbands "Haus und Grund". Da sich die hohen juristischen und energetischen Anforderungen an Neubauten niemals über Mietspiegelmieten hereinholen ließen, verhindere die Stadt München letztlich den Neubau von Wohnungen. "Das hat drastische Auswirkungen", sagt Stürzer.
In dem Bogenhausener Gebäude etwa dürften laut Mietspiegel künftig weniger als zwölf Euro Miete je Quadratmeter verlangt werden. Bei Neubauten hingegen seien normalerweise Marktpreise von mehr als 20 Euro drin, so Stürzer. Dazu kommt: Da aktuell die Mietpreise im Bogenhausener Mehrfamilienhaus rund zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, bedeutet das für die Bauherren: Sie investieren zwei Millionen Euro in ein neues Haus, in dem dann weniger Miete verlangt werden kann als im bestehenden Sechzigerjahreblock. Die Eigentümer wollen nun Klage gegen die Stadt erheben.
Was die Hausbesitzer so wurmt, ist Teil der umfangreichen städtischen Bemühungen, den stetigen Anstieg der Mieten einzubremsen. Das Instrument dafür heißt Zweckentfremdungssatzung. Als Zweckentfremdung gilt etwa, wenn aus Wohnungen Büros werden sollen. Aber auch der Leerstand von Wohnungen und - wie in Bogenhausen - der Abbruch eines Hauses fallen unter diesen Begriff.
Zweckentfremdungen müssen von der Stadt genehmigt werden. Beim Abbruch eines Mietshauses erteilt das Sozialreferat Auflagen für den Neubau, und die wurden zum Jahreswechsel 2019/2020 verschärft. Davor reichte es aus, ersatzweise irgendwo in München Wohnungen zu errichten - ob Miet- oder Eigentumswohnungen war egal. Was in der Praxis dazu geführt habe, dass vergleichsweise günstige und baulich vernachlässigte Häuser abgerissen und durch größere Wohnungen ersetzt wurden, die für die bisherigen Bewohner aber unerschwinglich seien, beklagten die Rathaus-Grünen im Januar 2019. Sie beantragten daher, die Kriterien zu verschärfen; das beschloss dann im Oktober 2019 der Stadtrat mit breiter Mehrheit. Seitdem müssen Mietwohnungen durch Mietwohnungen ersetzt werden, die an gleicher Stelle oder zumindest in einem vergleichbaren Umfeld liegen - und deren Miete sich am Mietspiegel orientiert.
Der Fünf-Prozent-Aufschlag über Mietspiegelniveau, von dem die Bogenhauser Eigentümergemeinschaft berichtet, gibt dem Sozialreferat Rätsel auf. Eigentlich gebe es diese Klausel nicht, heißt es dort, die Maximalmiete liegt also in Wahrheit noch etwas niedriger.
"Der Verlust von günstigem Wohnraum in Innenstadtlagen verändert Zug um Zug ganze Viertel", begründet Sozialreferentin Dorothee Schiwy die neue Satzung. Neu gebaute Eigentumswohnungen könnten sich inzwischen nur noch wenige leisten. "Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, ehemaligen Mietwohnraum nach Abbruch eines Hauses auch wieder als bezahlbaren Mietwohnraum in gleicher Wohnlage anzubieten", sagt Schiwy. "Ein bloßer Abriss von Wohngebäuden in beliebten Innenstadtlagen und die Schaffung von Ersatzwohnraum in Stadtrandlagen ist mit den neuen Regelungen grundsätzlich nicht mehr möglich." Bislang ist es laut Schiwy zu früh, die Folgen der Verschärfung zu beurteilen. Vor Gericht gezogen sei bisher aber noch niemand, und die Zahl der Anträge auf Zweckentfremdung sei auch nicht zurückgegangen.
In den Erhaltungssatzungsgebieten gilt eine Art Milieuschutz
Beim Verband "Haus und Grund" schrillen trotzdem die Alarmglocken. Offenkundig sei die neue Regelung vielen Hausbesitzern noch gar nicht aufgefallen, vermutet Stürzer, der selbst erst durch den Fall in Bogenhausen von der Mietobergrenze erfahren hat. Der Anwalt erwartet "kontraproduktive Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt", schließlich müsse auch die Stadt Interesse an Wohnungs-Neubauten haben. Der Bundesgesetzgeber habe Neubauten mit gutem Grund vom Mietspiegel-Prinzip der ortsüblichen Vergleichsmiete ausgenommen.
Tatsächlich macht die Stadtspitze seit Langem keinen Hehl daraus, dass sie die Berliner Bemühungen um bezahlbare Mieten für unzureichend hält. Da eine Kommune wie München keine allgemeinen Mietobergrenzen festlegen kann, behilft sie sich mit den unterschiedlichsten Stellschrauben. Prinzip: Bestehende Mietverhältnisse so gut wie möglich schützen und bei Neubauten einen festen Anteil bezahlbarer Wohnungen vorgeben. So gilt in den vor allem in der Innenstadt gelegenen Erhaltungssatzungsgebieten eine Art Milieuschutz - was bedeutet, dass Luxussanierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen von der Stadt abgesegnet werden müssen. Das dämpft den Anstieg der Mieten. Gelangt ein Haus auf den Immobilienmarkt, verfügt die Stadt über ein Vorkaufsrecht - und verzichtet nur darauf, wenn sich der Käufer zu strengen Mieterschutzklauseln verpflichtet, zu denen auch eine Mietobergrenze gehört.
Auf Neubauten nimmt die Stadt über die sozialgerechte Bodennutzung (Sobon) Einfluss: Als Ausgleich für neues Baurecht und damit die Wertsteigerung des Grundstücks müssen Bauherren einen Beitrag zur sozialen Infrastruktur leisten und 40 Prozent des Wohnraums für sozial geförderte oder zumindest bezahlbare Wohnungen reservieren. Auf kommunalen Grundstücken legt die Stadt mieterfreundliche Vorgaben für Bauherren fest (konzeptioneller Mietwohnungsbau).