Münchner Volkstheater:Das Tier in mir und neben mir

Lesezeit: 3 min

Zweite Inszenierung in München, erste Hauptrolle: Maral Keshavarz als Dora in "Über Menschen". (Foto: Gabriela Neeb)

Maral Keshavarz ist neu im Ensemble des Münchner Volkstheaters, und schon steht sie in einer Hauptrolle auf der Bühne. Mit ihr als Dora inszeniert Intendant Christian Stückl Juli Zehs Roman "Über Menschen".

Von Yvonne Poppek

Ort und Zeitpunkt hätten für den ersten Auftritt nicht besser sein können. München war Mitte Oktober in Feierlaune, das neue Schwere Reiter, die Isarphilharmonie waren gerade eröffnet worden, dann folgte das neue Volkstheater. Die Pandemie schien eine Pause zu machen, die Säle waren voll besetzt, Maske musste niemand tragen, die Abende waren lau. Und genau da, in der zweiten Inszenierung im neuen Haus an der Tumblingerstraße, zeigte sich Maral Keshavarz das erste Mal dem Münchner Publikum. Und zwar als Ziege.

Das klingt jetzt nicht nach einem perfekten Debüt. Genauer betrachtet war es das aber doch. Zum Einzug des Volkstheaters ins Schlachthofviertel hatte Jessica Glause das Stück "Unser Fleisch, unser Blut" über Tiere, Fleisch, Produktion und Konsum entwickelt und als Ensemblestück auf die Bühne gebracht. Keshavarz spielte eben die Ziege und eine Bäuerin, deutete sie scheu, nervös, zerbrechlich, am Rande der Erschöpfung, auch mal zickig. Obwohl großenteils hinter einer enormen Ziegenmaske verborgen, kitzelte Keshavarz feine Nuancen aus ihren Figuren heraus, wer wollte, konnte an diesem ohnehin sehr guten Abend eine Entdeckung machen.

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In jedem Fall war ihr Auftritt eine Empfehlung ans Haus. Denn nun steht die 27-Jährige in ihrem zweiten Stück in München in der Hauptrolle auf der Bühne. Intendant Christian Stückl hat Juli Zehs Roman "Über Menschen" für die Bühne adaptiert. Das Buch, erschienen im März 2021, stand wochenlang auf den Bestsellerlisten ganz oben. Zeh hat als eine der ersten die Corona-Situation im ersten Lockdown beschrieben. Wobei die Pandemie nicht im Vordergrund des Romans steht, sondern das Leben in einem fiktiven Dorf in Ostdeutschland namens Bracken. Dorthin zieht die Hauptfigur Dora, Berliner Werbetexterin, mit ihrem Hund. Ihr direkter Nachbar ist der Dorfnazi Gote, ihre Beziehung zueinander, zunächst von Abneigung geprägt, verändert sich zusehends.

Eine vage Beziehung: Jakob Immervoll spielt den Dorfnazi Gote, Doras (Maral Keshavarz) neuen Nachbarn. (Foto: Gabriela Neeb)

"Ich kann mich gut mit Dora identifizieren", sagt Keshavarz bei einem Gespräch ein paar Tage vor der Uraufführung. "Sie kommt oft nicht weiter. Zweifelt viel, weiß oft nicht, was richtig ist." Überhaupt mochte sie Juli Zehs Roman, sagt sie, die präzisen Beschreibungen, dass es nicht um Klischees, sondern um Beziehungen gehe. Insbesondere das Verhältnis zwischen Dora und Gote findet sie spannend, da es im Vagen bliebe, unklar, was sie füreinander empfinden. "Ich habe mich oft bei den Proben gefragt: Könnte ich mich in einen Nazi verlieben? Macht man das?" Einen Moment scheint Keshavarz in sich hinein zu horchen, den befremdlichen Gedanken innerlich noch einmal zu betasten. Wach schaut sie dabei aus, eher vergnügt, als schwermütig. So wie jemand, der nächtelang solche Gedankenspiele diskutieren kann und deren Energie dabei nicht nachlässt.

Die 27-Jährige hat Intendant Stückl direkt von der Universität weg ins Ensemble geholt. Von 2017 bis 2021 studierte sie an der Universität der Künste Berlin. "Ich wollte immer Schauspielerin werden", erzählt sie. Allerdings ging es ihr dabei zunächst um den Film. "Fernsehen und Film waren bei uns immer Thema", erinnert sie sich. 1994 wurde Keshavarz in Teheran geboren. Als sie 16 Jahre alt war, zog die Familie nach Berlin. Mit 17 Jahren begann sie, Deutsch zu lernen, sagt sie, mit 21 holte sie ihr Fachabitur nach. Das Beeindruckende ist: Keshavarz spricht akzentfrei Deutsch. "Akzent kann auf der Bühne charmant sein, aber ich mag das nicht", sagt sie.

Die Liebe zum Theater hat sie selbst entwickelt

Dass sie nun auf der Bühne steht und nicht vor der Kamera, hat mit ihrer Faszination für das Theater zu tun. In Berlin sah sie in der Schaubühne "Tartuffe", "Nachtasyl" und dergleichen. Anfangs habe sie nicht einmal alles verstanden. Trotzdem: "Das war für mich: Wow, ich will unbedingt auf der Bühne stehen", sagt sie. Dabei senkt sie die Stimme, funkelt mit den Augen, spreizt die Finger in der Luft - den Moment, in dem der Funke übersprang, kann man sich da gut vorstellen. An der Schaubühne machte sie beim Projekt mit nicht-professionellen Darstellern mit, anschließend im Jugendclub im Gorki-Theater, dann folgte das Studium. "Die Liebe zum Theater habe ich selbst entwickelt", weiß sie. Und diese hat sie nun von Berlin nach München geführt.

"Ich habe lange überlegt, gehe ich diesen Schritt?", sagt sie. "Berlin ist schon meine Heimat." Dort lebe ihre Familie, seien ihre Freunde. Und München in der Coronazeit macht ihr das Ankommen nicht leicht. Momentan bleiben die meisten unter sich. Da macht Keshavarz auch bei sich keine Ausnahme: "Ich verbringe auch viel Zeit am Theater", sagt sie. Und fügt hinzu: "Es ist noch ganz viel zu holen in München für mich." Ihr Zimmer in Berlin mag sie derzeit noch nicht aufgeben. Auch wenn sie glaubt: "Meine Reise beginnt erst jetzt."

Der Anfang dieser Reise ist in jedem Fall schon mal gut verlaufen. "Ich liebe die Kollegen", sagt Keshavarz. Das Theater, der Neubau, sei sowieso großartig, "vielleicht der modernste in ganz Europa", schwärmt sie. Und: "Die Produktionen, in denen ich bin, sind toll. Ich habe großes Glück." Wie die neue Inszenierung "Über Menschen", die eigentlich im Dezember Premiere haben sollte, aber kurzfristig abgesetzt wurde, nun beim Publikum ankommt, wird sich von diesem Freitag an zeigen. Zwei Stunden soll die Bühnenfassung des 400-Seiten-Romans dauern. Sieben Figuren hat Stückl übriggelassen. Keshavarz ist die ganze Zeit auf der Bühne. Ihre Energie müsse sie sich gut einteilen, glaubt sie. Dass ihr die ausgehen könnte: schwer vorstellbar.

Über Menschen , Uraufführung, Münchner Volkstheater, Freitag, 21. Januar, 19.30 Uhr

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