Verkehr:München wird zur Tempo-30-Zone

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Um Kinder und Senioren besser zu schützen, gilt auf 85 bis 90 Prozent des Straßennetzes inzwischen Tempo 30. Aber das akzeptieren viele Autofahrer nicht.

Von Dominik Hutter, München

Ein bisschen ungewohnt ist es immer noch: vier Fahrspuren, zwei Parkstreifen, in der Mitte zwei Trambahngleise, und dann steht am Straßenrand plötzlich ein Tempo-30-Schild. Bitte vom Gas, auch wenn es hier eher nach Autobahn als nach Anliegerstraße aussieht. Willkommen auf der Bundesstraße 304 vulgo Berg-am-Laim-Straße. Hier ist seit einiger Zeit auf einem kurzen Stück westlich der Baumkirchner Straße eine Langsamfahrstelle ausgeschildert. Die Gründe dafür stehen am Straßenrand: eine Kindertagesstätte und die Grundschule Berg am Laim. So richtig akzeptiert haben viele Autofahrer das noch nicht, vermeintliche Trödler werden gerne überholt.

München wird zur Tempo-30-Zone. Was seit den Achtzigerjahren in den Wohnvierteln gilt, breitet sich nun auch aufs Hauptstraßennetz aus, das bislang für derartige Beschränkungen tabu war. Berg-am-Laim-Straße, Deisenhofener Straße, Ichostraße und als jüngster Neuzugang ein Abschnitt der Naupliastraße - wer Tempo-30-Schilder herstellt, hat in den vergangenen Monaten ein gutes Geschäft gemacht. Das einst obligatorische Tempo 50, auf manchem Tacho noch rot gekennzeichnet, mutiert allmählich zur Ausnahme. Hintergrund ist eine Novelle der Straßenverkehrsordnung von 2016, die Tempolimits auch auf Hauptstraßen erleichtert. Voraussetzung: Eine Schule, eine Kindertagesstätte, ein Altenheim oder ein Krankenhaus liegen am Straßenrand.

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Kommentar von Dominik Hutter

Ende 2017 beschloss der Münchner Stadtrat, die Gelegenheit zu nutzen, um das Leben von Kindern und Senioren sicherer zu machen. Ein Dringlichkeitsplan wurde verabschiedet: erst Schulen, dann Kindergärten, Alten- und Pflegeheime sowie Krankenhäuser. Dazu kommen noch öffentliche Spielplätze, deren Nutzer sich laut Stadtratsvorlage austoben wollen und "bereits weit vor dem Spielplatz nur noch das Herumtollen und Spielen im Sinn" haben. Seitdem wird beschildert, was das Zeug hält.

Ein Automatismus ist mit der Neuregelung nicht verbunden. Jedes Tempolimit muss separat geprüft und bewertet werden. Dabei gilt es, Schleichverkehr durch die umliegenden Wohnstraßen zu vermeiden. Busse und Trambahnen sollten nicht behindert werden, und natürlich wird nur dann Tempo 30 ausgewiesen, wenn die Sicherheit nicht ohnehin in ausreichendem Maße gewährleistet ist, durch Zebrastreifen und Ampeln etwa. Langsamfahrbereiche sollten nur vor Einrichtungen eingerichtet werden, deren Zugang auch an der betroffenen Straße liegt, und sie sollten nur in Ausnahmefällen länger als 300 Meter sein. Sehr große Verkehrsachsen, beispielsweise die Landsberger und Fürstenrieder Straße, sind ausgenommen. Das Kreisverwaltungsreferat befürchtet, dass auf breiten sechsspurigen Schneisen nicht nur die Schilder gerne übersehen werden - die Autofahrer würden die Regelung wohl auch nicht akzeptieren. Und es gebe ja auch noch ein allgemeines Interesse daran, halbwegs zügig und flüssig durch die Stadt zu kommen.

Inzwischen hat die Verwaltung große Teile ihrer Prioritätenliste abgearbeitet: Schulen und Kindergärten sind bereits beschildert, bis Ende des Jahres soll auch die Riege der Alten- und Pflegeheime komplett überprüft und nachgerüstet sein. Die Kliniken folgen anschließend.

Nach der Statistik des Kreisverwaltungsreferats gilt damit aktuell auf 85 bis 90 Prozent des Münchner Straßennetzes Tempo 30. Der überwiegende Teil davon, etwa 80 Prozent, entfällt auf die klassischen Tempo-30-Zonen in den Wohnvierteln. Der Rest ist neu ausgeschildert und befindet sich im Hauptstraßennetz. Das klassische 50er-Limit (manchmal auch 60) beschränkt sich damit überwiegend auf den Mittleren Ring sowie große Ein- und Ausfallstraßen (mit Ausnahme der kurzen 30er-Zonen natürlich).

Ein Blick in den Ferienkalender müssen an Schulen vorbeifahrende Autofahrer übrigens nicht werfen. Dort steht ganz überwiegend "werktags, Mo bis Fr von 7 bis 18 Uhr", die Regelung gilt ganzjährig. Das liegt laut Kreisverwaltungsreferat daran, dass in den Gebäuden abseits der Schulzeiten oft eine Ferienbetreuung oder eine andere Nutzung stattfindet. Nicht berücksichtigt wird, wenn abends etwa die Volkshochschule die Klassenzimmer nutzt. Deren Klientel - Erwachsene - sollte mit den Gefahren des Straßenverkehrs vertraut sein. Gleiches gilt für Berufliche Schulen, vor denen daher auch tagsüber kein Tempo 30 ausgewiesen wird.

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© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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