Prozess:"Da hätten's halt nicht fahren sollen"

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Helmut H. stürzte nachts mit seinem Fahrrad vom Holzsteg des Kunstwerks "Alittlemorelove" und verletzte sich schwer. Nun will er von der Stadt Schmerzensgeld - gute Chancen hat er aber nicht.

Von Stephan Handel, München

Eine Romantik, ein Sinnbild der Träume, eine Erinnerung an Venedig - das soll die Kunst-Installation "Alittlemorelove" darstellen, die das Künstler-Duo Georg Schweitzer und Nadja Stemmer 2008 am Rand der Panzerwiese aufgestellt haben. Helmut H. allerdings denkt bei dem Werk in erster Linie an Schmerzen, an Operationen, an das Krankenhaus. Und an den Prozess gegen die Stadt München, der am Mittwoch vor dem Landgericht begann und den er aller Voraussicht nach verlieren wird.

Das Kunstwerk an der Nordheide besteht aus mehreren Teilen, unter anderem aus einer venezianischen Gondel und aus einem hölzernen Steg, der, wie es Stegen am Meer zu eigen ist, abrupt endet - nur das an seinem Ende nicht die weichen Wellen der Lagune warten, sondern harter Erdboden. Das allerdings wusste Helmut H. nicht, als er im Juli des vergangenen Jahres gegen 1 Uhr nachts vom U-Bahnhof Dülferstraße mit dem Rad nach Hause Richtung Morsering fuhr. H., 60-jähriger Maschinenbau-Ingenieur, tat das öfter, normalerweise nahm er den Weg über die Neuherbergstraße, aber "das war eine wunderschöne Sommernacht, da dachte ich: Fährst heute mal anders", wie er in der Verhandlung sagte.

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Als H. am Frauenmantelanger angelangt war und von dort auf den Radweg entlang der Panzerwiese fahren wollte, standen ihm - scheinbar - drei Möglichkeiten offen: Rechts abbiegen, dort hätte ihn ein schmaler Weg hinabgeführt. Diese Möglichkeit erkannte er aber nicht. Eine Treppe gab's auch, für ihre Benutzung hätte er aber absteigen müssen. Dritte Alternative: ein Holzsteg, der genau in die richtige Richtung führte. Auf ihn fuhr Helmut H., vielleicht 15, 20 Meter ist das Ding lang - und dann hört es einfach auf. Der Radler erkannte die Gefahr nicht, stürzte einen halben Meter ab und zog sich beim Aufprall schwere Verletzungen zu, unter anderem einen Schädelbruch und Brüche der Gesichtsknochen. Drei Mal wurde operiert, 15 Tage musste er im Krankenhaus bleiben, bis Mitte Oktober war er krankgeschrieben. Bis heute leidet er unter Kopf-, Augen- und Kieferschmerz und unter einem tauben Gefühl auf dem Schädel.

Dafür sollte doch jemand verantwortlich sein, dachte sich Helmut H., und verklagte die Stadt, denn die hatte das Kunstwerk gekauft und aufstellen lassen, allerdings ohne ein Hinweis- oder Warnschild, dass am Ende des Stegs der harte Boden der Panzerwiese droht anstelle sanften Adria-Wassers. Neben dem Ersatz von Kosten und Anwaltshonorar wollte er mindestens 15 000 Euro Schmerzensgeld, weil die Stadt ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe.

Damit wird er aber wohl nicht durchkommen: Frank Tholl, der Vorsitzende Richter, meinte, es sei dem Kläger doch ein gehöriges Mitverschulden vorzuwerfen, eine Missachtung des Sichtfahrgebots, außerdem stehe zehn Meter von dem Steg entfernt eine Straßenlaterne, die zum Unfallzeitpunkt wohl auch eingeschaltet war. "Es mag sein", sagte Tholl, "dass ein Hinweisschild hilfreich wäre. Aber Schmerzensgeld erscheint uns schwierig. Da hätten's halt nicht fahren sollen." Eine Entscheidung wird das Gericht am 4. Dezember verkünden.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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