Typisch deutsch:Therapie in der Eisbachwelle

Lesezeit: 2 min

Mohamad Alkhalaf an der Eisbachwelle. (Foto: Privat)

Mohamad Alkhalaf trieb mit Kindern auf einem Flüchtlingsboot im Meer. Heute betreibt er Vergangenheitsbewältigung, indem er sich im Eisbach auf ein Surfbrett stellt.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Schon damals saß ich gerne im Münchner Hofgarten, um mich auszuruhen. Ich beobachtete Menschen, die ausgeruht genug waren, um mit dem Fahrrad zu fahren und Surfbretter unter dem Arm zu transportieren. Wohin sie wohl unterwegs sind?, fragte ich mich. Soweit ich weiß, liegt die bayerische Hauptstadt zirka 500 Kilometer vom Mittelmeer und 800 Kilometer von der Nordsee entfernt.

Als Neu-Münchner handelte ich mir unfreiwillig Lacher ein. Es hilft, wenn man schon auf Station an der sogenannten Eisbachwelle am Haus der Kunst war, wo sich die Menge der Passaten in zwei Gruppen teilt und den Isar-Surfern zuschaut. 20 in Wetsuits gezwängte Menschen warten auf einen Ritt, die eine Hälfte links, die andere rechts. Keiner drängelt, manche vertreiben sich die Zeit und ratschen. Sie klopfen auf ihre Bretter, wenn auf dem Wasser ein besonderes Manöver gelingt. Andere bibbern einfach so lange vor sich hin, bis sie endlich wieder an der Reihe sind, sich ins eiskalte Wasser zu stürzen. Einer von ihnen stand gerade erst auf dem Surfbrett und kippte nach einer Sekunde um. Also stellte er sich abermals hinten an. Er war von diesem Sport erstaunlicherweise aber eindeutig begeistert.

Typisch deutsch
:Bist du jetzt ein Deutscher oder was?

Unser Autor war eine Woche im Irak, wo ihn vieles an seine frühere Heimat Rakka erinnerte. Doch anders als gedacht wurde er dabei nicht nostalgisch. Im Gegenteil: Er spürte Heimweh nach München.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Die Welle als Wonne. Es hat wahrlich gedauert, ehe ich dies so sehen konnte. Zu präsent blieben viele Jahre lang jene Momente, als ich zwischen der Türkei und Griechenland mit anderen Flüchtlingen in einem Boot saß. Jedes Mal wenn eine Welle hereinschwappte, wurde es gefährlich. Neben mir saß eine Frau mit ihrem fünfmonatigen Kind. Sie erklärte mir, dass sie nicht schwimmen könne. Falls sie ertrinken sollte, möge ich auf ihr Kind aufpassen. Dann legte sie die Hände auf ihre Augen.

Zurück im Englischen Garten. Zusammen mit bayerischen Freunden bin ich im Eisbach mittlerweile selbst auf einem Surfbrett gestanden. Ich sortiere das Erlebnis in die Kategorie Vergangenheitsbewältigung ein. Dazu zählt etwa eine Szene aus meiner früheren Heimatstadt Rakka, wo eine Brücke, die über einen Fluss führt, von Militärflugzeugen zerstört wurde. Also sammelten wir herumliegende Hölzer und banden sie notdürftig zu einem Floß zusammen. Wir waren froh, als wir endlich das andere Ufer erreichten.

Und nun stehe ich mit nackten Füßen im Münchner Eisbach, wo die Leute laut feiern, sich zuprosten und singen. Ihre einzige Sorge ist, dass der Frau mit dem Bierwagerl die Vorräte ausgehen.

Meine Wellen-Therapie fand ihre Fortsetzung am Starnberger See, wo ich begann ernsthafte Surf-Stunden zu nehmen. Wir trainierten zunächst in einem kleinen Fluss, wo es ruhig und gemütlich war. Leicht in die Hocke gehen, den Rücken dezent beugen. Balancieren, um das Gleichgewicht zu halten. Platsch.

Anfangs viel es mir auffällig schwer, den Anleitungen zu folgen. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein politisch Gefangener in einer syrischen Kerkerzelle, die sich ähnlich bewegen, wenn sie gefoltert und mit einem Stock geschlagen werden. Wenn der Gefängniswärter den Gefangenen besonders verletzen möchte, tritt er ihn auf seine Füße. Da war das Stehen auf dem Surfbrett um einiges angenehmer.

Die oft zitierte "perfekte Welle" wird es für mich wahrscheinlich nie mehr geben. Es hilft, die Welle nicht nur als Gefahr zu sehen - sondern auch als Chance. Die Frau und ihr Baby haben die Überfahrt damals überstanden. Und ich stehe jetzt immer länger auf dem Surfbrett, ehe die Wellen mich in die Fluten stürzen.

© SZ vom 02.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Kolumnisten
:Wenn die Bleibe zum Zuhause wird

Drei geflüchtete Journalisten schreiben in der neuen SZ-Kolumne "Typisch deutsch", wie München sie verändert hat.

Von Korbinian Eisenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: