Typisch deutsch:Bist du jetzt ein Deutscher oder was?

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München ist halt schon schön. Und so kommt bei manchem wie bei unserem Autor das Heimweh, auch wenn man tausende Kilometer weit weg ist - und es nie gedacht hätte. (Foto: Sebastian Gabriel)

Unser Autor war eine Woche im Irak, wo ihn vieles an seine frühere Heimat Rakka erinnerte. Doch anders als gedacht wurde er dabei nicht nostalgisch. Im Gegenteil: Er spürte Heimweh nach München.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Am Istanbuler Flughafen erwarteten mich viele Fragen. Warum bist du Syrer und hast einen deutschen Ausweis? Warum willst du in den Irak? Nach sechs Jahren in Deutschland kam nach langem wieder dieses Gefühl in mir auf, das ich so gut verdrängt hatte: Angst.

Es war zwar nur ein Urlaub, doch es sollte auch meine erste Rückkehr in eine Region sein, deren Anmut daran erinnert, was ich einst in Syrien mein Zuhause nannte. Per Flugzeug ging es in den Irak. Im Gepäck hatte ich - wie zuletzt immer auf Reisen - meinen Fahrradhelm und meine Tischtennisschläger. Über Istanbul sollte es nach Kurdistan gehen. Es lief nach Plan. In Kurdistan angekommen, waren die Leute freundlich. Ich wohnte bei einer kurdischen Familie.

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In Syrien sind die Schickimicki-Leute Söhne und Töchter von Politikern und Staatsbeamten. Hier in München kann jeder so werden - was diese Leute erträglicher macht.

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Und dort galt, klar: Wenn der Gast eintrifft, trinkt jeder zur Begrüßung ein Glas mit gekühltem Wasser. Bei 40 Grad Hitze war das herrlich. In Geleit dazu wurde eine kleine Teetasse gereicht, die zu einem Drittel mit Zucker gefüllt sein muss. Ich merkte, wie mir die Gesichtszüge entgleisten. Das nächste Mal bitte weniger süß, bat ich. Worauf meine Gastgeber mich verwundert ansahen. Wo ist der Araber geblieben? Bist du jetzt ein Deutscher?

Die arabische Gastfreundschaft war ich so nicht mehr gewohnt. Die Iranerinnen kochten üppig, wir waren sieben Personen, und es hätte für zwanzig gereicht. Es gab Dolma, eine orientalische Delikatesse, mit gehacktem Fleisch gefüllte Zucchini und Paprika, dazu Weinblätter. Der Geschmack meines früheren Lebens. Ich musste wieder lernen, dass man in der arabischen Welt seinen Teller nie ganz leer essen darf, andernfalls wird er Protesten zum Trotz nachgefüllt. Ohne Anmeldung erscheinen Verwandte, Freunde oder Nachbarn zu Besuch und man sollte keine Pläne für den Tag machen. Denn die meisten Verwandten, Freunde und Nachbarn feiern sehr gerne und bleiben nicht selten bis spät in die Nacht.

In München wäre es eher so, dass einen die Nachbarn wegen Ruhestörung bei der Hausverwaltung verpetzen. München. An langen Abenden bei meinen Gastgebern vergaß ich teilweise meine mittlerweile nicht mehr ganz so neue Welt in Deutschland. Am Tag aber rückte sie mir wieder näher. Etwa, wenn man auf irakischen Fußgängerwegen läuft und auf die dicht befahrene Straße ausweichen muss, weil die Händler die Bordsteine mit ihren Verkaufswägen belagern. Meine Begleiter amüsierten sich über mein ungeahntes Bedürfnis nach Sicherheit. Ich dachte an den verkehrsberuhigten Marienplatz.

Über Politik sollte man in weiten Teilen des Iraks nicht offen reden

Tischtennis spielen gehört für mich zum Urlaub wie gutes Essen und ein weiches Bett. Aber eine Tischtennisplatte habe ich trotz ausgiebiger Recherche nicht gefunden. Ich hätte auch gerne eine Radltour gemacht, aber meine Gastgeber rieten mir davon ab. Man kann Fußball spielen - oder in einem Kaffeehaus sitzen.

In solchen Momenten spürte ich die Ängste der Menschen. Vor Krieg und den IS-Kämpfern, die schon den Nachbarn Syrien auf dem Gewissen haben. Über Politik sollte man auch in weiten Teilen des Iraks nicht offen reden. Das ist gefährlich. Der Regierung wird Korruption nachgesagt. Die jungen Irakerinnen und Iraker, darunter auch Akademiker, finden keine Arbeit. Kinderarbeit gehört zum Alltag. In solchen Momenten wird einem bewusst, dass Deutschland ein Paradies für Kinder ist.

Das Fernweh, das uns überhaupt erst zum Kofferpacken veranlasste, wird irgendwann durch die Sehnsucht nach der Heimat ersetzt. Voraussetzung ist, dass man eine Heimat hat. Beim Anflug über Bayern und den Blick auf die grünen Wiesen, Wälder und Dörfer wurde mir warm ums Herz.

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