München:Taub für Lockrufe

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Als Kastellan der Burg Grünwald genießt Robert Heinzl die stille Winterzeit. Die Isarnixe fürchtet er nicht, eher die Rückkehr der Pokemon-Go-Spieler

Von Claudia Wessel

Eigentlich wäre Robert Heinzl das perfekte Opfer für die Isarnixe. Er ist männlich, Single und wohnt mutterseelenallein genau da, wo einst das Burgfräulein sein Unwesen getrieben hat: auf der Burg Grünwald. Umgeben von alten Mauern, lebt er dort in vier Zimmern, in die eine Treppe durch einen finsteren Mauergang führt. Man stelle sich das einmal nachts vor, wenn alles still ist, kein einziges Geräusch durch die Ritze dringt - außer eben dieser eine, tückische Lockruf: "Tutli-i-i, tutli-i-i".

Denn in der Nacht, da ist es still auf der Burg. Draußen auf den kleinen Straßen im idyllischen Grünwald kurvt dann kein SUV mehr um die Villen, auch das leichte Rauschen des Verkehrs von der Grünwalder Brücke unten im Tal ist verstummt. In einer windstillen Nacht wird auch das Klappern des Seiles am Fahnenmast auf dem Burgturm dem Lockruf der Nixe keine Konkurrenz mehr machen. Und die Käuzchen, die einmal in dem einen Kastanienbaum genistet haben, sind längst weitergezogen; die Krähen, die Heinzl liebt, weil sie die Tauben von der Burg fernhalten, schlafen und schweigen.

Die männervernichtende Nixe dagegen tut alles, um ihr einst im Jahre 1487 begonnenes Werk fortzuführen: männliche Wesen durch ihren Ruf ins Verderben zu locken.

Nun wusste Robert Heinzl erst mal gar nichts von dieser unfeinen Nachbarin, die sich nach ihrem Auszug aus der Burg vor allem in den Fluten der Isar aufhalten soll, aber vielleicht ja auch mal an ihren alten Wirkungsort zurückkehrt. "Gespenster sind mir noch keine begegnet", behauptet er. Da müssen wir ihm doch erst mal die Sage vorlesen. Am besten gleich hier unten in dem den Winter über leeren Raum, in dem sich sonst das Café des Burgmuseums findet. Hier kauft man in der Saison die Karten, hier gibt es was zu trinken, mit dem man es sich im Sommer im Burghof gemütlich machen kann, wenn dort die Liegestühle stehen. Bei unserem Besuch im Dezember sind alle bunten Gegenstände verschwunden, außer einem Eimer voller grüner Schirme, die noch in einer Ecke stehen. Dafür hat der Burgverwalter seinen Laptop auf einem der Cafétische aufgebaut, Papiere liegen herum. "Wir haben einiges zu tun", verrät er, "im Winter erledigen wir immer Renovierungen." Deshalb ist heute auch Helmuth Reith hier, der Elektriker, der eben in der Durchfahrt beim Burgtor Kabel eingezogen hat, völlig unwissend, in welcher Gefahr er dabei schwebte. Davon erfährt er nun, indem er bei der kleinen Sagen-Lesung zuhört. "Ned gerade für Weihnachten" urteilt er danach über die Geschichte und verschwindet lieber schnell zu seinem nächsten Auftrag.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Durch das Treppenhaus geht es zur Hausmeisterwohnung.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Auf einem Balkon wie diesem könnte das böse Burgfräulein anno 1487 gestanden haben.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Geheimnisvolle Mauern, hinter denen die Isarnixe einst gehaust haben soll.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Auch Fledermäuse fliegen hier durch die Lüfte - wenn auch nur als Imitat.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Hörtest: Robert Heinzls Ohren sind nur für AC/DC offen, nicht für Sirenenklänge.

"Ohhh, uiiii" hat auch Robert Heinzl während der Lesung immer wieder von sich gegeben und schließlich gelacht. "Sehr unterhaltsam", fand er dann. Und Angst? "Diese Burg ist sicherer als Fort Knox", erklärt der Kastellan auf diese Frage, "wir haben eine nagelneue Einbruchsmeldeanlage und eine ebensolche Brandmeldeanlage." Als ob sich die Isarnixe von solchen Dingen abhalten lassen würde! Außerdem könnte sie ja, so wie es die Füchse regelmäßig machen, durch den Spalt unter der dicken Eisentür hinten im Hof schlüpfen. "Ich bin kein so ängstlicher Mensch", beharrt Heinzl, "ich lasse mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen." Was ihn allerdings aus der Ruhe gebracht habe im vergangenen Sommer, fügt er hinzu, "das waren die Pokémon".

Genau vor dem Burgtor nämlich war eine Stelle, an der man unzählige der digitalen Tierchen des Spieles "Pokémon-Go" finden konnte. "Da waren bis vier Uhr in der Früh Leute draußen zugange", berichtet Heinzl. Nein, nicht nur Jugendliche. Auch Erwachsene waren dabei. Mit Einbruch des Herbstes verschwanden sie glücklicherweise, seufzt Heinzl. Er hat keine Ahnung warum, denn mit dem Spiel kennt er sich nicht aus, aber er ist darüber ebenso froh wie die Nachbarn der Burg.

Was Heinzl noch manchmal den Nachtschlaf raubt, sind Fehlalarme: "Die werden oft ausgelöst durch Siebenschläfer." Da die Alarmanlage direkt mit der Polizei verbunden ist, rückt diese dann meistens an. "Wenn die um drei Uhr nachts kommen, ist die Nacht gelaufen", sagt der Burg-Hausmeister, der morgens wieder früh auf den Beinen sein muss.

Also gut, wenn er die Pokémonjäger vor der Burg hört und die Fehlalarme, warum ist er dann völlig taub für das "Tutli-i-i, tut-li-i-i"? Hört er es denn nicht mal, wenn er abends ganz alleine die 111 Stufen auf den Burgturm geht? Zweimal am Tag macht er diesen Kontrollgang, es könnte ja sein, dass jemand dort oben ohnmächtig geworden ist. Oder von der Isarnixe gemeuchelt. Das ist in seiner Dienstzeit seit 2011 zum Glück noch nicht vorgekommen, versichert Heinzl.

Und ganz gleich, wie oft wir ihn jetzt noch fragen, er hört den Lockruf der Isarnixe einfach nicht. Das mag zum einen daran liegen, dass er abends, wenn er endlich wieder ganz alleine in der Burg ist, so laut wie nur irgend möglich AC/DC, Rolling Stones und andere Bands der Sechziger- und Siebzigerjahre hört. Dieser Luxus, keine Nachbarn zu stören und auch keine Dame an seiner Seite, macht ihn zum "glücklichen Single", wie er mit leuchtenden Augen versichert. "Ist doch super, wenn man niemanden fragen muss." Das war übrigens nicht immer so: "Ich habe eine 13-jährige Beziehung hinter mir." Für Lockrufe von Burgfräuleins ist er daher vorerst taub .

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© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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