75 Jahre SZ-Spendenhilfswerk:Wie mit einer Christkindlfahrt alles begann

Lesezeit: 4 min

Viele gute Geister - manch einer davon mit der Zigarette in der Hand: Ein Bild von der Hilfsaktion aus den Anfangsjahren. (Foto: Fritz Neuwirth)

Das Hilfswerk der SZ-Leserinnen und -Leser feiert Geburtstag. Vieles von dem, was seinen Charakter ausmacht, war schon bei der Geburt der Idee angelegt.

Von René Hofmann

Der Start? Einfach, überschaubar, ein wenig improvisiert. Aber bei der ersten Aktion schwang schon vieles mit, was die Idee später etablieren sollte, sie zu einem Hilfswerk wachsen ließ und ihren Charakter prägte - über viele Jahrzehnte hinweg.

Die Geschichte des Hilfswerks der Süddeutschen Zeitung beginnt im Jahr 1948. Es war ein Jahr, in dem viel geschah.

Auf der Insel Herrenchiemsee trat im Sommer der Verfassungskonvent zusammen, der in Rekordzeit die Grundlage für das spätere Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeitete. Zuvor schon, im Juni, war in den westlichen Besatzungszonen die Währungsreform in Kraft getreten, die Deutsche Mark war in Umlauf gebracht worden und regte den Aufschwung an. Es war aber auch das Jahr, in dem die Sowjetunion die Straßen und Seewege in den Westteil von Berlin abriegelte und, um die Versorgung sicherzustellen, von den Westalliierten die aufwändige Luftbrücke gebaut wurde - mehr als ein Jahr lang.

Beispiele für gute Werke
:Was das SZ-Hilfswerk alles initiiert und unterstützt hat

Lebensmittelhilfen, Brillenzuschüsse, kleine Fluchten aus dem Alltag: Der Adventskalender hilft auf viele Weise. Und so manche Idee wurde von der Politik aufgegriffen.

Von Sven Loerzer

Hoffnungsvolle und besorgniserregende Ereignisse wechselten sich ab, es war eine turbulente Zeit, eine Zeit mit noch vielen Unsicherheiten. In München, wo seit Oktober 1945 die Süddeutsche Zeitung erschien, ließ sich diese Ambivalenz besonders gut beobachten.

Es gab deutliche Zeichen des Aufschwungs. In einigen Cafés, beispielsweise am Stachus oder am Odeonsplatz, wurden schon wieder prächtige Torten aufgetragen. Serviert aber wurden diese oft noch vor einer Trümmerkulisse: Die Spuren des Zweiten Weltkriegs - sie waren noch deutlich zu sehen. Es gab 200 000 Bombengeschädigte, 50 000 Invaliden, Kriegsversehrte und Kriegs-Waisen und ungefähr ebenso viele Geflüchtete; dazu gut 25 000 registrierte Arbeitslose. Kurz: Es gab eine große Not.

München 1948: Es wird wieder aufgetischt - allerdings vor Kriegskulisse. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Einer der führenden Köpfe der SZ war damals Werner Friedmann. Der Sohn eines jüdischen Kinderarztes hatte schon während seines Studiums in München als Reporter für die Süddeutsche Sonntagspost gearbeitet.

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war er vorübergehend verhaftet worden. Nach Kriegsende zog es ihn in den Journalismus zurück. Er wurde Leiter des Bayernteils der Süddeutschen Zeitung, 1946 zudem Mit-Lizenznehmer und Mit-Eigentümer der Zeitung. Später sollte er die Abendzeitung gründen, den Grundstock legen für die Deutsche Journalistenschule und die SZ von 1951 bis 1960 als Chefredakteur führen.

Werner Friedmann, Verleger, Abendzeitung, Deutschland, | Werner Friedmann, publishor, Germany, Abendzeitung (Foto: SZ-Photo/Sueddeutsche Zeitung Photo)

Bei einem Besuch in den USA hatte Friedmann eine Spendenaktion der New York Times kennengelernt. Die hieß "Neediest Cases" - die Bedürftigsten - und lief so: Die Zeitung berichtete über New Yorker in Not, denen die Leser dann unmittelbar halfen. Diese Idee übertrug Friedmann auf München.

Zu Weihnachten 1948 initiierte er eine "Christkindlfahrt zu den Vergessenen". Prominente Münchnerinnen und Münchner überbrachten Bedürftigen - begleitet von SZ-Reportern - gespendete Gaben. Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD) war dabei, der Polizeipräsident, die Frau des Ministerpräsidenten, Repräsentanten der Militärregierung. Von dieser Aktion wurde in der Weihnachtsausgabe berichtet.

Der siebenjährige Maxl, dessen Vater "bei einem Bombenangriff erschlagen wurde", wie es hieß, freute sich über "ein Paar Ski, die verwegene karierte Skimütze, gerade wie er sie immer haben wollte, einen Metallbaukasten und eine große Wurst". Eine "taube Greisin" bekam warme Wäsche gebracht, Weinflaschen und - zu ihrer besonderen Freude - Bohnenkaffee.

Stark gerastert: Das Zeitungsbild zeigt Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD) bei der Übergabe der ersten Gaben 1948 an die Kinder einer Vertriebenenfamilie. (Foto: Poehlmann)

Oberbürgermeister Wimmer besuchte eine Wiese am Stadtrand, auf der eine Vertriebenenfamilie mit fünf Kindern in einem Verschlag wohnte, den der Vater aus Abfallholz und Bauschutt zusammengebastelt hatte. Mit im Gepäck, unter anderem: ein Flugzeug, eine Blechtrompete, ein Hampelmann.

Doch es war nicht nur ein Geben. Wimmer nahm auch etwas mit: Eindrücke, wie gravierend die Wohnungsnot an vielen Orten tatsächlich war. Er versprach, sich der Thematik anzunehmen. Auch darum ging es dem Hilfswerk von Anfang an: Soziale Missstände nicht nur zu lindern, sondern eine Öffentlichkeit zu schaffen, damit ihre Beseitigung von der Politik nachhaltig angegangen wird.

Begleitet wurde der Bericht über die Christkindlfahrt von einem Kommentar von Werner Friedmann. In diesem schrieb er: "Nie war die Not so himmelschreiend wie heute. Nie war die Unkenntnis der vom Schicksal Begünstigten über das Elend der Enterbten größer als in diesen Tagen, weil man es einfach aus Gründen der Bequemlichkeit gar nicht wissen will, was sich in den Quartieren der Armut abspielt."

Sein Ziel: die Bedürfnisse sichtbar machen. Sein Wunsch: aus vielen kleinen Steinen sollte ein "Mosaik der guten Taten" entstehen. Der erste Stein war damit gelegt.

Im Jahr darauf wurden "Weihnachtspaten" gesucht, 1950 hieß der Aufruf: "Spendet Mäntel für Frierende!" Es kamen so viele zusammen, dass die Lokalredaktion überquoll; schnell musste eine eigene Kleiderkammer organisiert werden.

Große Spendenbereitschaft: In den ersten Jahren wurden vor allem Sachspenden vermittelt - dies bedeutete einen besonderen Aufwand. (Foto: Fritz Neuwirth)

1951 prägte der damalige Lokalchef Bernhard Pollak den Namen, der lange zum Synonym für das Hilfswerk werden sollte. Am 1. Dezember kündigte er im Lokalteil an: "Von heute an werden wir täglich ein Beispiel der besonderen Not innerhalb der Mauern Münchens bringen. Vielleicht wird ein Adventskalender daraus, dessen Fenster durch gute Taten erhellt werden."

Der Claim etabliert sich. Er fand auch Eingang in den Namen des gemeinnützigen Vereins, der 1981 für die Organisation des Hilfswerks gegründet wurde: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V." und der da längst auch schon in den Landkreisen rund um München aktiv ist. Jetzt, zum 75. Geburtstag, schenkt sich der Verein selbst eine Schlankheitskur: der Name wird kürzer - künftig firmiert er unter "SZ Gute Werke e.V.".

Das Hilfswerk der SZ-Leserinnen und -Leser hat sich immer wieder reformiert. Ab 1972 wurden nur noch Geldspenden angenommen, weil die Hilfe so leichter zu organisieren war als über die direkte Weitergabe von Geschenken.

Der Kreis der Bedachten weitete sich über die Jahre immer mehr: 1960 wurde erstmals ein Heim unterstützt, 1967 rückten Obdachlose ins Zentrum der Spendensammlung, 1969 wurde das Leid psychisch Kranker thematisiert, 1971 gab es ein Sonderkonto für das Leid der Kinder, die durch die Einnahme des Beruhigungsmittels Contergan in der Schwangerschaft geschädigt wurden.

Auch die Berichterstattung hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Die explizite Darstellung der Not wich, schon lange stehen ihre Ursachen und mögliche Auswege im Mittelpunkt. Das Hilfswerk hat sich nie als Ersatz für staatliche Sozialpolitik verstanden, immer als Ergänzung und generell als Werber für ein Mehr an Miteinander.

Die Summe, die durch die zigtausend Spenderinnen und Spender dafür zusammenkam, ist enorm. Werner Friedmann starb im April 1969. Bis dahin sammelte die von ihm angestoßene Idee etliche Hunderttausende Mark. Inzwischen ist die Summe auf mehr als 200 Millionen Euro angewachsen. Das Mosaik der guten Taten, das ihm vorschwebte: Es ist ein wirklich beeindruckendes geworden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungSoziale Stiftungen
:Unabhängig sein von gutem Willen Einzelner

Es geht um eine verlässliche Basis und um einen grundlegenden Schutz: Warum private Hilfe staatliche Sozialleistungen nicht ersetzen kann.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: