SZ-Nacht der Autorinnen und Autoren:"Es ist spannend, die Leute zu erleben"

Lesezeit: 5 min

Prominenter Gast: Joachim Gauck, Bundespräsident a.D., stößt mit Chefredakteurin Judith Wittwer auf die Nacht der SZ-Autorinnen und -Autoren im Münchner Volkstheater an. (Foto: Leonhard Simon)

1100 Leserinnen und Leser kommen ins Schlachthofviertel zur Nacht der Autorinnen und Autoren der SZ. Sie erfahren, wann Kanzler Olaf Scholz locker wird und warum die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger vor der Landtagswahl veröffentlicht wurde.

Von Andrea Schlaier

Der Sommer gibt zum Schluss nochmal alles, bis in den Innenhof der Gastro am Volkstheater leuchtet am Freitag die Spätnachmittagsonne, wo an den Tischchen der vielleicht letzte Garden Spritz des Jahres zelebriert wird. Drinnen im Foyer hängt eine Traube früher Gäste an den Lippen des Hausherrn, der heute selbst gar keine tragende Rolle gibt. Aber solange die Türen zu den Sälen noch zu sind, hebt Christian Stückl halt auf Nachfrage an zu erzählen, wie er denn drauf gekommen ist, sein Volkstheater grade hier im Schlachthofviertel neu erstehen zu lassen: "Ich bin da über Google Earth rein, hab die ganze Stadt abg'sucht und da den Platz gefunden".

Ein treffliches Plätzchen auch für die Süddeutsche Zeitung, die vom frühen bis zum späten Freitagabend hier bereits zum zweiten Mal ihre Nacht der Autorinnen und Autoren ausrichtet. 1100 Leserinnen und Leser sind ins ausverkaufte Haus gekommen, um zwischen Bühnen, Foyer und dem Kulturzentrum Luise nebenan hin und her zu schlendern und zu erfahren, ob der Kanzler im kleinen Kreis auch mal Luft ans Gemüt lässt und über sich selbst lachen kann, wie Nächte raubend die Recherche nach den Vorwürfen gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann war und mit welchen Mitteln das Social-Media-Team seine Followerinnen und Follower herzt. Prägende Köpfe der SZ haben im Gespräch mit ihrem geneigten Publikum von ihrer Arbeit mit modernen Mitteln berichtet. Podcasts, Storytellings, alles dabei.

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Nurmehr Stehplätze gibt's im größten Saal des Volkstheaters, als die Teamchefin des Bayern-Ressorts, Katja Auer, und ihre Kollegen, die Landtagskorrespondenten Andreas Glas und Johann Osel, das künftige Kabinett casten. Die scheinen der Reihe nach alle bühnenhoch im Bild auf, der "Wahlgewinner oder auch nicht" Markus Söder, die Frau "mit den meisten Dirndl und der losesten Zunge, die wie eine Filmschauspielerin durch den Kuhstall läuft", Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Beide sind gesetzt, klar. Wackeln sehen die Kollegen dagegen Kultusminister und "Anti-Aiwanger" Michael Piazolo. Fürs Kabinett wird's "wohl nix", aber der Job für die nächste grüne OB-Kandidatin in München wär gerade vakant, nachdem zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden eben ihren Rücktritt erklärt hat. "Katha Schulze wär eine, die's könnt'", sagt Glas über die Fraktionschefin der Landtags-Grünen.

Was das Publikum aber umtreibt, zeigen im Anschluss die vielen Fragen zur Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Die Gäste wollen wissen, wie's überhaupt zur Berichterstattung gekommen ist, warum zu diesem Zeitpunkt? "Wir sind immer noch der Meinung, dass diese Geschichte notwendig war", sagt Katja Auer.

Casteten die Kandidatinnen und Kandidaten für das neue Kabinett von Markus Söder: Bayern-Teamchefin Katja Auer und die Landtagskorrespondenten Johann Osel und Andreas Glas (von links). (Foto: Leonhard Simon/Leonhard Simon)

Erstmals habe die SZ am 2. August 2023 von der Existenz des Flugblatts erfahren und dann mit ihren Recherchen begonnen. "Nach drei Wochen hatten wir genug zusammen, um zu berichten und das nicht abhängig gemacht von der Wahl." Es sei weder eine Option gewesen, damit bis nach der Landtagswahl zu warten noch gar nicht zu berichten. "Es ist nicht unser Job, den Zeitpunkt auszusuchen, der uns als passend erscheint." Lang anhaltender Applaus im großen Saal.

Eine Stunde später füllt an dieser Stelle ein anderer Herkunfts-Niederbayer sitzend und doch sämtlich den Raum. Für ihren Podcast "München persönlich" hat das Leitungs-Duo des Ressorts München, Region und Bayern, Ulrike Heidenreich und René Hofmann, den Kabarettisten und Autor Bruno Jonas zu Gast. Der übt sich in Erklärungsversuchen zur aktuellen Politik. Warum das Land vergangenen Sonntag "so konservativ" gewählt habe, habe er seinen Freund Rigobert, SPDler aus der Gegend um Freyung, am Telefon gefragt: "Die wählen olle de, de ned an der Macht sind."

Wie man als Kabarettist mit der AfD umgehe, will Ulrike Heidenreich von Jonas wissen. "Wir sind aufgerufen, Satire mit ihren Mitteln zu bearbeiten, was stört mich an deren Haltung?" Rechte oder linke Satire gebe es für ihn nicht. Auch das Publikum habe sich verändert. "Ich arbeite viel mit Ironie, für manche Leute ist das gar nicht mehr erkennbar, die haben in der Empfangsbereitschaft Defizite." Sein Tipp, um den eigenen Aufregungspegel runterzudimmen: "Ich empfehle bei Talkshows den Ton abzustellen. Das Bild ist stärker als das, was einer im Bild sagt".

Gast für den Live-Podcast "München persönlich": Kabarettist Bruno Jonas ließ sich von Ulrike Heidenreich und René Hofmann (rechts) vernehmen. (Foto: Cathrin Kahlweit)

Im ersten Stock des Volkstheaters studieren derweil Gabriele Krüger, 68, und Paul Michael Krämer, 64, mit großem Vergnügen ihre Gesichter. Sie haben gerade beim Foto-Shooting des SZ-Magazins mitgemacht, dem Kult-Format "Sagen Sie jetzt nichts". Eine der Fragen: "Wie geht ihr Lesegesicht?" Gabriele Krüger hält die ausgestreckte linke Hand auf Kinnhöhe: Smartphone, eindeutig. Der Gatte hat die Lesebrille auf der Nase und lugt mit verschränkten Armen überm Bauch auf ihr Display. "Sehr lustig!" Das Paar ist zum ersten Mal bei der SZ-Nacht. "Es ist spannend, die Leute zu erleben und was anderes, wenn jemand schreibt oder auf der Bühne sitzt und mit den Leuten diskutiert. Super!"

Leser Udo Faupel schafft es kommenden Montag sogar selbst in die Zeitung. Detlef Esslinger und Meredith Haaf von der Meinungsseite erklärten den Gästen mit den Karikaturistinnen Katharina Greve und kittihawk nicht nur wie eine SZ-Karikatur entsteht. Sie konnten selbst eine mitgestalten. Gesucht war ein Text für die Vorlage: Sisyphos wird beim Stein auf den Berg rollen von einem Reporter-Team interviewt. Udo Faupel liefert als einer von 41 anwesenden Lesern in einer Viertelstunde den besten Text: "Könnten Sie sich das auch als 4-Tage-Woche vorstellen?"

Sisyphos in Teilzeit: Karikatur von der Katharina Greve mit Text von Leser Udo Faupel. (Foto: KA Greve, Udo Faupel)

Hohen Besuch hatte es bereits zum Auftakt gegeben. Bevor der Tag zur Nacht wurde, war zum zehnten Mal der Herbert-Riehl-Heyse-Preis verliehen worden, mit dem das Lebenswerk des ehemaligen SZ-Chefreporters geehrt wird. Jubiläums-Preisträgerin ist Nadia Pantel, eine ehemalige SZ-Redakteurin, die inzwischen beim Spiegel beschäftigt ist. Ihr Text "Können Sie Odessa, Bukarest und Sofia von Nord nach Süd sortieren?" brachte nicht nur bei Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, der die Laudatio hielt, eine Saite zum Schwingen.

Das Angebot ist groß an diesem Abend. Alle Veranstaltungen kann niemand besuchen, man muss sich entscheiden. Entweder zur "Berlin Sprechstunde" mit Nicolas Richter und Henrike Roßbach vom Hauptstadtbüro, die erklären, warum Politiker Frage-Antwort-Interviews autorisieren dürfen. Oder später zur stellvertretenden Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und Wien-Korrespondentin Cathrin Kahlweit, die im Werkstattgespräch schildern, wie über Putins Krieg in der Ukraine und jetzt über den Krieg in Israel berichtet wird. Israel-Berichterstatter Peter Münch ist zugeschaltet.

Austausch im Foyer: Politikchef Stefan Kornelius im Gespräch mit Lesern. (Foto: Leonhard Simon/Leonhard Simon)

Wer zu spät kommt, der hat keine Chance, noch zur kleinen Bühne 3 vorzudringen. Claudio Catuogno, Christof Kneer und Philipp Schneider von der Sportredaktion bieten einen "hochspekulativen" Blick hinter die Kulissen des FC Bayern. Hohes Tempo, Spielwitz und Sachverstand bilden da eine Dreierkette und dichten kann das Autorenduo Kneer/Schneider auch. "Sturm der Liebe" hieß im Mai ihr Stoff über Thomas Tuchels Annäherung an seinen neuen Verein. Klassische Lesung auf sportlich.

Umgekehrt funktioniert das Prinzip Kennenlernen mit einem Glas Wein in der Hand am Freitag auch. Wer sind sie denn nun unsere SZ-Leser, zu welchen Seiten greifen sie wann und wie? Sabine Bender-Schmidt, 56, und ihr Mann Peter Schmidt, 57, Vollabonnenten, sowas wie der Traum der Zeitungsmacher. Unter der Woche lesen sie digital, "für schnelle Nachrichten die Homepage". Der Sportlehrer hört beim Frühsport im Keller den Podcast "Auf den Punkt" und liest am Wochenende "Print, weil es schön ist, wenn man Zeit hat, die Zeitung in der Hand zu halten."

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