Herbert-Riehl-Heyse-Preis 2023:Wider die Ignoranz

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Katharina Riehl (Tochter von Herbert Riehl-Heyse und Ressortleiterin Politik der SZ), Preisträgerin Nadia Pantel, Bundespräsident a. D. Joachim Gauck und SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer vor der Preisverleihung im Münchner Volkstheater. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Reflexion mit Selbstironie: Nadia Pantel ist Trägerin des Herbert-Riehl-Heyse-Preises 2023 - ihre Erkundung Osteuropas hat bei Laudator Joachim Gauck "eine Saite zum Schwingen gebracht".

Quizfrage: Können Sie Odessa, Bukarest und Sofia von Nord nach Süd sortieren? Nein? Es ist ganz einfach: Der Satz gibt die Lösung schon vor. Und gleichzeitig ist es doch nicht so einfach, wie die Spiegel-Journalistin Nadia Pantel in ihrem Text zeigt, der mit eben jener Frage überschrieben war und Ende vergangenen Jahres in dem Nachrichtenmagazin erschien. Viele Menschen in der Bundesrepublik dürften sich nicht in erster Linie deshalb mit der Frage schwertun, weil ihnen jegliche geografische Grundorientierung fehlt, sondern eher, weil der Raum zwischen Berlin und Moskau im Bewusstsein lange eine Leerstelle blieb. Eine "Knautschzone" eben, wie Pantel in ihrem Text schrieb, die erst mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine so richtig ins Bewusstsein rückte.

Pantels Essay, der persönliches Erleben, Reflexion und Recherchen mischt, ist am Freitag mit dem Herbert-Riehl-Heyse-Preis ausgezeichnet worden, der seit dem Tod des Namenspaten 2003 alle zwei Jahre vergeben wird. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis, den die Gesellschafter der SZ gestiftet haben, soll das Gedenken an den Reporter wachhalten, der den Stil dieses Blattes mitgeprägt hat und einer ganzen Journalistengeneration Vorbild war, wie es der frühere Chefredakteur Kurt Kister einmal formulierte. Und mit ihm sollen herausragende Essays und Betrachtungen gewürdigt werden, die vielleicht nicht nach radikaler Objektivität streben - aber durch ihren speziellen Blick den Leserinnen und Lesern helfen, die Welt ein bisschen besser zu verstehen.

Auch wegen seiner "Biografie als Ossi" habe der Text ihn berührt, sagt Joachim Gauck

Dass Nadia Pantel "ein SZ-Gewächs" ist, "das sich leider entschieden hat, beim Spiegel weiter zu wachsen", daran erinnerte SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach gleich bei der Begrüßung. Dass sie eine würdige Preisträgerin ist, trug dann Bundespräsident a. D. Joachim Gauck vor - und liebevollere Laudatios sind bislang wohl nur selten auf Preisverleihungen gehalten worden. Seine Begeisterung, so Gauck, habe durchaus auch persönliche Gründe: Pantels Text habe "eine Saite" in ihm "zum Schwingen gebracht", die zweifellos mit seiner "Biografie als Ossi zu tun" habe.

Auch er habe erlebt, dass man sich im Westen etwa kaum für seine Heimatstadt Rostock interessierte, dass folgende Geisteshaltung verbreitet war (und teils wohl noch immer ist): "Der Westen bringt große Kulturnationen hervor, im Osten hingegen ist die Rückständigkeit zu Hause". Die Ignoranz, die Deutschland gegenüber den Gegenden östlich Berlins aufbringe, habe er auch in seiner Rolle als Bundespräsident bemerken müssen. Wie groß etwa die Wahrnehmungslücken in Bezug auf die Verbrechen der Wehrmacht in Osteuropa sind, fiel Gauck bei einem Besuch 2016 in Babyn Jar auf, jener Stelle bei Kiew, wo 1941 in nur zwei Tagen mehr als 33 771 Juden umgebracht wurden. Von der Stadt Korjukiwka, wo die SS zwei Jahre später 6700 Einwohner erschoss, hörte er erstmals vor Ort.

Mit Urkunde und Blumen in der Hand fragte sich Nadia Pantel dann auf der Bühne im Münchner Volkstheater, wo im Anschluss an die Preisverleihung die "Nacht der Autorinnen und Autoren" begann, ob je ein Text von ihr so genau gelesen wurde wie der ihre wohl von Gauck. Die Jury würde vielleicht einwenden, sie habe das getan, sie würdigte den Essay als "eine wunderbare Landvermessung Europas", in der die Autorin "ihre persönliche Perspektive mit einem gesellschaftlichen Phänomen" verwoben habe. Der sanfte Humor und die Selbstironie, die den Text durchziehen, machten Nadia Pantel zu einer würdigen Preisträgerin im Sinne von Herbert Riehl-Heyse.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war die Zahl der Opfer von Babyn Jar falsch angegeben.

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