Geschlechtskrankheit:Sex ohne Kondom: Immer mehr Syphilis-Infektionen in München

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Syphilis wird ausgelöst durch das Bakterium Treponema pallidum, das beim Geschlechtsverkehr über die Schleimhaut in den Körper eindringt. (Foto: SuperStock/Imago)

Die Stadt liegt im bundesweiten Vergleich mit an der Spitze, fast ausschließlich Männer stecken sich an. Als Grund für den Anstieg nennt ein Infektiologe Sorglosigkeit.

Von Stephan Handel

Die Syphilis ist zurück in München: Nachdem die Zahl der gemeldeten Fälle - wie bei praktisch allen Infektionskrankheiten - in den Lockdown-Jahren 2020 und 2021 kräftig zurückgegangen war, ist sie 2022 auf ein neues Hoch geklettert und 2023 auf dem gleichen Niveau geblieben. Insgesamt wurden während der vergangenen fünf Jahre nach Angaben des Gesundheitsreferats der Stadt 2749 Fälle gemeldet, die Zahl der HIV-Infektionen lag dagegen nur bei 812.

Mit diesen Zahlen liegt München bundesweit mit an der Spitze. Beim Vergleich der Inzidenzen, also der Infektionen pro 100 000 Einwohner, belegt München mit 38,9 den dritten Platz hinter Köln (42,9) und Berlin (41,3), so steht es im gerade veröffentlichten "Epidemiologischen Bulletin" des Robert-Koch-Instituts. "Derzeit kommen jede Woche bestimmt an die drei Fälle", sagt Johannes Bogner. "Das ist deutlich mehr als in den vergangenen Jahren."

Bogner ist Leiter der Sektion Klinische Infektiologie an der Poliklinik IV der LMU, zu der auch die Infektionsambulanz gehört, eine der ersten Anlaufstellen auch bei allen Arten sexuell übertragbarer Krankheiten in der Stadt. Er weiß, dass der Großteil der Patienten Männer sind - der Frauenanteil liegt bundesweit bei 5,6 Prozent. Syphilis wird so gut wie immer beim Geschlechtsverkehr übertragen: "Wenn man mehrmals die Woche mit wechselnden Partnern Sex hat, steigt auch das Risiko, sich etwas einzufangen", sagt Bogner. "Wenn zwei Menschen in einer monogamen Beziehung leben und auch nur miteinander Sex haben, beträgt das Risiko praktisch Null."

Für einen erfahrenen Arzt ist Syphilis wegen eines fleckartigen Hautausschlags eine der einfachsten Diagnosen. "Ein Blick genügt", sagt Johannes Bogner. (Foto: Stephan Rumpf)

Syphilis wird ausgelöst durch das Bakterium Treponema pallidum, das beim Geschlechtsverkehr über die Schleimhaut in den Körper eindringt. Die Krankheit wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Im Durchschnitt nach 21 Tagen bildet sich an der Infektionsstelle ein Geschwür. Die aus diesem Geschwür austretende Flüssigkeit enthält eine Vielzahl der Erreger und ist hochansteckend. Ansonsten entstehen jedoch keine Beschwerden, und weil die Geschwüre gelegentlich auch ohne Behandlung wieder verschwinden, geht die Medizin von einer hohen Dunkelziffer bei dieser "Primärstadium" genannten Phase aus.

Dann ist erst einmal Ruhe - scheinbar, denn andere anstecken kann der Syphilis-Patient in dieser Phase schon. Wenn die Krankheit dann im sogenannten Sekundärstadium wieder aufflammt, manchmal nach zwei Monaten, manchmal nach einem Jahr, tut sie das mit einem fleckartigen Hautausschlag. Für den erfahrenen Arzt ist das eine der einfachsten Diagnosen: "Ein Blick genügt", sagt Johannes Bogner, "ja, das ist eine Syphilis." Natürlich wird der Befund danach noch durch Laboruntersuchungen abgesichert.

Die Syphilis ist gut behandelbar - zumeist durch Gaben von Penicillin oder verwandter Produkte bei Allergien. So wird die dritte Stufe der Krankheit heutzutage selten erreicht, ihr fielen Berühmtheiten wie Franz Schubert, Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer zum Opfer: In dieser Phase greift der Erreger das Zentrale Nervensystem an, was zu Lähmungen, Sprachstörungen, schließlich zu Demenz führt. Das Robert-Koch-Institut registrierte für das Jahr 2022 nur 1,5 Prozent der Erkrankungen im Tertiärstadium.

Jede 15. Syphilis-Infektion passiert in München

Eine Syphilis-Diagnose muss an das Gesundheitsamt gemeldet werden, wenn auch ohne den Namen des Patienten. Das Münchner Gesundheitsreferat verzeichnete im Jahr 2018 eine Infektionszahl von 424, ein Jahr später waren es 446, danach 356, schließlich 412 - das waren die beiden Lockdown-Jahre. 2022 gab es 558 gemeldete Fälle, 2023 dann 553 - keine dramatisch hohen Zahlen, aber dennoch: Bei bundesweit gemeldeten 8305 Fällen bedeutet das, dass etwa jede 15. Syphilis-Infektion in München passiert.

Die Gründe dafür liegen nach Meinung von Johannes Bogner in einer gewissen Sorglosigkeit, vor allem in der schwulen Szene: HIV führt nicht mehr unweigerlich zum Tod, die Syphilis lässt sich gut behandeln, und als Makel oder Stigma wird eine Geschlechtskrankheit heute auch nicht mehr betrachtet. Das führte unter anderem dazu, dass das Kondom, wie Bogner sagt, "nicht mehr salonfähig" sei - in manchen Dating-Portalen gelte es schon als "Killerargument", wenn jemand Sex mit Gummi haben möchte.

Eine Impfung hingegen ist nicht in Sicht - bei nur 8000 Fällen im Jahr wird kein Pharma-Unternehmen die Milliardenkosten für eine Entwicklung auf sich nehmen. Das Kondom hingegen würde beide Sexualpartner schützen. Bogner: "Wenn alle immer nur geschützten Sex hätten, wäre Syphilis schon lange vom Erdboden verschwunden."

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