Diskriminierung:"Ein sehr hohes Ausmaß"

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Viele Münchner haben gegenüber Obdachlosen eine abwertende Einstellung. (Foto: Stephan Rumpf)

Viele Münchner begegnen Langzeitarbeitslosen, Obdachlosen, Muslimen und anderen Gruppen mit einer abwertenden Einstellung - das zeigt eine Studie von LMU-Soziologen. Doch woher kommt das?

Von Bernd Kastner

München hat ein Problem mit "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit". Darunter verstehen Fachleute, wenn eine Person angefeindet, beleidigt oder angegriffen wird, weil sie - tatsächlich oder angenommen - einer bestimmten Gruppe angehört. Besonders betroffen sind von abwertenden Einstellungen Langzeitarbeitslose, Geflüchtete, Obdachlose, Sinti, Roma und Muslime. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität erstmals im Auftrag der Stadt erstellt hat. "München-Monitor" lautet der Titel.

München unterscheide sich kaum von der bundesdeutschen Gesamtgesellschaft, sagen Christian Ganser und Werner Fröhlich von der LMU, die ihre Untersuchung am Freitag im Rathaus vorstellten. Das ist aber nicht unbedingt eine gute Nachricht, sondern Indiz "für eine generell vorhandene Abwertungsstruktur in der Gesellschaft".

Von 8500 zufällig ausgewählten und angeschriebenen Personen haben rund 2000 den LMU-Fragebogen ausgefüllt. Dabei haben die Forschenden in München auch einen ausgeprägten israelbezogenen Antisemitismus registriert. Abwertende Einstellungen bei einer Person richteten sich meist nicht allein gegen eine Gruppe, sondern gegen mehrere. Es gebe eine starke Korrelation bei der Ablehnung von Muslimen und Geflüchteten, von Trans-Menschen und Homosexuellen, von Frauen und Homosexuellen.

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Erfasst haben die LMU-Fachleute weitere beunruhigende Tendenzen. Fast jede vierte Person, die den Fragebogen ausgefüllt hat, befürworte einen Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit. "Es muss endlich Schluss damit sein, dass wir als Deutsche bis heute für die Verbrechen des Nationalsozialismus büßen": 42 Prozent stimmen dieser Aussage "voll und ganz" oder "eher" zu. Eine solche Einstellung wiederum hänge eng zusammen mit der Abwertung bestimmter Gruppen, heißt es in dem "Monitor".

Und wie steht die Münchner Stadtgesellschaft zur Demokratie? 82 Prozent schreiben sich selbst in hohem Maß demokratische Ideale zu, gar 95 Prozent haben nach eigenen Angaben Vertrauen in die Demokratie. Zugleich aber bekamen die LMU-Leute von 21 Prozent eine starke politische Machtlosigkeit zurückgemeldet, 13 Prozent weisen eine "Verschwörungsmentalität" auf, vier Prozent befürworten stark eine rechtsgerichtete Diktatur.

Für Ganser und Fröhlich ergeben sich Zusammenhänge: Wer demokratische Ideale vertritt, der Demokratie vertraut und mit der Verfassung zufrieden ist, der wertet bestimmte Gruppen "weniger" ab. Umgekehrt gelte: Wer sich politisch machtlos fühlt, eine rechte Diktatur befürwortet und einer Verschwörungsmentalität anhängt, der wertet andere "eher" ab.

Keine Anzeichen sehen die Forschenden hingegen, dass in bestimmten Gruppen Menschenfeindlichkeit besonders stark vorkomme. Es gebe keine Hinweise, dass das Abwerten von Mitmenschen mit Alter, Bildung, Lebenszufriedenheit oder geschlechtlicher Identität zusammenhänge. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit trete "in breiten Teilen der Bevölkerung auf". Das bedeute nicht, dass eine Mehrheit so denke und handle, sondern: Menschenfeindliche Einstellungen finde man überall.

"Ein sehr hohes Ausmaß"

Die LMU-Soziologen wollten von den Befragten auch wissen, ob sie selbst Diskriminierung erfahren haben. 30 Prozent bejahen dies. Von ihnen wiederum wurde mehr als die Hälfte rassistisch diskriminiert, etwa wegen der ethnischen Zugehörigkeit, der Hautfarbe oder des Namens. Dieser Wert sei "sehr, sehr hoch", sagt Fröhlich. Etwa jede dritte Person unter denen, die Diskriminierung erfahren haben, wurde wegen ihres Geschlechts abgewertet - "ein sehr hohes Ausmaß". Viele Menschen seien auch Ziel von Mehrfachdiskriminierung: etwa wegen der sexuellen Identität, Armut, Aussehen, Sprache oder Behinderung.

Die Betroffenen berichten von herablassender Behandlung, dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, Beleidigungen und Beschimpfungen oder abwertenden Äußerungen über die eigene Gruppe. Die LMU hat auch gefragt, wo Menschen diese Erfahrungen machen. Die drei meistgenannten Orte oder Bereiche: Arbeitsleben, Geschäfte oder Dienstleistungsbereich, Wohnungsmarkt.

Auch mit Gruppendiskussionen haben die LMU-Soziologen gearbeitet und Schwarze sowie Sinti und Roma eingeladen. Diese berichten von auffällig häufigen Kontrollen durch die Polizei, von "Racial Profiling"; dass sich andere Menschen von ihnen in öffentlichen Verkehrsmitteln wegsetzen, dass sie angestarrt und beleidigt werden.

Viele Opfer fühlen sich alleingelassen

Sinti und Roma nehmen Diskriminierung im Bildungsbereich wahr, durch Lehrkräfte wie durch Mitschüler. In dieser Gruppe spiele der Umgang mit dem nationalsozialistischen Genozid eine wichtige Rolle: Sie fühlten sich dabei von der Mehrheitsgesellschaft "weitgehend alleingelassen". Ähnlich äußerten sich laut "München-Monitor" Schwarze, diese in Bezug auf Kolonialismus und Sklaverei. Sie beklagen, dass seitens der weißen Mehrheitsgesellschaft die Initiative fehle, diese historischen Verbrechen aufzuarbeiten.

Vertreter beider Gruppen sind am Freitag im Rathaus bei der Vorstellung der Studie dabei. Alexander Adler erzählt, dass an Schulen der Gebrauch des Z-Wortes noch immer verbreitet sei. Und dass viele Schülerinnen und Schüler überrascht seien, wenn sie erfahren, wie verletzend dies für Sinti und Roma sei. Adler, der seit vielen Jahren als Mediator bei "Madhouse" arbeitet, berichtet von seinem eigenen Vater, der ihm einst geraten habe, sich bei der Wohnungssuche nicht zu outen: Sag nicht, wer du bist.

Das Verleugnen der eigenen Herkunft sei ein verbreitetes Reaktionsmuster in der Community. Marcella Reinhardt vom Landesverband der Sinti und Roma erzählt, dass sie sich gefragt habe, ob sie ihren Enkeln raten solle, in der Schule ihre Identität zu verheimlichen. "Nein!", ruft sie, "ich schicke meine Kinder nicht als Opfer in die Schule." Sie hält es für eine Pflicht der Lehrkräfte, alles dafür zu tun, dass sich auch diese Kinder wohlfühlen.

"Es ist erstickend." So fasst Jennifer Tevi, 25, das Leben mit Vorurteilen und Diskriminierung zusammen. Sie, die selbst Workshops zu Antirassismus gibt, plädiert dafür, gerade Kindern und Jugendlichen Raum für Fragen zu geben. Zum Beispiel, warum die Haut bei den einen dunkler ist als bei den anderen, oder warum das N-Wort beleidigend ist. Sie mache die Erfahrung, dass Antworten auf solche Fragen helfen, Diskriminierung abzubauen.

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