München:Stadt zahlt für Verhütungsmittel - aber niemand will das Geld

Lesezeit: 3 min

  • Die Stadt München zahlt Frauen mit geringem Einkommen die Verhütungsmittel.
  • Doch die 2014 bereitgestellte Summe von 1,6 Millionen Euro blieb weitestgehend ungenutzt und wurde im vergangenen Jahr deutlich reduziert.
  • Häufig wird bemängelt, dass das Verfahren zu kompliziert und bürokratisch sei - viele wissen zudem gar nicht, dass es diese Gelder gibt.

Von Lisa Settari

Der gute Wille ist erkennbar: Damit der Wunsch nach Familienplanung und Verhütung nicht schon am Geld scheitert, hat der Stadtrat fraktionsübergreifend beschlossen, für Frauen mit geringem Einkommen die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel zu übernehmen sowie Männern in einigen Fällen die Sterilisation zu ermöglichen.

Fast drei Jahre ist das nun her. Doch die bereitgestellte Summe von 1,6 Millionen Euro, die 20 000 Frauen die Verhütung ermöglichen sollte, blieb weitestgehend ungenutzt: Nur 34 500 Euro wurden davon ausgegeben, was rechnerisch nicht einmal dem Bedarf von 450 Personen entspricht.

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Dem Beschluss im Dezember 2014 waren jahrelange Diskussionen zwischen der Stadt und dem Verein Pro Familia vorangegangen. Doch schon 2016 wurde das Budget wegen geringer Nachfrage auf 200 000 Euro reduziert und gleichzeitig der Kreis der Anspruchsberechtigten um 10 000 Personen erweitert. Die Kürzung sei kein Anlass zur Sorge, versicherte der sozialpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Marian Offman. Sollten die 200 000 Euro aufgebraucht sein, stünden Reservemittel zu Verfügung. Benötigt wurden sie nicht.

Bei Pro Familia München zeigt sich der Geschäftsführer Christian Reisenberg angesichts dessen wenig zufrieden: "Ich bin nicht glücklich mit der aktuellen Situation, und man könnte sie verbessern." Die relativ geringe Nutzung der anfangs zur Verfügung gestellten Mittel spiegle nicht den tatsächlichen Bedarf an Verhütungsmitteln wider, glaubt er. Geringe Nachfrage bedeute nicht geringer Bedarf. Doch woran liegt es? Scham, Bürokratie und Kommunikationsprobleme, wie man immer wieder zu hören bekommt?

CSU-Mann Offman geht wie Frank Boos vom Sozialreferat davon aus, dass viele ausländische Frauen kulturell bedingt nicht nach Verhütungsmitteln fragen. "Für viele ist dieses Thema auch Sozialarbeiterinnen gegenüber ein Tabu. Das Angebot kann also nur bei Beratungsgesprächen, etwa bei Schwangerschaften, thematisiert werden und dies auch nur mit großer Vorsicht", so Offman. Oft kämen die Frauen auch erst nach einer ungeplanten Schwangerschaft auf die Behörde zu, um sich über das Thema und das Angebot zu informieren. Um mit Frauen mit solchen Schamgefühlen, wenn es um das Thema Sexualität geht, anzusprechen, müssten sogar Sozialarbeiterinnen richtig nachbohren, wofür schlicht die Zeit fehle.

Für eingehende Gespräche fehlt die Zeit

Boos räumt ein, dass der Weg zu kostenlosen Verhütungsmitteln sehr bürokratisch sei und eine Hürde darstellen könne. Doch er betont, dass die Stadt bereits reagiert habe, und das Verfahren vereinfacht worden sei. Zumindest Berechtigten mit deutscher Staatsbürgerschaft bleibt das anfangs obligatorische "Orientierungsgespräch" mittlerweile erspart. Sie müssen sich also mit einer fremden Person weniger über ein intimes Thema unterhalten. Außerdem plane die Stadt, die Informationsblätter, mit denen für das Angebot geworben wird, auf Türkisch, Griechisch, Arabisch, Farsi, Englisch, Französisch, Bosnisch und Serbisch übersetzen zu lassen.

Reisenberg steht hinter der Initiative der Stadt, ist aber gleichzeitig zurückhaltend mit dem Lob für eine "zusätzliche, freiwillige Leistung der Stadt München, auf die kein Rechtsanspruch besteht", wie es in den Flyern heißt. Pro Familia vertritt die Auffassung, dass Familienplanung ein grundsätzliches Recht sei. Durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz aus dem Jahr 2004 stehen jedoch Hartz-IV-Empfängern monatlich nur 17 Euro für Gesundheitspflege und Familienplanung zu Verfügung. Vollkommend unzureichend, findet Reisenberg. Eine Pillen-Packung koste ja schon zwischen 10 und 15 Euro, eine Hormonspirale 300 Euro.

Kaum jemand kennt die Initiative der Stadt

Scham und kulturelle Unterschiede dürfe man nicht überbewerten, sagt der Pro-Familia-Geschäftsführer. "Trotzdem müssen ausländische und geflüchtete Frauen besser durch den ganzen Prozess begleitet werden." Fehlende Übersetzungen der Flyer erklärten allerdings die geringe Nachfrage nicht, immerhin hätten ja auch unter Deutschen viel weniger Frauen als erwartet von dem Angebot Gebrauch gemacht. Das zentrale Problem sei der niedrige Bekanntheitsgrad - auch unter den Fachkräften in der Sozialarbeit, in der Sachbearbeitung sowie unter den Frauenärzten.

Frank Boos findet, Plakate und Flyer seien in den Sozialbürgerhäusern bestens platziert, und er verweist auf steigende Zahlen bei den in Anspruch genommenen Geldmitteln. Reisenberg jedoch findet, die Stadt müsse mehr tun, um das Angebot besser bekannt zu machen. "Für diese Initiative muss intensiv und kontinuierlich geworben werden, wie auch für den Ferienpass jedes Jahr geworben wird."

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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