Spielart-Festival:Was das Spielart-Festival 2023 bietet

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Die Performerin Mallika Taneja kommt mit "Do you know this song?" aus Indien nach München zum Spielart-Festival. (Foto: Maximilian Borchardt)

Wrestling, Performances und Installationen, ein aufblasbares Guggenheim-Museum und ein Asien-Schwerpunkt: Das Spielart-Festival holt spannende internationale Gäste nach München und blickt zugleich auf die Stadt.

Von Yvonne Poppek

Es gibt drei Blickrichtungen: nach außen, auf die Stadt und die Kombination aus beiden. So fasst die künstlerische Leiterin Sophie Becker zusammen, was im Kern das diesjährige internationale Spielart-Festival ausmacht. Für jede Zusammenfassung ist man ja dankbar bei dieser Fülle und Vielfältigkeit des Programms, das Performance, Tanz, Musik, Filme und diesmal auch viele Installationen umfasst und sich in ein Haupt- und drei Sonderprogramme unterteilt. 16 Tage dauert das Festival vom 20. Oktober bis 4. November, knapp 40 internationale Produktionen sind eingeladen, die in 13 Spielstätten - unter anderem Fat Cat, Werkraum, Volkstheater, Muffathalle, Einstein Kultur und Kreativquartier - zu sehen sind. Darunter zehn Uraufführungen und 15 Ko-Produktionen sowie sieben Aufführungen, die erstmals in Europa zu sehen sind. Dazu kommen Veranstaltungen im temporär errichtet "Gggnhm". Ein Überblick.

Hauptprogramm

Die Grundhaltung vieler Produktionen ist positiv, sagt Festivalleiterin Sophie Becker. So auch bei der schottischen Performance "The Making Of Pinocchio", die von Geschlechtsangleichung erzählt und fragt: Was bedeutet es, "echt" zu sein. (Foto: Tiu Makkonen)

Im Hauptprogramm finden sich die großen, internationalen Produktionen, die das Grundgerüst des Festivals ausmachen. Die knapp 20 Arbeiten reisen beispielsweise aus der Ukraine, Italien, Frankreich, dem Kongo oder auch Estland an, teils sind sie auch aus München. Thematisch haben sie keine Klammer, ähneln sich aber in der Grundhaltung: "Wir haben dieses Jahr sehr viele Arbeiten ausgewählt, die eine positive Ausstrahlung haben", sagt Becker. Konflikte werden angesprochen, aber immer mit einem Ausblick oder einer Lösung. Trist soll es also nicht werden.

Die positive Grundhaltung findet sich schon in der offiziellen Eröffnungsproduktion, der Uraufführung "Kampf um die Stadt" von Julian Warner und Veronika Maurer, am 20. Oktober in der Muffathalle wieder. Das Duo hatte dieses Form schon erfolgreich beim Augsburger Brechtfestival ausprobiert. "Kampf um die Stadt" verbindet Wrestling mit der Austragung städtischer Konflikte. Es ist Show, Spektakel und Performance zugleich, wenn die professionellen Wrestler in den Ring steigen und - wie es beispielsweise in Augsburg der Fall war - gemäß den Regeln ausprobieren, ob Paulaner oder Riegele in der Spezi-Frage gewinnt. In München wird sich dann etwa um Wohnraum gekloppt, um steigende Mieten oder soziale Fragen.

Das Wrestling-Format haben Julian Warner und Veronika Maurer schon beim Augsburger Brechtfestival (hier im Bild) ausprobiert. (Foto: Bruno Tenschert)

Komplett gegenläufig ist Dmytro Levytskyis "Fotografien der Sitschowych-Strilziw-Straße" angelegt. Hier ist das Publikum an den Festivalwochenenden im Motorama mehr für sich - mit einem Buch und einer Audioübertragung. In dem Buch finden sich Fotografien der titelgebenden Straße in Kiew, Dokumente des Alltags und des Krieges, zu hören sind Geschichten der Anwohner. Skurril, hart und heilsam ist die schweizerisch-deutsche-kongolesische "Group 50:50" unterwegs, sie kümmert sich kunst-aktivistisch in "The Ghosts Are Returning" um Menschenknochen, die einst zu Forschungszwecken vom Kongo in die Schweiz gebracht wurden. Wie können diese Gebeine wieder zurückkehren (28. u. 29.10., Muffathalle)?

Mit Maria Metsalu kommt eine hippe estische Performerin nach München, die über die Sonne meditiert (31.10., 2.11., Einstein Kultur), die italienische Produktion "Sottobosco" von Chiara Bersani entwickelt eine Choreografie und Zeichensprache mit behinderten Menschen. Wieder anders: Die Münchner Musikerin Mira Mann und der Berliner Komponist Carlos Cipa bringen neue Liebeslieder mit (1. u. 2.11., Kunstpavillon). Und ganz zum Schluss gibt es noch ein Partyformat: Nadia Beugré zeichnet ein Porträt der Transgender-Community in ihrer Heimatstadt Abidjan an der Elfenbeinküste in einem Gute-Laune-Tanzstück (3. u. 4.11., Muffathalle).

Veranstaltungen im "Gggnhm"

Momentan wird das "Gggnhm" vor der Staatsoper noch aufgebaut. So soll es dann aussehen. (Foto: God's Entertainment)

Hinter der Konsonantenverbindung steckt das "Guggenheim". Auf dem Max-Joseph-Platz direkt vor der Oper gibt es während des Festivals eine aufblasbare Ausgabe des New Yorker Museums. Es ist der auffälligste und zentralste Spielort, den das Festival je hatte. Dort organisiert die Wiener Gruppe "God's Entertainment" einen Schwerpunkt zum Thema Arbeitsmigration und Integration. In der begehbaren Skulptur wird die Ausstellung "Deutschkurs oder Goethe in 15 Tagen" zu sehen sein, das Kollektiv hat dazu das Buch "Dulden" verfasst in Anlehnung an den "Duden", setzt sich darin mit persönlichen Erfahrungen bei den Behörden und der Behördensprache auseinander.

Zum Festival bringt das Kollektiv God's Entertainment den "Dulden" heraus, der sich mit Behördensprache und Erfahrungen auf den Ämtern auseinandersetzt. (Foto: God's Entertainment)

Das "Gggnhm" soll zudem ein Begegnungsort für die Münchnerinnen und Münchner sein. Es gibt dort Gespräche, Diskussionen und Workshops zur Rechtssprache, zum Verfassungsschutz oder zu diskriminierender Sprache. Auch ein Konzert und Tanz-Workshops sind vorgesehen.

Asien-Schwerpunkt

Mit traditionellen chinesischen Handpuppen erzählt die "Party Theater Group" aus Taiwan in "White Storyteller". (Foto: Chien-Che Tang)

Mit dem Programm "When Memories Meet" richtet das Festival den Blick nach Asien. Hier geht es im Kern um Erinnerungskultur, darum, wie Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt im Gedächtnis bleiben und warum. Zehn Produktionen sind dazu in München zu sehen, die alle spannend klingen. Da wäre beispielsweise aus Taipeh "White Storyteller" der "Party Theatre Group" (27. u. 28.10., Hoch X). Der Abend verbindet Historisches mit Privatem, nämlich den "White Terror" in den Fünfzigerjahren in Taiwan mit der Familiengeschichte des Erzählers. Das Setting ist besonders, das Bühnenbild ist ganz aus Papier, darin agiert der Erzähler, verwendet traditionelle Handpuppen.

Aus Delhi kommt Mallika Taneja mit "Do You Know This Song?" (3. u. 4.11., Einstein Kultur). Die Performerin beschäftigt sich mit der Vergangenheit ihrer Mutter vor dem Hintergrund der indischen Kultur. Diese konnte nicht werden, was sie wollte, gab den Auftrag an ihre Tochter weiter, die sich nun auf die Suche nach der verloren gegangenen Stimme der Mutter und ihren Liedern macht. Auch Manbo Key aus Taipeh forscht in der Familiengeschichte in "Father's Videotapes". Als Key sich selbst mit seiner Homosexualität auseinanderzusetzen begann, entdeckte er seinen Vater in Schwulen-Pornos. Seine Installation im Muffatwerk ist damit verknüpft und verhandelt Sexualität und Identität. Auseinandersetzung mit der malaysischen Unabhängigkeit und der Frage, wer hier das Narrativ übernimmt, ("A Notional History", 21. u. 22.10., Einstein Kultur) gibt es bei Spielart genauso wie eine Improvisation zweier Pianisten über das chinesisch-amerikanische Polit-Ping-Pong ("Rhapsody in Yellow", 21. u. 22.10., Fat Cat). Alles in allem: Der Asien-Schwerpunkt verspricht, viele aus europäischer Sicht unbekannte Perspektiven mitzubringen, die gerade in ihrer Verbindung und Dichte bereichernd sein dürften.

Junge Künstler im Kreativquartier

Zum Ende des Festivals beim Schwerpunkt "Nothing To Declare" wird das Kreativquartier zu einem Experimentierfeld gerade für junge Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Theater, Performance und Bildende Kunst. Halle 6, Mucca, Zirka, Pathos werden zu einem Zentrum für Installationen, Vorträge, Filme, Forschungsprojekte und Performances. So ist beispielsweise Pankaj Tiwari mit seiner Installation "Paperplanes" zu sehen, die er teils auch bespielt. Dafür hat der Künstler 15 000 Papierflugzeuge gefaltet. Hintergrund ist, dass er einerseits der Erste aus seinem indischen Dorf war, der in ein Flugzeug stieg, sich an diese Art der Reisefreiheit in seiner Heimat ganz andere Vorstellungen knüpfen, als die Klima-Debatte aktuell mit sich bringt. Andererseits spiegelt die Anzahl der Flieger die immense Geldsumme wider, die Tiwari für sein Studium in Europa zurücklegen musste.

Wie im Hauptprogramm ist auch die Mischung bei "Nothing To Declare" sehr unterschiedlich: Da wären etwa die drei Kollektive "fachbetrieb rita gretchen", "G.Urban" und "di. Studio", die im Pathos eine Bisetka aufstellen. Eine Bisetka ist in Armenien ein öffentlicher, pavillon-artiger Ort, ein gesellschaftlicher Treffpunkt. Das soll die Bisetka auch im Pathos werden, als Bühne und Publikumsort in einem, wo es auch um Armenien gehen wird - ein absolut aktuelles Thema. Die Münchner Künstlerinnen Karoline Kapp und Manon Haase haben wiederum ein dokumentarisches Format entwickelt. Sie haben sich mit der "Plantage Dachau" beschäftigt, einer Anlage neben dem damaligen Dachauer KZ, das auch "Kräutergarten" genannt wurden. Heute wird dieses Gelände komplett anders genutzt, was sich in einer performativen Begehung erfahren lässt (2. bis 4.11., Start: Schwere Reiter). Hinzu kommt die Beschäftigung mit historischen Persönlichkeiten, Spieleabend, Filmscreenings - das Ende von Spielart versammelt vieles und gleicht einem großen Kunst-Forschungslabor.

Spielart-Festival, Fr., 20. Okt., bis 4. Nov., verschiedene Orte, www.spielart.org

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