Brechtfestival:Das Wrestling-Spektakel von Augsburg

Lesezeit: 3 Min.

Ob das Gute immer gewinnt? Akteure im Ring bei der Wrestling-Show im Veranstaltungssaal der Alevitischen Gemeinde Augsburg. (Foto: Bruno Tenschert)

Mit einer ausverkauften Wrestling-Show ist das Brechtfestival zu Ende gegangen. Nur einer von vielen Coups des neuen künstlerischen Leiters Julian Warner, der ungewöhnliche Wege beschreitet.

Von Sabine Leucht, Augsburg

Beim "Münchner Spezi" platzt selbst der "Friedensstadt Augsburg" der Kragen. Immer wieder ist sie mit ausgebreiteten Silberflügeln für ein Ende des Kampfes eingetreten, jetzt hilft sie eigenfüßig mit einem Arschtritt nach. Die Menge johlt. Endlich hat mal "das Gute" gewonnen: Das "Augsburger Original" vom Brauhaus Riegele. Die Paulaner Kopie muss sich schleichen. Was hier los ist? Wrestling ist los. Und Brechtfestival.

"Münchner Spezi" und "Augsburger Spezi" sind die Profi-Wrestler Jazzy Gabert alias "Alpha Female" und Kevin Kaiden alias "Die Härte aus Schwaben". Der Ring, in dem sie aufeinandertreffen, ist im Veranstaltungssaal der Alevitischen Gemeinde aufgebaut, der seinerseits in Augsburgs bevölkerungsreichstem Stadtteil steht, dem ehemaligen Arbeiterviertel Lechhausen. Und dass dort mal Brecht und Wrestling zusammenkommen würden, darüber wundert und freut sich die Augsburger Kulturamtsleiterin Elke Seidel laut. Leise wäre sie auch untergegangen.

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Denn "Der Kampf um Augsburg - Eine Wrestlingshow" ist auch vom Zulauf her der größte Coup des neuen Festivalleiters Julian Warner nach der Feier des 125. Brecht-Geburtstags zur Eröffnung. Das Spektakel ist ausverkauft, die Halle ist groß - und das vor allem in den USA populäre Wrestling ist nicht zuletzt auch ein Sport für die Stimmorgane der Zuschauer. Verächtlichste Buhs und frenetischer Jubel werden zu Beginn mit der Saalsprecherin Hanna Binder trainiert. Aber später merkt man doch, wer diese Art durchchoreografierten Showkampf öfter frequentiert. Anfeuerungsrufe wie "Geiler Schnauzer!" für den Publikumsliebling "No Money" gehen nicht jedem so leicht von den Lippen.

Das Wrestling-Format haben Julian Warner und Veronika Maurer schon beim Augsburger Brechtfestival (hier im Bild) ausprobiert. (Foto: Bruno Tenschert)

Dass sich längerfristige Synergieeffekte zwischen Theater- und (Kampf-)Sport-Freunden ergeben oder gar jemand die Seiten wechselt, ist unwahrscheinlich. Vermutlich sind weniger polittheatral geframte Wrestling-Spektakel der purere Spaß. Und für die meisten Theatergänger ist dieser Kampf der "Guten" (faces) gegen die "Bösen" (heels) zu vorhersehbar. Denn natürlich kommt der Krankenpfleger gegen seinen Albtraum nicht an, der die Gestalt seines Vermieters oder der Profitlogik im Krankenhaus annimmt.

Wer darf in dieser Stadt laut und sichtbar werden?

Enorm gewitzt ist die von Julian Warner und Veronika Maurer inszenierte Show dennoch. Weil das Eindeutige und Konfrontative darin fast Lehrstück-Charakter haben. Aber auch, weil sie das Festivalmotto "Brecht's People" glaubhaft vertritt: Alle sind eingeladen und gemeint. Auf der Suche nach den brennenden Problemen der "kleinen Leute" vor Ort hat Veronika Maurer in der Vorbereitung etliche von ihnen interviewt. Aus Fragen wie jener, wer in dieser Stadt laut und sichtbar werden darf, ist der rote Faden dieses "Kampfs um Augsburg" wie des runderneuerten Brechtfestivals gesponnen. An die Peripherie zu gehen, war Warners erste Entscheidung. Dort Orte mit Kunst zu besetzen und mit neuen Bedeutungen zu überlagern, aber nicht gewaltsam zu kapern, die wohl noch wichtigere zweite. Ein schönes Beispiel: Eine Lecture über Hip-Hop als postmigrantische Ausdrucksform in einer Traditionswirtschaft, in der sonst der Trachtenverein residiert - kenntnisreich und überaus geschmeidig durchgeführt von den Ex-Rappern, Antirassismus-Aktivisten und Lehrern Murat Güngör und Hannes Loh: Eine Klischeevernichtungsveranstaltung pur! Und: Wohlschmeckende Medizin gegen die Spaltung der Gesellschaft.

Julian Warner, der künstlerische Leiter, will das Brechtfestival öffnen und neu legitimieren. (Foto: Bruno Tenschert)

Schwer auf einen Nenner zu bringendes kommt auch in Antigone Akgüns Inszenierung "Leer/Stand - Der Brotladen oder: Wem gehört der Stadtraum?" zusammen, die in einer verlassenen Sparkassen-Filiale gastiert und in Sachen Leerstands-Diskussion den Transfer aus Bremen nicht ganz unbeschadet übersteht, aber aufs Schönste beweist, welche Kraft Brechts episches Theater immer noch entfaltet, wenn charismatische Darsteller und ein ernsthaftes gegenwärtigen Anliegen zusammenkommen.

Und selbst an seine Vorgänger hat Brückenbauer Warner angedockt. Mit "Brechts Gespenster", das bei der Premiere am Berliner Ensemble vor allem durch handwerkliche Meisterschaft überzeugte, kamen Suse Wächter und einige ihrer Puppen zurück nach Augsburg, die das Publikum bereits unter dem Festival-Kuratoren-Duo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner kennengelernt hat.

Ob Julian Warners Idee aufgegangen ist, die ganze Stadtgesellschaft mit offenen Armen zu empfangen, lässt sich von außen schwer überprüfen. Viele Festival-Acts sind so kleinteilig, dass sie kaum Breitenwirkung entfalten dürfen, einige sind auch als Initialzündungen zu verstehen, deren Sprengkraft sich erst im nächsten Jahr erweist. Da denkt Warner so prozesshaft wie Brecht. Nah- und anfassbar aber war das Festival, zumal für einen ausgemachten Intellektuellen wie den Kulturanthropologen Warner, der beim Münchner Spielart-Festival 2021 noch eine "affektpolitische Intervention" in den öffentlichen Raum pflanzte. Menschen mitnehmen und begeistern kann er. Sehr unterschiedliche Menschen. Und so was hinterlässt immer Spuren.

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