Geruchsbelästigung im Wohngebiet:Wenn die Luft nach Kunststoff riecht

Lesezeit: 3 min

Kunststoffe als Geschäftsfeld: das Sollner Renolit-Werk. (Foto: Florian Peljak)

Es stinkt in Solln, regelmäßig weht ein chemischer Duft durch das Viertel. Sind die Abgase der Firma Renolit nur störend - oder auch gefährlich? Weil die Stadt bisher kaum tätig geworden ist, suchen die Anwohner jetzt selbst nach Antworten.

Von Jürgen Wolfram

Je nach Windrichtung können sich die Kunststoffgerüche, die bisweilen durch Solln wabern, ganz schön intensivieren. Die unangenehme Duftnote weht vom Münchner Zweigwerk der Chemiefirma Renolit herüber, das seit Jahrzehnten an der Morgensternstraße in Solln Folien produziert, vor allem für die Möbelindustrie. Für viele Anwohner gehört die olfaktorische Belästigung gewissermaßen schon zur DNA ihres Stadtteils.

Die Bürgerinitiative (BI) "Plastikfrei atmen" aber will sich damit nicht mehr länger abfinden. Und sie fragt nach der Zusammensetzung der Abgase, fürchtet gesundheitsschädliche Stoffe wie etwa Weichmacher (Phthalate). Möglicherweise spielt bei der Bewusstseinsbildung auch ein technischer Defekt an einem Silo des Renolit-Werks eine Rolle, durch den vor zwei Jahren an der Morgensternstraße etwa 50 Kilogramm PVC in die Luft geschleudert wurde und als weißes Pulver in der Nachbarschaft niedergingen. Gesundheitlich unbedenklich, hieß es damals.

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Zwar hat das städtische Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) dem Betrieb nach Überprüfungen bisher grundsätzlich Unbedenklichkeit bescheinigt. Und erst recht weist das Unternehmen alle Annahmen zurück, es könne zur Gesundheitsgefahr werden. Doch nach Recherchen der BI-Sprecher Alexander Eberle und Stefan Brenske erstrecken sich die Kontrollen nicht auf die gesamten Produktionsanlagen. Diese halten sie überdies für veraltet. Unter Zulieferern der Autoindustrie jedenfalls seien höhere Standards üblich. Kein Wunder, dass dem Sollner Werk die Zertifizierung nach dem europäischen Umweltstandard EMAS fehle, sagen sie.

"Plastikfrei atmen" ist eine junge Initiative im Münchner Süden, entfaltet aber schon eine rege Korrespondenz mit Behörden, Politikern, Berufsgenossenschaft und Chemieexperten. Es gab erfolgreiche Anträge bei einer Bürgerversammlung, Auftritte im Bezirksausschuss, sogar eine Werksbesichtigung wurde bereits absolviert. Das Ergebnis dieser Bemühungen sei jedoch unbefriedigend, beklagen Eberle und Brenske.

Alexander Eberle hat unlängst auf eigene Faust eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob sich auf dem Schulhof der Herterichschule in Solln Spuren von Weichmachern finden lassen. Die ermittelte Konzentration reiße zwar keine Grenzwerte, sei aber dennoch "besorgniserregend", schrieb Eberle zum Ergebnis der Analyse an Stefan Forster, den Chef des Sollner Renolit-Werks. Und die Spur führe eindeutig in die Morgensternstraße, weil es sonst weit und breit keinen Hersteller von Kunststoffprodukten gebe. Forster reagierte im Gegenzug mit einer "Bitte um Versachlichung der Diskussion". Weichmacher würden bei Renolit "mit einer sehr hohen Abscheidequote von den Filtern zurückgehalten", versichert er.

Die Stadtverwaltung hat aktuell keine Beanstandungen

Ein anderer Punkt, über den man dringend reden müsse, ist nach Ansicht der Bürgerinitiative das vermutete Ausbleiben bestimmter Messungen in der PVC-Produktion bei Renolit. Diese seien leider nicht zwingend, weil die hergestellte Menge unterhalb von 10 000 Tonnen bleibe - ein Grenzwert für die Veranlassung solcher Kontrollen.

Das städtische Umweltschutzreferat teilt auf Anfrage mit, es habe "zum aktuellen Zeitpunkt bei Renolit im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Überwachungen keine Beanstandungen" gegeben. Zugleich bestätigt das Referat die Annahme der Bürgerinitiative, dass beim Sollner Ableger der Renolit SE (Hauptsitz ist Worms) auch Anlagen in Betrieb seien, die "nicht genehmigungsbedürftig sind", was wiederum die "Eingriffsmöglichkeiten" einschränke. Dennoch nehme die Behörde die Bedenken in der Bevölkerung ernst und gehe ihnen derzeit nach. So würden nun auch die nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen "im Rahmen der turnusmäßigen Überwachungen begutachtet".

Zur Herstellung von PVC-Folien und der dabei eingesetzten Weichmacher erläutert das Referat, mögliche Staub-Emissionen aus Granulaten würden vor Abführung ins Freie in Elektrofiltern gereinigt. Örtliche Auswirkungen durch die Verwendung von Phthalaten seien somit "nicht gegeben". Dass Weichmacher generell in die Umwelt und sogar in die Nahrung gelangen können, bezweifelt die Behörde nicht. Die Aufnahmemengen seien in der Regel aber so gering, "dass kein Gesundheitsrisiko besteht".

In der Druckerei finden alle drei Jahre Kontrollen statt

Immissionsschutzrechtlich sind für den Betrieb in der Morgensternstraße eine Foliendruckerei sowie eine Feuerungsanlage genehmigt. In der Druckerei finden alle drei Jahre Kontrollen statt, die bisher letzte im Jahr 2022. Messungen in den zur Luftreinigung eingesetzten regenerativen Nachverbrennungsanlagen habe man zuletzt im Februar dieses Jahres vorgenommen, teilt das Referat mit.

Die Firma Renolit betont in einer Stellungnahme, sie verfüge über moderne Produktionsanlagen zur Kunststoff-Verarbeitung und erfülle alle gesetzlichen Anforderungen. Im Sollner Werk würden Kunststoffe aus Polyolefinen (PO), Polyester (PET) und Polyvinylchlorid (PVC) produziert. Tatsächlich übersteige die Gesamtproduktion aller Kunststofffolien zusammen die Menge von 10 000 Tonnen pro Jahr, doch die Herstellung der PVC-Folien, um die es der Bürgerinitiative geht, liege "deutlich darunter". Somit unterschreite Renolit den Grenzwert aus der Bundesimmissionsschutzverordnung.

Zu den Messdaten der Analyse, die die Bürgerinitiative selbst in Auftrag gegeben hat, stellt eine Sprecherin des Unternehmens fest, ihrer Firma lägen diesbezüglich drei Werte vor. Diese im Staub nachgewiesenen Stoffe würden im Sollner Werk "nicht eingesetzt". Alle für die Folienproduktion verwendeten Rohstoffe entsprächen den Vorgaben der europäischen Chemikalienverordnung REACH . Ferner sei eine umfassende Risikobewertung vorgenommen worden - mit dem Ergebnis, dass "unsere Rohstoffe bei bestimmungsgemäßer Verwendung als sicher für Mensch und Umwelt gelten".

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