München:So hört sich der Hofgarten an

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Eine Schar von Boule-Liebhabern verbreitet südländisches Flair, das Spiel selbst ist eher eine wortkarge Angelegenheit. Profi-Kugeln erkennt man am satten Ton.

Von Sonja Niesmann

Ein kurzes, hartes, metallisches Klack. Ein gnadenloser, fast schmerzender Laut. Er signalisiert: Eine Kugel hat eine gut platzierte des Gegners weggeschossen. Bleibt sie dann auch noch exakt an der Stelle der davongeflogenen Kugel liegen, spricht der Kenner von "carreaux sur place". "Einer der schönsten Klänge für Boulespieler", schnurrt Guido Krzikowski. Solch einem Kunststück folgt ein schnelles, helleres Klackklack - die Mitspieler applaudieren, indem sie die Kugeln, die sie in den Händen halten, zweimal kurz aneinanderstoßen.

Seit etwa 40 Jahren schon ist der Hofgarten am Odeonsplatz der angesagte Treff in der Stadt für Freunde des Boule. Die strenge Anlagenverordnung der bayerischen Schlösserverwaltung untersagt zwar Ballspiel und Sport, Boule aber duldet sie ausdrücklich.

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Die Regeln für Pétanque, die meistverbreitete Variante des Boule, sind schnell erklärt: Eine kleine Kugel, das "Schweinchen" oder derber "die Sau", wird sechs bis zehn Meter weit geworfen, dann gilt es, mit den größeren Metallkugeln möglichst nahe an sie dran zu kommen. Wer zuerst 13 Punkte hat, gewinnt die Partie. "Leg' sie da her, genau zwischen die zwei!"

An schönen Frühlings-, Sommer- und Herbsttagen packen Junge und Ältere hier im Renaissancegarten der Residenz ihre Kugeln aus, Männer und Frauen, Deutsche, Italiener, Spanier, Franzosen, Vietnamesen, neugierige Anfänger, vergnügte Amateure und konzentrierte Könner, wie die meisten Mitglieder der Münchner Kugelwurfunion. Münchens ältester Bouleverein, dessen Sprecher der Fotojournalist Krzikowski ist, richtet auch jedes Jahr im Juli das Hofgarten-Turnier aus. 700 Spieler haben heuer teilgenommen, so viele, dass einige in den nahe gelegenen Finanzgarten ausweichen mussten.

"Das hier ist", sagt Krzikowski und blickt entspannt um sich, "wie ein Marktplatz." Gelegentlich auch ein Marktplatz der Eitelkeiten. Sehen, gesehen werden. Hier mischen sich lässige Selbstdarstellung mit vergnügter Geselligkeit, gelegentlich auch etwas verkniffenem Ehrgeiz und Frotzeleien. Man kann aber auch einsam sein inmitten der Geselligkeit. Am Brunnen sitzt eine Weile ein stark tätowierter junger Mann auf einer Stufe, ab und zu wirft er einen Blick auf die Boulespieler, vor allem aber spricht er mit seinem Hund. "Nicht die Krümel da fressen." - "Und schmeiß ma bloß ned mei Bier um, gell." - Als der Hund sich gefährlich der Flugbahn der Kugeln nähert, um ein bisschen an diesen runden Dingern zu schnuppern: "Jetzt mach amal Platz!"

Am Rand des Hofes hat sich eine Runde aus sieben jungen Männern und ebenso vielen Frauen niedergelassen. "Stimmt das, dass wir neun Flaschen Wein dabei haben", fragt einer und mustert das neben der Kühltasche auf umgestülpten Plastikkisten aufgebaute Büffet: Lachsschnittchen, Hackfleischbällchen, Käse-Trauben-Spieße, Blätterteigrollen. Den ganzen Abend über ist die Gruppe damit beschäftigt, ihre Kanapees zu vertilgen und ihre Flaschen zu leeren. Ihre kein bisschen abgenutzten Kugeln liegen die meiste Zeit dekorativ auf dem Boden, gleißend im Abendsonnenlicht.

"Ikea-Kugeln, wir nennen die Ikea-Kugeln", kommentiert Krzikowski mit einem Seitenblick, er meint es gar nicht so abschätzig, wie es sich anhört. Seine und die der anderen professioneller Spielenden sind matter, jede hat ihre eingravierte Nummer und, selbst ohne hinzuschauen, könne man den Unterschied zu den Hochglanzkugeln erkennen, findet Guido Krzikowski: "Sie klingen nicht so hohl, und wenn sie zu Boden fallen, haben sie einen satteren Ton."

Viel Ton gibt es beim Boule allerdings nicht - ganz im Sinne der Anlagenverordnung, die ermahnt, jeden Lärm im landschaftsgeschützten Hofgarten zu vermeiden. Wenn die zwischen 650 und 750 Gramm schwere Kugel "gelegt", also am Boden entlang gerollt wird, könnte man das dezente Geräusch wohl nur hören, wenn man sich danebenlegt. Die geworfenen, der Experte sagt, er "schießt" sie - schlagen mit einem dumpfen Ploppen auf; je höher die Flugkurve, je steiler der Aufprallwinkel, desto vernehmlicher ist das Plopp. Dazu das Knirschen der kleinen Kieselsteine unter den Turnschuhen, Lederslippern oder Gesundheitslatschen der Spieler. Boule ist eher eine wortkarge Angelegenheit, so scheint es, und je höher das Spielniveau ist, desto knapper und beherrschter fallen die Kommentare aus. "Ja." - "Geht doch." - "A geh." - "Bravo." - "Allez."

Die Gebäude mit ihren Arkadengängen, die den Bouleplatz säumen, das Blätterdach der dicht stehenden Linden verschlucken viele der Geräusche, schirmen auch zur Welt draußen ab. Nichts dringt herein vom Treiben am Odeonsplatz und an der Ludwigstraße. Als Zaungast könnte man stundenlang hier sitzen, jegliches Zeitgefühl verlieren, sich einlullen lassen von einer gleichmäßig dahinwabernden Linie aus Ploppen, Schlurfen, Klacken und dem Summen aus dem Biergarten des Café Tambosi. Wenn es nicht doch immer heftige Ausschläge auf der Skala gäbe, die einen herausreißen aus dieser urlaubsträumerischen Versunkenheit. "Yeaaah!", ein triumphierender Schrei aus mehreren Kehlen. "Du bist uuunmöglich", eine einzelne Frauenstimme schraubt sich in die Höhe.

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An Donnerstagabenden im Sommer können sich einem Spieler, der gerade die Unebenheiten des Bodens "liest", wie Krzikowski sagen würde, das Schweinchen anvisiert, leicht in die Knie geht und den gestreckten Arm wie ein Pendel schwingen lässt, unversehens die ersten Takte einer Arie in die Konzentration bohren - im Tambosi ist eine festliche Tafel gedeckt, garniert wird das Dinner mit einem Potpourri aus bekannten Opern.

Um eine andere Musik zu hören, muss man ganz nahe an den Dianatempel in der Mitte des Parks herangehen. Dort, unter der mächtigen Bronzefigur auf dem Dach, die Bayerns Reichtümer - Getreide, Wild, Wasser und Salz - verkörpert, trifft sich an Freitagabenden die Tango-Szene. Ähnlich wie die Freunde des Boule haben sich die Fans des argentinischen Tangos einfach in der stimmungsvollen Szenerie des Hofgartens festgesetzt. Auch das wird geduldet. Aus einem CD-Player wehklagt gedämpft eine Frauenstimme. Tristeza . . . mi corazón . . . te quiero tanto . . . Im schwindenden Licht drehen und wiegen sich Paare, zur Melodie von Akkordeon und Geigen kratzen und schaben ein bisschen unromantisch die Kieselpartikel auf dem Mosaikboden unter ihren Schuhsohlen. Durch einen der acht hohen Eingangsbögen leuchtet die Kuppel der Staatskanzlei, auf der gegenüberliegenden Seite schimmert die Theatinerkirche im Licht.

Auf dem Rückweg, nur 80 Schritte lang, durchquert man eine schmale Schneise der Ruhe, in der nur zwei Springbrunnen links und rechts des Weges sanft plätschern. Kurz vor der Hecke schleicht sich wieder das erste Plopp ins Ohr. Klack.

"Stellt euch vor", erzählt ein weißhaariger Herr seinen Mitspielern, "er hat gesagt, er hört jetzt auf mit dem Boule spielen." Kopfschütteln. "Also, so lange ich eine Kugel in der Hand halten kann, hör' ich nie damit auf."

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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