ZOB:Am Busbahnhof herrscht babylonisches Sprachgewirr

Der Zentrale Omnibusbahnhof an der Hackerbrücke ist ein Umschlagplatz für Menschen aus aller Welt. Wer hier arbeitet, muss starke Nerven haben - und zuhören können.

Von Andrea Schlaier

Die Augen sind fest geschlossen, und würde sich die eigene akustische Konzentration nun körperlich bemerkbar machen, man säße hier mit veritablen Elefantenohren am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) bei der Hackerbrücke, auf Holzbank Nummer drei vor Bucht Nummer vier. "11:15 Dresden" steht oben drüber auf der Digitalanzeige, ein paar Meter weiter "13:00 Crikvenica", dahinter "14:30 Karlovac" und ganz hinten "11:00 Zagreb". So viel letzte optische Erinnerung ist noch, bevor sich der Blick schließt und man sich wie in einer Taucherglocke hinablässt ins Meer der Geräusche:

"Sorrrry, okay, is it possible, ähm, to ask them . . .?" Ti-ti-ti-taaa, ti-ti-ti-taaa, Handy oder was? Langes Pffffffff, dann dröhnendes Gogogogogogoaaaahhhh - Bremsen lösen sich, ein schwerer Motor springt zwei Meter neben der eigenen Ohrmuschel an, huch! "Zagreb!" aus Männermund, Husten aus Raucherlunge, balkanisches Konsonantengewitter, Radong-radong-radong, irgendjemand zieht irgendwas über geriffelten Boden? "Permesso . . .", - "Oisa, dann mach's guad bis zum nächsten Moi. . ." - Fiebs-fiebs-fiebs von ganz unten, schwachbrüstig, hilflos, wie eine vor der Zeit aus dem Nest gefallene Meise. Konzentration durch den geballten Rausch-Müll hindurch, das muss es sein: Fiebs-fiebs-fiebs, das Rädchen eines Rollkoffers! Läuft da einer im Kreis, oder warum kriegt man das nicht aus dem Gehörgang?

"Muasch dei Muul abputze !" Tütenrascheln, Knuspern, Smartphone-Bingen. "Wenn man da ein bisschen zu spät dran ist. . ." Herrgott, jetzt schiebt einer klackernd sein Rad vorbei, und der Satz hat wieder kein Ende. Schlurf-glog-Schlurf-glog, zu große Schuhe, der Absatz knallt vor der Ferse auf. "Hadha hu alkathata huna", Sprache, die rund durch die weiche Mundhöhle rollt und rollt. So viele As, was ist das, Arabisch? Kreischen, vergnügt und jung, Kinder, es sind Kinder. Erst schweres, dann mächtiges, versetzt einsetzendes Flügelschlagen, ein einziges Auffliegen. Oh Gott, Tauben?

Für 59 Euro pro Ticket nach Sarajevo

Der Reflex greift: Augen auf! Unglaublich, dass es so schwer ist, umringt von hektisch nach Entwirrung gierenden Geräuschen sich ausschließlich auf die eigenen Ohren zu verlassen. So vielstimmig, so bedrängend, so beängstigend nahe kommt einem die mächtige Welle aus Lebensgeräuschen. Und kein Auge da, das rechtzeitig Meldung ans Gehirn macht: Halb so wild, ist nur Babylon am Busparkplatz.

Unters futuristisch geschwungene Alu-Röhrendach am Zentralen Omnibusbahnhof fahren täglich im Schnitt 370 Busse. Geht man davon aus, dass in einem 50 Menschen Platz haben, wären das maximal 18 500 Menschen, eine Kleinstadt, die sich Tag für Tag von Münchens Mitte aus auf den Weg nach ganz Europa macht.

ZOB: Wo fährt mein Bus ab? Eine Frage, die Josef Iriksous am Infoschalter täglich oft zu hören bekommt.

Wo fährt mein Bus ab? Eine Frage, die Josef Iriksous am Infoschalter täglich oft zu hören bekommt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Für 59 Euro pro Ticket nach Sarajevo, wer Glück hat, schafft's für schlappe neun Euro nach Prag, Paris oder Brüssel. Menschen aus aller Herren Länder steigen hier in die zumeist grasgrünen Busse ein, und wenn sie nach sehr, sehr vielen Stunden noch Macht über ihre Beine haben, zum Beispiel in Palermo, Riga, Stavanger oder Dublin, wieder aus.

"Das Publikum ist seit Einführung der nationalen Linien 2013 jünger geworden", sagt Fritz Kloiber von den Rot-Kreuz-Betrieben, die die Anlage betreiben. Als der ZOB 2009 mit 29 Halte- und Warteinseln an den Start ging, verkehrten hier noch lediglich 100 Busse am Tag. Das Angebot ist populärer geworden, gerade auch bei Studenten, sagt Kloiber, "und Leuten mit kleinem Geldbeutel". Besonders beliebt seien Strecken nach Berlin, Freiburg, Zürich, und Reiseziele in die Balkanländer. Vor allem in den frühen Vormittagsstunden, am Abend und in der Ferienzeit brummt der Laden. Zur Wiesn ist Hochsaison.

Im Zentrum des Reise-Schwarms sitzt Josef Iriksous, ein signalgrünes Poloshirt seines Arbeitgebers übergestreift, hinter einer vorhanghaft geschwungenen Glasscheibe. Der 20-Jährige arbeitet im anthrazitfarbenen Kasten nördlich der Bus-Steige, wo der Platzhirsch unter den City-Linern, die Firma Flix-Bus, einen Infoschalter neben dem "Warteraum" betreibt. Vor dem Schalter windet sich eine Schlange aus Backpackern, Senioren mit Rollkoffern, Männern in Kaftan, vereinzelt auch in Anzug und Aktentasche, bis hinaus vor die Tür. Wer am ZOB-Hafen den Überblick verloren hat, landet hier an.

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