Stadtentwicklung im Münchner Nordosten:Die 30 000 rücken näher

Lesezeit: 3 min

Die Stadt plant im Münchner Nordosten ein Siedlungsgebiet für 30 000 Menschen. Viele Anwohner fordern dagegen, nur Platz für 10 000 neue Bewohner zu schaffen. (Foto: rheinflügel severin/bbz landschaftsarchitekten/LHM)

Das Planungsreferat peilt eine möglichst große Einwohnerzahl für das neue Quartier östlich von Bogenhausen an. Doch das bringt Probleme bei der Anbindung per Bahn, U-Bahn und Straße mit sich.

Von Ilona Gerdom

Ein Wort fällt am Mittwochabend beim digitalen Bürgerdialog zum Münchner Nordosten auffallend oft: Identität. Mal soll sie erhalten, mal geschaffen werden. Feststeht: Das Planungsgebiet östlich der S-8-Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen (auch bekannt als SEM Nordost) braucht identitätsstiftende Orte. Und zwar für 30 000 Einwohnerinnen und Einwohner, wenn es nach dem Planungsreferat geht. Diese Zahl plus 10 000 Arbeitsplätze empfehlen die Planenden dem Stadtrat. Mit einer entsprechenden Beschlussvorlage soll er sich im März 2022 befassen. Wenn alles gut laufe, so die Hoffnung, könnte 2026 in die Bauleitplanung eingestiegen werden.

Bei solchen Zahlen gäbe es, so glaubt Michael Hardi, Leiter der Stadtplanung des Planungsreferats, "die Angst, dass 30 000 Einwohnerinnen und Einwohner auf einmal vom Himmel fallen". Mit dem Entwurf des Architekturbüros Rheinflügel Severin und BBZ Landschaftsarchitekten, der beim städteplanerischen Wettbewerb den ersten Platz gemacht hatte, ist das unwahrscheinlich. Das Gebiet wird darin "in Stufen" entwickelt, die "aufeinander aufbauen". Darum spricht Hardi lieber von mehreren Quartieren oder "Mosaiksteinen". "Wir" - Hardi meint das Planungsreferat - "wollen dem Stadtrat zeigen oder vorschlagen, dass die Variante mit den 30 000 im Grunde eine umsetzbare Variante ist".

In der aktuellen Beschlussvorlage wird die Entwicklung in acht Abschnitte geteilt. Diese "Siedlungskörper" könnten "ein stückweit eine eigene Identität ausbilden", erklärt Baudirektor und Teamleiter des Projekts Michael Bacherl. "Zentraler Baustein" ist die Fläche A, die im Stadtbezirk 13 liegt, und einen Badesee bekommen soll. Genau abgegrenzt ist sie bisher nicht. Das solle aber "vorrangig" geschehen, heißt es im Papier.

Eins von vielen Zielen: kurze Wege

Bevor in einer Siedlung Identität entstehen kann, muss man sie erstmal erreichen. Bacherl stellt dazu klar: "Die U-Bahn soll das künftige Haupterschließungssystem für diese Entwicklung sein." Dafür soll die U-Bahn-Linie 4 zunächst bis Englschalking, später in das Gebiet A erweitert werden. Außerdem sollen die Tramlinien 17 und 19 verlängert und das Quartier in Nord-Süd-Richtung erschließen.

Im Mai hatte es beim Auftakt des Bürgerdialogs geheißen, dass man eine verkehrliche Erschließung bei der 30 000er-Variante nur sinnvoll gestalten könnte, wenn die Bahn-Trasse in einen Tunnel verlegt werden würde. Die Deutsche Bahn beabsichtigt nämlich einen viergleisigen Ausbau, damit mehr Güterzüge schneller passieren können. Viele damit verbundene Probleme könnten vermieden werden, wenn die Gleise unterirdisch wären. "Selbstverständlich ist die Untertunnelung der S-Bahn das Ziel der Stadt München", erklärte Christine Weis-Hiller aus dem Mobilitätsreferat am Mittwoch.

Allerdings seien diejenigen, die hier planen und entscheiden Bund und Freistaat. Ob die Tunnel-Lösung kommt, ist noch immer unklar. Abhängig davon, so dachte man zumindest, sei auch die Planung der U4 nach Englschalking. Christine Weis-Hiller aus dem Mobilitätsreferat erklärte jedoch: "Zu der Verknüpfung von U-Bahn und S-Bahn suchen wir nach Lösungsmöglichkeiten gegebenenfalls unabhängig von diesem S-Bahn-Tunnel." Man wolle nicht, dass die U-Bahn-Planung aufgehalten wird.

Kurze Wege, die sich zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen lassen, ist eins von vielen Zielen. Trotzdem muss das Quartier mit dem Auto erreichbar sein. Das soll hauptsächlich durch eine Anbindung an die M3 im Norden und im Süden an die Autobahn gelingen. Dabei sollen, so Weis-Hiller, "keine neuen Durchgangsverkehre entstehen".

Der Wohnungsbau auf dem Gelände der Olympiareitanlage sei alternativlos, sagt Schreyer

Der Siegerentwurf hatte vorgesehen, dass sowohl Tram als auch Autoverkehr über die Bestandsstraßen in Daglfing laufen. Das Planungsreferat könnte sich die "Süderschließung" nun über den Bereich B vorstellen. Die Flächen dort kennt man als Olympiareitanlage. Eigentümer ist der Freistaat Bayern. Der kann sich wohl Veränderungen in diesem Bereich vorstellen. Auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Markus Rinderspacher antwortete Bauministerin Kerstin Schreyer (CSU) zuletzt: "Die Realisierung von Wohnungsbau auf dem Gelände der Olympiareitanlage ist daher alternativlos." Zu berücksichtigen seien die "Verbände aus den Bereichen der Pferdezucht und des Pferdesports". Laut Bacherl "finden aktuell Abstimmungen statt zwischen dem Eigentümer und Nutzern, die noch ein Stück weit offen sind".

Was dagegen nicht mehr aussteht, sind die Stellungnahmen der betroffenen Bezirksausschüsse Bogenhausen und Trudering-Riem. Deren Meinungen gehen gerade bei der Reitsportanlage auseinander: Während sich der 15. Stadtbezirk für Wohnbebauung ausspricht, lehnen die Bogenhauser das "kategorisch" ab.

Wer wann seine oder ihre Identität im Münchner Nordosten findet und wie er diesen Ort erreicht, ist also noch lange nicht entschieden. Das liegt daran, dass es sich immer noch um vorbereitende Untersuchungen handelt. "Bevor etwas umgesetzt wird, muss solide geklärt werden, ob das auch alles funktioniert", so Bacherl. Die To-do-Liste ist lang. Allem voran müsste sich der Stadtrat auf den ersten Preis und 30 000 Einwohner festlegen. Folgen müssten eine Reihe von Gutachten. Man müsse sich klar werden, welche Flächen gebraucht werden und herausfinden, wie es um die "Mitwirkungsbereitschaft" der Eigentümerinnen und Eigentümer steht. Erst, wenn diese und andere Punkte geklärt sind, kann es an die Bauleitplanung gehen. Der Baudirektor hat trotzdem eine zeitliche Wunschvorstellung: "Anfang der 30er-Jahre könnt's losgehen mit ersten Baumaßnahmen, Mitte der 30er-Jahre könnten dann tatsächlich die ersten Leute einziehen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: