Seenotrettung:Münchner "Patenschiff" auf Mission

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Das "Patenschiff" der Stadt München: die "Ocean Viking". (Foto: dpa)

Die "Ocean Viking" kreuzt durchs Mittelmeer und rettet flüchtende Menschen vor dem Ertrinken. Ohne Spenden wäre das unmöglich. Die Stadt und ihre Bürger stellen der Organisation jetzt mehr als 200 000 Euro zur Verfügung.

Von Sebastian Theuner

Es sind Bilder, die sich eingebrannt haben ins Gedächtnis von Benedikt Funke: Wie sie zum ersten Mal eine Leiche an Bord des Schiffes nahmen. Oder die Mutter auf dem Schlauchboot, die mitten auf dem Mittelmeer ihren einjährigen Sohn in die Arme drückte. "Sehr unwirklich" sei das gewesen, sagt Funke. Er ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter im deutschen Museum in München. Doch zwischen 2016 und 2018 war der Diplom-Wirtschaftsingenieur auf zivilen Seenotrettungsschiffen im Einsatz, zum Teil auch als Kapitän.

Von seinen Erlebnissen berichtete Funke im Dezember auf einer Pressekonferenz im Münchner Rathaus. Die Stadt rief damals zu einer Spendenaktion auf für das Seenotrettungsschiff Ocean Viking der Hilfsorganisation "SOS Méditerranée". Seit 2019 besteht eine Patenschaft zwischen der Stadt und dem Schiff. "Als Weltstadt mit Herz wollen wir nicht zuschauen, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken", sagt die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD).

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Allein im Januar starben laut der Internationalen Organisation für Migration 79 Menschen im zentralen Mittelmeer. 984 sollen es 2020 gewesen sein, die Dunkelziffer ist wohl weitaus höher. Viele flüchten vor dem Bürgerkrieg in Libyen. "Uns war es wichtig, darauf aufmerksam zu machen", sagt Dietl.

Bis Sonntag konnten die Münchner für den Einsatz der Ocean Viking spenden, 134 992 Euro kamen so zusammen. Die Stadt legt selbst noch mal 100 000 Euro obendrauf. "Ein größeres Signal an die Menschlichkeit kann es kaum geben", sagte Sozialreferentin Dorothee Schiwy dankbar. "Die Aktion ist für uns unheimlich wertvoll", freut sich auch David Starke, Geschäftsführer von "SOS Méditerranée". Seine Organisation finanziert sich ausschließlich über Spenden.

Starke glaubt, dass viele der im vergangenen Jahr ertrunkenen Menschen hätten gerettet werden können. Doch die Crew der Ocean Viking konnte der selbstauferlegten Mission fast ein halbes Jahr lang nicht nachkommen: Von Juli bis Ende Dezember war das Schiff durch italienische Behörden festgesetzt. Die Begründung: Sicherheitsmängel. "Wir halten das für vorgeschoben und politisch motiviert", sagt Starke, "wir werden zunehmend kriminalisiert und blockiert." Fünf Schiffe ziviler Seenotrettungsorganisationen sind laut "SOS Méditerranée" derzeit noch festgesetzt. Als derzeit einziges ziviles Rettungsschiff befinde sich die Ocean Viking seit dem 11. Januar nun wieder auf See, teilt die Organisation mit. In einer ersten Rettungsaktion habe man vergangene Woche 373 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt und - nach negativen Corona-Tests - auf Sizilien an Land gebracht.

Unter den geretteten Menschen seien auch 165 Minderjährige und vier schwangere Frauen gewesen. Das sei gar nicht ungewöhnlich, selbst Geburten habe es an Bord schon gegeben, berichtet Starke. Weil den Rettern die Arbeit immer wieder schwer gemacht werde, fordert er "eine europäische, staatlich geregelte Seenotrettung". Ebenso brauche es eine bessere Verteilung der Geretteten unter den EU-Mitgliedern. Auch die Finanzierung der libyschen Küstenwache durch die EU müsse beendet werden. Jedoch ginge es damit nur sehr langsam voran, "um nicht zu sagen, es geht gar nicht voran".

"Es gibt viele Städte und Länder, die mehr tun wollen als der Bund."

Der Münchner Benedikt Funke glaubt, "es ist politischer Wille, dass das so passiert", das Sterben im Mittelmeer. Unter Crew-Kollegen habe er viel Wut erlebt. "Es geht da auch um Abschreckung", glaubt er. Wer fürchtet, bei der Überfahrt sein Leben zu verlieren, der steigt vielleicht nicht ins Schlauchboot, so das Kalkül. Mittlerweile habe man zwar einen besseren Zugang in die Politik, man werde eingeladen - zum Beispiel ins Rathaus -, aber die Lage sei noch immer dramatisch. Deshalb sei die Spendenaktion der Stadt eine "ganz wichtige Unterstützung. Es gibt viele Städte und Länder, die mehr tun wollen als der Bund".

Bürgermeisterin Dietl bestätigt diesen Eindruck. 2019 hatte sich München zum "sicheren Hafen" erklärt, um die Bereitschaft zur Aufnahme Geflüchteter zu signalisieren. "Das allein reicht aber nicht", sagt sie, man müsse auch "konkret etwas unternehmen." Engagement aus München für die Seenotrettung ist nicht neu. So hatte der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, in der Vergangenheit bereits mehrfach für Seenotrettungsorganisationen gespendet.

Die große Resonanz auf die Spendenaktion nun zeige, "dass die Menschen unterstützen wollen", sagt Dietl. Auch habe München immer wieder signalisiert, dass es noch mehr Geflüchtete aufnehmen könne, als es das bundesweite Verteilungssystem vorsieht. "Für uns ist das eine Geste der Solidarität." Im Hinblick auf weiteres Engagement für das "Patenkind" Ocean Viking sagt Dietl: "Wir werden dranbleiben."

© SZ vom 03.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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