Münchner Seiten:Späte Reue nach dem Rauswurf

Lesezeit: 3 min

Er kämpfte sich zurück in sein Münchner Leben: Otto Bernheimer. (Foto: Georg Schödl/SZ Photo)

Rotarische "Freundschaft" hin oder her: Als die Nazis an die Macht kamen, verstießen die Münchner Rotarier umgehend ihre jüdischen Mitglieder. Jetzt bittet der Klub mit einem biographischen Buch um Verzeihung.

Von Jakob Wetzel

Thomas Mann trug es mit "Erschütterung, Amüsement und Staunen": So hat er es im April 1933 in sein Tagebuch geschrieben. Soeben war er, der Literaturnobelpreisträger, vom Münchner Rotary-Klub vor die Tür gesetzt worden. Und sein Staunen galt dem "Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die 'Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen, ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich".

Erschüttert und ein wenig amüsiert über seinen Rauswurf: der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Der Klub hatte tatsächlich kurzen Prozess gemacht. Die Münchner Rotarier, alle herausragende Vertreter der gehobenen Gesellschaft, hatten sich lange im Glanz ihres "Nobelrotariers" gesonnt, wie es in einem Sitzungsprotokoll von 1930 heißt. Doch Thomas Mann hatte sich bei den Nationalsozialisten unbeliebt gemacht, und nun, gut zwei Monate nach Adolf Hitlers Regierungsantritt, warfen ihn die Rotarier hinaus, ohne Diskussion oder Abstimmung. Sie nannten ihm nicht einmal einen Grund. Und es traf nicht nur Thomas Mann. Der Klub strich mehr als ein Dutzend weitere Mitglieder aus seinen Listen, darunter sogar den Gründungspräsidenten - und zwar, weil sie Juden waren oder den Nazis als solche galten. Man wolle ja nicht als "jüdische Großloge" erscheinen, gab der damalige Klubpräsident zu Protokoll. Sieben Mitglieder traten daraufhin aus Protest ebenfalls aus. 33 blieben.

Rotary, gegründet 1905, ist ein internationales Netzwerk, das die Oberschicht zusammenbringt und sich die Verständigung der Menschen in die Statuten geschrieben hat. Die Mitglieder reden sich gerne als "Freunde" an. 1933 freilich waren einige dieser Freunde für die übrigen Rotarier zum Ballast geworden, nicht nur in München. Der Münchner Klub aber leistet nun, knapp neun Jahrzehnte später, Abbitte. Er hat 14 seiner Ehemaligen ein Buch gewidmet, das als Versuch der Wiedergutmachung gemeint ist und als Bitte um Verzeihung.

Ebenfalls nicht mehr erwünscht: Karl Wolfskehl (1869-1948). (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Es geht in diesem Buch nicht um die großen Linien: darum etwa, dass die Nazis Rotary für einen Ableger der Freimaurer hielten, oder dass sich die deutschen Klubs mit ihrem Verhalten allenfalls etwas Zeit erkauften. 1937 lösten sie sich auf, um einem Verbot zuvorzukommen. Im Vordergrund des Buches stehen vielmehr die einzelnen Menschen, die geschasst wurden. Heutige Rotarier haben nach deren Spuren gesucht, haben in Archiven und Schulen recherchiert, mit Angehörigen gesprochen und 14 biographische Skizzen zusammengetragen. Manche der Porträtierten sind prominent wie der Dichter Karl Wolfskehl oder der Kunst- und Antiquitätenhändler Otto Bernheimer. Andere sind weitgehend vergessen.

Da ist etwa der Jurist Heinrich Rheinstrom, der sich schon früh mit wissenschaftlichen Publikationen hervortat, mit 33 Jahren an der Münchner Handelshochschule unterrichtete und im Vorstand der jüdischen Gemeinde Münchens saß. Im Ersten Weltkrieg feierte er Hindenburg als Nationalhelden. Im März 1933 war er beruflich in London, da erfuhr er, dass in München die SA sein Haus an der Ludwigstraße geplündert hatte. Er lebte danach im Exil in Frankreich, später in New York. Da ist zum Beispiel auch der Antiquar Emil Hirsch, ein Großer seines Fachs. Seine Antiquariate an der Karlstraße, später am Karolinenplatz, waren gesellschaftliche Treffpunkte. Der Mann hielt noch am 31. Januar 1933, am Tag nach Hitlers Regierungsantritt, vor den Rotariern einen Vortrag über den "Seltenheitswert alter Bücher". Wenig später untersagten ihm die Behörden sein Geschäft. Zermürbt emigrierte er 1938 ebenfalls nach New York.

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Beruflich erfolgreich und drangsaliert: Das Buch befasst sich mit 14 Münchner Biographien

Die Reihe ließe sich fortführen: Dieses Buch erzählt von 14 Münchnern mit im Kern ähnlichen Biographien: Sie waren beruflich höchst erfolgreich, wurden von den Nazis drangsaliert und verfolgt - und von ihren vermeintlichen Freunden im Klub fallengelassen. Zu ergänzen wäre noch Anton Betz, einst Verleger der Münchner Neuesten Nachrichten, des Vorgängerblattes der Süddeutschen Zeitung. Ihn verschleppten die Nazis schon im März 1933 ins Konzentrationslager Dachau; er wurde daraufhin ebenfalls des Rotary-Klubs verwiesen. Ins Buch hat er keinen Eingang gefunden.

Wie die Geschassten ihren Rauswurf, den Bruch der rotarischen Freundschaft wahrgenommen haben, ist anders als bei Thomas Mann in den meisten Fällen nicht überliefert. Otto Bernheimer zum Beispiel, mit seiner Familie vor den Nazis nach Venezuela geflohen, kehrte 1945 in seine Heimat München zurück und engagierte sich, erkämpfte sich seine Firma zurück und wurde Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Kunsthandels. Auf Bernheimers Spuren hat sich Michael Stephan begeben, der ehemalige Leiter des Münchner Stadtarchivs. Bernheimer veröffentlichte 1957 eine Autobiografie, die "Erinnerungen eines alten Münchners". Den Rotary-Klub, schreibt Stephan, erwähnte er darin und auch sonst mit keinem Wort.

Karl Huber, Wolfram Göbel (Hg.): Erinnern und Gedenken. Der Ausschluss von 14 Münchner Rotariern im April 1933, München: Allitera Verlag 2021, 252 Seiten, 29,90 Euro.

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