Erfahrungsberichte:"Die hätten gar nicht die Zeit für so viele Beichten"

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Immer mehr Initiativen in München setzen sich für die Gleichberechtigung von queeren Menschen in der katholischen Kirche ein. Dieses Foto vor der Kulisse der Münchner Frauenkirche und der Mariensäule entstand am Christopher-Street-Day. (Foto: Peter Kneffel/picture-alliance/dpa)

Kürzlich hat es in einer Fernseh-Doku das größte Coming-out in der Geschichte der katholischen Kirche gegeben. Welche Erfahrungen machen queere Menschen mit der Glaubensgemeinschaft? Vier von ihnen erzählen.

Von Sabine Buchwald, Linus Freymark und Julia Schriever

Der Druck auf die katholische Kirche wächst. Nicht erst seit der ARD-Dokumentation, in der 125 Menschen über ihr queeres Leben erzählten und somit ihr Coming-out hatten. Es gibt immer mehr Initiativen, die sich für die Gleichberechtigung von queeren Menschen in der katholischen Kirche einsetzen. So etwa die QueerGemeinde München, die einmal im Monat queere Gottesdienste in München feiert. Oder OutInChurch, die gegen Diskriminierung und Ausgrenzung kämpft. Doch welche Erfahrungen machen queere Menschen mit der katholischen Kirche? Vier von ihnen erzählen.

"Einen Beruf oder eine Berufung an die Enthaltsamkeit zu binden, das ist ziemlich gefährlich"

Peter Priller, 61, Alt-katholischer Priester und Berater bei "Rosa Alter", Beratungsstelle der Münchner Aidshilfe für LGBTIQ-Senioren

"Für mich ist das Christentum immer wichtig gewesen im Leben und ist es bis heute noch. Ich wollte Priester werden und Seelsorger sein, um Spiritualität zu leben und anderen anzubieten. Mit 30 wurde ich in der römisch-katholischen Kirche zum Priester geweiht. Freilich habe ich davor über den Zölibat nachgedacht, aber ich redete mir damals ein: Irgendwie kriegst du das schon hin, so zu leben, wie es die Kirche von dir verlangt. Dass ich schwul bin, war mir bewusst. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich mich so schnell und heftig verlieben würde.

Ein Leben lang in Lüge und Heimlichkeit zu leben, war keine Option für Peter Priller. Deswegen entschied er sich als Kaplan für ein Coming-out. (Foto: Manfred Neubauer)

Als ich Sepp traf, war ich Kaplan in Bad Tölz. Anfangs haben wir die Beziehung verheimlicht. Es ist ja auch nie gleich klar, ob die Liebe hält. Ein Leben lang in Lüge und Heimlichkeit zu leben, das war dann keine Option für mich. Nach drei Jahren bin ich zu Kardinal Wetter gegangen und habe mich geoutet. Insgeheim hatte ich gehofft, dass ich weiterhin Kaplan bleiben könnte. Ich wäre auch mit einer anderen Funktion einverstanden gewesen. Aber da ging absolut nichts. Deshalb bin ich dann sehr schnell zu den Alt-Katholiken übergetreten.

Seit 1996 bin ich dort Priester im Ehrenamt und kann so leben, wie ich es gerne in der römisch-katholischen Kirche getan hätte. 17 Jahre war ich mit Sepp zusammen, bis er gestorben ist. Ich finde, was zwei Menschen in freier Entscheidung miteinander tun, das sollte die Kirche nicht verurteilen. Viel wichtiger ist es doch, offen und ehrlich zu sein und niemandem etwas vorzumachen.

Ich arbeite seit 1996 als Sozialarbeiter, seit 2010 bei der Münchner Aidshilfe. Dort berate ich schwule Senioren. Wer um die 80 Jahre alt ist, der kennt meistens den Druck von außen auf Homosexuelle. Zu mir kommen manchmal Männer, die immer noch nicht akzeptiert haben, wie sie sind. Da haben Kirche und Gesellschaft ganze Arbeit geleistet, denke ich mir dann. Junge queere Leute haben es heute meistens leichter. Wir mussten uns erstmal von der Vorstellung freimachen, etwas Schlechtes zu tun. Wenn jemand in dem Konflikt steht: Beruf oder Beziehung, dann frage ich: Was in dir ist stärker? Was wirst du auf Dauer schaffen? Sexualität ist ein immens starker Trieb im Menschen. Einen Beruf oder eine Berufung - und das ist ein Kirchenamt oft - an die Enthaltsamkeit zu binden, das ist schon ziemlich gefährlich."

"Ich versuche, selbst was zu bewirken in der Kirche"

Cosima Taufenbach, 16 Jahre, Stieftochter von Katrin Richthofer, Maria 2.0 München:

"Die Kirche ist schon immer ein fester Punkt in meinem Leben. Egal, was zu Hause los war - Chaos und die Trennung meiner Eltern - die Kirche, die Gemeinschaft, war immer da. Ich bin seit Jahren Ministrantin. 2020, während des Lockdowns, hatte ich viel Zeit, nachzudenken. Da ist mir aufgefallen, dass ich queer bin. Unterbewusst war's mir vielleicht schon immer klar. In den ersten Monaten hat mich das sehr mitgenommen: Ich weiß ja, dass die Kirche nicht zeitgemäß ist. Dass Homosexuelle nicht willkommen sind. Und dass ich niemals in der Kirche heiraten werden kann. Ich stand zu der Zeit vor der Entscheidung, ob ich meine Ausbildung als Oberministrantin anfangen soll. Ich habe nachgedacht und mich entschieden, dass ich's nur für meine Kirche mache. Für meine Gemeinde.

Cosima Taufenbach ist queer und Oberministrantin. (Foto: privat)

Ich glaube, es wissen noch nicht alle in der Gemeinde, dass ich queer bin. Meinen Freunden unter den Ministranten habe ich's gesagt. Es war nicht so ein Spektakel. Ich habe einfach gesagt, ich steh auf Frauen. Mit unserem Pfarrer habe ich nicht gesprochen. Manche Bischöfe würden vielleicht denken, dass jeder queere Mensch es beichten müsste. Genauso wie jeder Mensch, der Sex vor der Ehe hat, zur Beichte müsste. Ich finde das utopisch. Die hätten gar nicht die Zeit für so viele Beichten.

Ich finde es nachvollziehbar, dass jetzt so viele Menschen austreten. Ich habe ja auch eine Riesenwut darauf, was die Kirche sich erlaubt: Missbräuche, Sexismus, ich habe die Schnauze voll. Man muss es mit sich vereinen können, in der Kirche zu sein, wenn sie so einen Schmarrn macht. Aber ich versuche, selbst was zu bewirken in der Kirche."

"Für mich ist eine Welt zusammengebrochen"

Henry Frömmichen, 22, wurde aus dem Priesterseminar St. Johannes der Täufer entlassen:

"Schon als Kind wollte ich unbedingt Priester werden. Als ich dann ins Priesterseminar in München eingetreten bin, habe ich deshalb sogar die Beziehung mit meinem damaligen Partner beendet. Es war ja klar, dass das nicht geht. Nach drei Monaten im Seminar habe ich dann den damaligen Prince Charming getroffen und ein Foto mit ihm auf Instagram gepostet. Daraufhin hat man mich aus dem Priesterseminar entlassen.

Henry Frömmichen wollte Priester werden. Vor ein paar Tagen ist er aus der Kirche ausgetreten. (Foto: privat)

Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen, ich war extrem wütend und enttäuscht. Bis heute warte ich übrigens auf eine Entschuldigung oder wenigstens eine Stellungnahme zu meiner Entlassung. Auch der sonstige Umgang mit queeren Menschen und die Vorgänge rund um das Missbrauchsgutachten haben mich dazu bewogen, dass ich nichts mehr mit dieser verlogenen Institution zu tun haben will. Ich finde das alles ungeheuerlich und bin deshalb vor ein paar Tagen aus der Kirche ausgetreten. Da wurden unverzeihliche Fehler gemacht."

"Mein Gott ist größer als meine Kirche"

Lisa Müller, 36, arbeitet als Seelsorgerin und hat Angst vor beruflichen Konsequenzen:

"Aus der Kirche auszutreten, kommt für mich nicht infrage. Ich liebe meinen Beruf als Seelsorgerin und kann mir nicht vorstellen, meine Arbeit zu wechseln oder gar aufzugeben. Ich fühle mich von Gott zu meiner Arbeit berufen, außerdem will ich das Feld nicht den ewig Gestrigen überlassen. Ich finde, es darf keine Rolle spielen, ob ich männlich, weiblich oder divers bin, ob ich homo, bi, trans oder heterosexuell bin. Daran kann nicht gemessen werden, ob ich heiraten darf oder für die Kirche arbeiten kann.

Lisa Müller verheimlicht ihre Sexualität nicht, trägt sie im Alltag aber auch nicht vor sich her. (Foto: privat)

Ich habe erst mit 28, als ich bereits für die Kirche gearbeitet habe, gemerkt, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle. Heute verheimliche ich meine Sexualität zwar nicht, trage sie im Alltag aber auch nicht vor mir her. Sie ist Teil meiner Identität und gehört genauso zu mir wie mein Frausein. Aber es ist immer im Hinterkopf: Wem erzähle ich, dass an meine Seite eine Frau gehört, und wem nicht? Ich überlege das oft. Und das alles aus Angst vor beruflichen Konsequenzen - auch wenn ich selbst noch nie welche erlebt habe. Was für mich zählt: Ich fühle mich von Gott geliebt, so wie ich bin. Und mein Gott ist Gott sei Dank größer als meine Kirche."

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:Wenn man nicht so ist, wie die Kirche einen gern hätte

Michael Brinkschröder war Messdiener, studierte Theologie und ist homosexuell. Im Studium wollte er herausfinden, woher die Homophobie in der Kirche stammt. Das alles, obwohl er selbst Diskriminierung erfuhr. Über einen, der die Institution trotz allem nicht aufgeben will.

Von Linus Freymark

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