Fußballverein bei München:Missbrauch in 641 Fällen: Jugendtrainer muss sieben Jahre und sechs Monate ins Gefängnis

Lesezeit: 2 min

Der angeklagte Fußballtrainer im Münchner Landgericht. (Foto: Britta Schultejans/dpa)

Vito L. vergewaltigte über sechs Jahre hinweg Jugendliche. Beim Prozess in München spricht die Staatsanwältin von einem "gefährlichen Serientäter".

Von Lisa Marie Wimmer

Trainer Vito L. (Name geändert), der im Landkreis München bei einem Fußballverein 25 Jugendliche über sechs Jahre hinweg vergewaltigt und sexuelle Übergriffe gegen sie verübt hat, muss für sieben Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Die Jugendkammer am Landgericht München I sah davon ab, eine im Raum stehende Sicherungsverwahrung anzuordnen. "Es ist ein Wahnsinn", sagte der Vorsitzende Richter Stephan Kirchinger, "wir haben über 600 Taten".

Der Zuschauerraum ist voll: Viele junge Männer, die auch als Zeugen gegen L. ausgesagt hatten, verfolgen die Verhandlung, genauso wie dessen Ehefrau. Der Angeklagte trägt Jeans, eine schwarze Trainingsjacke und Turnschuhe. Der 47-Jährige vergräbt sein Gesicht immer wieder in den Händen, hockt zusammengekauert auf der Anklagebank, richtet seinen Blick nie in Richtung der Zuschauer. Auch nicht, als ihm der Richter das letzte Wort erteilt.

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Vito L. weint, die Stimme versagt, er wimmert leise in Richtung der Richterbank. Er wolle sich bei den ehemaligen Spielern entschuldigen, sagt er, die Geschehnisse aufarbeiten. Er stockt und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. "Ich hätte gerne eine Perspektive für meine Familie", sagt der zweifache Familienvater.

Von 2014 bis 2020 war L. in dem Fußballverein im Landkreis München als Chef-Trainer für alle Jugendmannschaften des Vereins zuständig. Dort gab er sich auch als Physiotherapeut aus und bestellte die Nachwuchskicker zu "Behandlungen" ein. Diese sollten die Durchblutung fördern und die Muskeln entspannen. Tatsächlich griff er den Jugendlichen in den Intimbereich. Tatort war im Verein die Kabine 2, aber die Übergriffe fanden auch im Wohnhaus sowie in Trainingslagern statt. Am Ende verurteilte die Kammer den Trainer für 153 Fälle von Vergewaltigung und 488 sexuelle Übergriffe.

L. legte ein Geständnis ab und ersparte den Opfern ein Erscheinen vor Gericht

Bereits kurz nach Prozessbeginn hatten sich alle Beteiligten in einem Rechtsgespräch darauf geeinigt, dass bei einem Geständnis des Angeklagten das Strafmaß nicht bei mehr als acht Jahren Gefängnis liegen würde. Jedoch gab das Gericht zum Verhandlungsende bekannt, dass auch die Anordnung einer Sicherungsverwahrung in Betracht käme. Vito L. legte ein Geständnis ab - und ersparte so den Geschädigten ein persönliches Erscheinen vor Gericht. Allerdings, so fügt der Richter in seinem Urteil an, hätte sich der Angeklagte bei den wenigen Geschädigten, die vor Gericht erschienen waren, persönlich entschuldigen können. "Diese Chance hat er verpasst."

Die Jugendstrafkammer war nicht der Meinung, dass der Trainer ein System aufgebaut hatte, um Missbrauch zu betreiben. Aber er habe genau gewusst, welche Position er im Verein darstellte, das habe er ausgenutzt, um die Taten zu begehen. Die Kammer ging in ihrem Urteil von 25 geschädigten Jugendlichen und jungen Männern aus, "aber das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs".

Staatsanwältin Susanne Kempter bezeichnete den Angeklagten in ihrem Plädoyer als "gefährlichen Serientäter", bei dem möglicherweise auch die Gefahr bestehe, dass er seine eigenen Söhne eines Tages missbrauchen werde. L. sei "ein klassischer, begabter und machthungriger Menschenfänger". Sie forderte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren sowie die anschließende Sicherungsverwahrung.

Die beiden Verteidiger von L. hatten sieben Jahre Haft für "ausreichend" erachtet. Sie sprachen sich gegen eine Sicherheitsverwahrung aus, da seitens ihres Mandanten "keine Gefährlichkeit" bestehe. Über seinen Mandanten sagte er: "Er wünscht sich, dass rauskommt, dass er nicht nur ein schlechter Mensch ist." Disziplin, Bestrafen, manipulatives Vorgehen - das sei laut Verteidigung das Handwerkszeug eines Trainers. Aussagen, bei denen einige Zuschauer den Kopf schütteln.

Von der Verhängung der Sicherungsverwahrung sah das Gericht ab. Die Kammer war zwar der Meinung, der Angeklagte habe "einen Hang, diese Taten immer wieder zu begehen". Und man sehe auch die Gefährlichkeit des Angeklagten. Aber "wenn er ehrlich zu sich selbst ist" und in der Haft Therapien absolviere, gehe man davon aus, dass er nach Verbüßung der Freiheitsstrafe nicht mehr gefährlich sei.

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