Kritik:Barfuß auf Lebenswegen

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Alice Sara Ott lässt in ihrem Programm "Echoes of Life" im Prinzregententheater Zwischenstationen ihrer eigenen Vita hörbar werden. Ist das kitschverdächtig?

Von Michael Stallknecht, München

A, immer wieder nur dieses A, hämmernd, sich rhythmisch verdichtend, wie ein trotziges Kind, das auf der Stelle trampelt. Was György Ligeti mit seiner "Musica Ricercata I" als abstraktes Klangspiel komponierte, steht bei Alice Sara Ott für die kindliche Rebellion gegen die Eltern. Sieben solcher jüngerer Kompositionen hat die Pianistin in ihr Programm "Echoes of Life" eingebaut. Als Zwischenstationen zu den 24 Préludes von Frédéric Chopin - und, wie sie im Programmheft schreibt, des eigenen Lebens: von der jugendlichen Liebe zur Filmmusik Nino Rotas, der Identitätssuche als Tochter einer japanischen Mutter mit Tōru Takemitsu bis hin zur 2019 öffentlich gemachten Erkrankung an Multipler Sklerose. Da fällt die linke Hand am Ende von Chopins c-Moll-Prélude wie ein Donnerschlag in Bassestiefen, erlischt im Prinzregententheater das Licht, bis das kindlich schlichte "Für Alina" von Arvo Pärt das Dunkel bricht.

Im Gegensatz zur bereits erschienenen CD ist das gut einstündige Programm live mit einer Digitalinstallation des Architekten Hakan Demirel zu erleben. Die Leinwand über der Pianistin zeigt lichtdurchflutete Tore, Gänge, eine Großstadtsilhouette - und zum "Regentropfen"-Prélude glücklicherweise keinen Regen, sondern eine unendliche Bibliothek. Konkreter als sonst erscheinen Chopins Charakterstücke in diesem Kontext als Ausdruck von Zorn, Freude, Melancholie. Ott, wie immer barfuß, wechselt zwischen weich konturiertem Anschlag und virtuosem Biss, spielt mit viel Pedal, gleitet aber nie ins Sentimentale ab, sondern hält die Klangarchitekturen bündig. Sicher ist es kitschverdächtig, wenn sie am Schluss über das Lacrimosa aus Mozarts Requiem improvisiert, während im Video der Himmel voller Laternen hängt. Aber wie eine Nabelschau wirkt das Programm nicht. Es bleibt abstrakt genug, dass jeder die Bruchstücke des eigenen Lebens hineinlesen darf und kann.

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