Olympiadorf:Aus für alte Müllsauganlage

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Entsorgung einst und jetzt: Früher konnten die Bewohner des Olympiadorfs ihren Hausmüll einfach in den Abfallschacht auf ihrer Etage kippen. Heute müssen sie ihn wie überall in der Stadt zur Tonne tragen. Mitarbeiter der ODBG sammeln die Tüten dann ein. (Foto: Florian Peljak)
  • Die letzten Rettungsversuche für die Müllsauganlage im Olympiadorf sind gescheitert.
  • Installiert wurde die Anlage zu den Olympischen Spielen 1972. Danach funktionierte sie 45 Jahre lang ohne große Störungen.
  • Immer häufiger stopfen die Nutzer mittlerweile aber Sperrmüll in die Entsorgungsschächte. Das verkraftet die Anlage nicht.

Von Ulrike Steinbacher, Olympiadorf

Es ist offiziell: Die pneumatische Müllsauganlage im Olympiadorf wird endgültig stillgelegt. Jetzt muss Herbert Hantelmann, der Geschäftsführer der Olympiadorf Betrieb-Beteiligungs-Gesellschaft (ODBG), den einstimmigen Beschluss der Gesellschafterversammlung in die Tat umsetzen. Das wird nicht einfach. Nach den Ferien macht er sich auf die Suche nach einem Ingenieurbüro, "das mit so was vertraut ist", zieht vielleicht einen Geowissenschaftler zu Rate. Andererseits weiß er nicht, ob solche Experten ihm wirklich helfen können, "denn eigentlich kennt keiner die Anlage besser als wir selbst".

Die alte Absauganlage des Olympiadorfs war ein Dinosaurier der Müllentsorgung. Installiert wurde sie zu den Olympischen Spielen 1972 und funktionierte danach 45 Jahre lang ziemlich gut - auch dank der hervorragenden Wartung durch die ODBG-Leute, sagt Hantelmann. Vergleichbare Systeme seien schon nach 15 Jahren in die Knie gegangen.

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Den Dorfbewohnern machte die Anlage die Müllentsorgung leicht. Sie warfen ihren Abfallsack einfach in den Schacht im Treppenhaus ihrer Etage, fertig. Der Hausmüll von etwa 6000 Dorfbewohnern rutschte auf diese Weise nach unten in die Müllhäuschen und wurde von dort einmal täglich mit vier kräftigen Motoren über ein drei Kilometer langes weitverzweigtes Rohrsystem in die große Halle auf dem Dorf-eigenen Wertstoffhof gesaugt, dann in Container gepresst und weggefahren.

Den Garaus gemacht haben der Anlage die alternde Gesellschaft und der Online-Versand, vor allem aber die Faulheit mancher Nutzer. Denn die Rohre mit ihrem Durchmesser von 50 Zentimetern sind nur für Hausmüll ausgelegt, was auch groß an jedem Einwurfschacht steht. Den Sperrmüll, den manche Nutzer nichtsdestotrotz in die Klappen stopften, konnte das System nicht verkraften. Immer wieder bildeten sich große Pfropfen, vorzugsweise aus gebrauchten Erwachsenenwindeln und Verpackungskartons, angereichert etwa mit Bauschutt, alten Bügeleisen und Plastikkanistern. Dabei hat das Olympiadorf nicht nur einen eigenen Wertstoffhof, an allen Straßen sind außerdem auch Container für Papier, Glas und Plastik verteilt.

Von 2011 an ging es bergab mit der Müllansaugung, immer wieder mussten Spezialisten die Rohre mühsam freiräumen. Im September 2017 war das System dann an fünf Stellen gleichzeitig verstopft, und Herbert Hantelmann zog die Notbremse. Die Stilllegung war zunächst als vorübergehende Maßnahme bis zur Reparatur gedacht, ist aber längst Dauerzustand. Jetzt stehen überall im Olympiadorf Müllcontainer. Wenn sie voll sind, ziehen die Mitarbeiter der ODBG sie mit dem Elektromobil zu Sammelstellen, der Mülllaster holt sie ab.

Für Hausmüll gedacht, für Sperrmüll missbraucht: Immer wieder verstopften die Rohre der Müllsauganlage. (Foto: Privat)

Viele Dorfbewohner trauern der alten Anlage bis heute nach, Herbert Hantelmann selbst hätte sie ebenfalls gern repariert oder durch eine neue ersetzt. Aber er wusste schon vor zwei Jahren, dass der fehlende Wille zur Mülltrennung mit dem System nicht zu vereinbaren ist: "Wir können hier Millionen investieren und haben nach drei Wochen wieder das gleiche Problem", sagte er damals.

Eine Reise zum schwedischen Hersteller Envac diesen Mai, die eigentlich als "letzte Rettungsaktion" gedacht war, hat ihn in seiner Meinung bestätigt. Envac hat Ende der Sechzigerjahre die Olympiadorf-Anlage gebaut und versorgt weltweit mehr als zwei Millionen Haushalte mit der Müllabsaug-Technologie, meist in Großstädten, wo Platz für Container knapp ist. Inzwischen bieten die Systeme der Firma sogar die Möglichkeit, Müll zu trennen, sei es mit eigenen Einwurfschächten für die verschiedenen Müllfraktionen, sei es mit Abfallbeuteln in unterschiedlichen Farben, die dann in der Zentrale sortiert werden.

Doch aufs Olympiadorf lässt sich nach Hantelmanns Einschätzung kein System sinnvoll übertragen. Für das Konzept der getrennten Einwurfschächte müssten die Müllzentrale "bis zur letzten Schraube" erneuert und die Müllhäuschen der Wohngebäude um eine Etage aufgestockt werden. Dafür gibt es großenteils aber gar nicht genug Platz. Und der Variante mit den verschiedenfarbigen Müllsäcken aus Plastik droht womöglich wegen der EU-Verordnung zum Verbot von Plastikbeuteln mittelfristig das Aus. Ein weiteres Problem sind die alten Rohrleitungen, von deren weiterer Benutzung Envac abrät. Schließlich sind sie lange in Betrieb, verrostet und womöglich ziemlich durchgescheuert oder sogar leck. Für neue Rohre ist aber im Olympiadorf eigentlich kein Platz. Den Gedanken, sie an den Decken der unterirdischen Autostraßen zu befestigen, haben Hantelmann und seine Leute aus technischen Gründen wieder verworfen.

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Jetzt bleibt ihnen nur noch, die Stilllegung der Anlage zu organisieren. Auch das hat seine Tücken. Um die Müllpressen aus der Zentrale herauszuholen, muss deren Dach geöffnet werden. Darauf werden die Denkmalschützer ein Auge haben, denn das Olympiadorf steht unter Ensembleschutz. Und die alten Rohre kann man auch nicht einfach so im Boden lassen. Mit den Jahren würden sie zusammenbrechen, darüberliegende Wege oder Gebäudeteile würden absacken. Ausgraben geht auch nicht überall, denn längst wachsen große Bäume entlang den Trassen, zum Teil stehen Häuser drauf. Also will Hantelmann die Rohre verfüllen lassen. "Da müssen wir vielleicht mal einen Versuch machen", sagt er. Als Lösung könne er sich vorstellen, "einen kleinen Erdrutsch auszulösen". Soll heißen: Schlamm- oder Zementsuspension kommt in die Rohre, Verflüssiger senkt den Reibungswiderstand, und auf dieses "Gleitbett" wird Beton gefüllt.

Hantelmann erwartet, dass die Olympiadörfler vom Rückbau nicht viel mitbekommen werden. "Da stehen wir dann irgendwo mit einer Betonpumpe." Nur die Kosten werden die gut 3000 Haushalte schmerzhaft spüren. Noch ist offen, wie hoch sie sein werden. Aber sicher ist, dass sie auf die Eigentümer umgelegt werden.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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