Oktoberfestattentat:Späte Entschädigung für mehr als 200 Opfer

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Ein Beispiel dafür, dass bei der Bewältigung des Attentats einiges schlecht lief: Das Mahnmal an der Theresienwiese halten viele für missglückt. (Foto: Stephan Rumpf)

40 Jahre nach dem rechtsterroristischen Anschlag steht der lange geforderte Fonds von Bund, Land und Stadt München in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Anfang 2021 soll das Geld ausgezahlt werden.

Von Annette Ramelsberger

Wenn man Renate Martinez in diesen Tagen fragt, ob sich schon jemand bei ihr gemeldet hat wegen einer Entschädigung vom Staat, dann seufzt sie vernehmlich und ein wenig bitter auf. "Hoffentlich erlebe ich das noch", sagt sie mit einem Anflug von Galgenhumor.

Renate Martinez wurde als junge Frau beim Oktoberfestattentat am 26. September 1980 durch die Bombe des rechtsextremistischen Attentäters Gundolf Köhler schwer an den Beinen verletzt. Sie kann heute nur noch mühsam am Rollator gehen. Bis zuletzt hat sie nicht wirklich daran geglaubt, dass sich der Staat nach 40 Jahren doch noch dazu aufrafft, den Verletzten und Opfern des Oktoberfestattentats finanziell zu helfen. Schöne Worte, sagte sie, sonst nichts.

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Von Annette Ramelsberger

Renate Martinez hat sich getäuscht. Sie wird in den nächsten Wochen einen Brief von Oberbürgermeister Dieter Reiter bekommen, der ankündigt, dass Bund, Land und Stadt ihr und auch den anderen mehr als 200 Verletzten des Attentats nun doch noch helfen wollen. Die Bundesregierung, das Land Bayern und die Stadt München haben sich nach monatelangen Verhandlungen darauf geeinigt, einen Fonds in Höhe von 1,2 Millionen Euro aufzulegen, aus dem die Opfer des Attentats unbürokratische Hilfe bekommen sollen. 500 000 Euro zahlt der Bund, 500 000 Euro Bayern, 200 000 Euro die Stadt München. Ganze vier Jahrzehnte nach der Tat.

Es ist den Worten von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, der bayerischen Sozialministern Carolina Trautner und von OB Reiter anzumerken, für wie dringend nötig sie diese Hilfe halten - und wie wenig sie verstehen können, dass es so lange gedauert hat, bis diese Hilfe zu den Opfern kommt. "Ein spätes, aber dennoch wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen dieses verheerenden Anschlags" wolle man setzen, erklärt Justizministerin Lambrecht. Und Reiter sagt: "Auch wenn wir das Leid und die schmerzvollen Erinnerungen der Überlebenden nicht ungeschehen machen können, so zeigt dieser gemeinsame Fonds von Bund, Freistaat und Stadt - wenn auch viel zu spät -, dass alle politischen Ebenen willens sind, den Menschen dieses unfassbar grausamen rechtsterroristischen Anschlags die Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung zu geben, die sie längst verdient haben." Längst verdient, viel zu spät - das sind bezeichnende Worte, die anklingen lassen, wie sehr der Staat in Verzug ist mit der Anerkennung der Opfer.

Ermittlungen wurden neu aufgenommen - und erst im Sommer abgeschlossen

Die Stadt München hat in den letzten Jahren 100 000 Euro gegeben. Aber Bund und Land haben auf die Einschätzung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gewartet. Die hatte die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat im Dezember 2014 wiederaufgenommen und erst jetzt, im Sommer 2020, abgeschlossen. Sie hat zwar keine Hintermänner des Attentats gefunden, aber bei der Bewertung der Tat eine Wende um 180 Grad vollzogen. Bis jetzt galt das Attentat als Tat eines von Liebeskummer gebeutelten jungen Mannes, nicht aber als rechter Terror. Dass Gundolf Köhler bei der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann trainiert und ein Hitlerbild über dem Bett hängen hatte, das nahmen die Ermittler 1980 nicht als Beweis für ein politisches Motiv. Die Bundesanwaltschaft sieht das heute anders: Für sie ist das Attentat eindeutig rechter Terror. Köhler habe damit die Bundestagswahl zehn Tage später beeinflussen wollen, bei der Franz Josef Strauß (CSU) gegen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) kandidiert hatte.

Für die Opfer ist diese neue Einschätzung wichtig. Denn erst sie erlaubt es den Behörden, auf den Opferfonds für Terroropfer zurückzugreifen. Erst sie hat die Einigung zwischen Bund, Freistaat und Stadt möglich gemacht. Die Verteilung des Gelds soll nun die Stadt München organisieren. Und es soll unbürokratisch zugehen, so will es der Oberbürgermeister ausdrücklich. Keiner soll um sein Geld betteln müssen. Also nicht noch einmal langwierige Gutachten über die körperlichen Schäden und ihre Spätfolgen - denn die sind nach 40 Jahren ja offensichtlich. Keine Verschleppung der Auszahlung, denn viele der Betroffenen sind nun im Rentenalter, ihre Beschwerden werden nicht leichter und sie nicht jünger. Schon leben nicht mehr alle von den 211 Personen, die damals das Attentat verletzt überstanden haben. Der Stadt München sind noch rund 170 Überlebende bekannt. Und die werden nun angeschrieben.

Zudem soll es feste Ansprechpartner für die Opfer geben, damit sie nicht von Amt zu Amt weitergereicht werden. Und auch die Schwere der Verletzungen soll bei der Auszahlung eine Rolle spielen. Es wird ein abgestuftes Verfahren dazu geben. Ähnliches hatte Opferanwalt Werner Dietrich gefordert, allerdings in einer anderen finanziellen Größenordnung.

Der Fonds muss noch durch die Abstimmung im Bundestag, aber, so heißt es in Berlin, man könne sich nicht vorstellen, dass irgendwer dagegen stimme. Auch der Stadtrat in München muss noch zustimmen. Aber auch da dürfte es keine Widerstände geben. Von Anfang 2021 an könnte das Geld ausgezahlt werden.

In einer gemeinsamen Erklärung machten Bund, Land und Stadt am Mittwoch deutlich, wie wichtig es ihnen ist, die Opfer nicht mehr allein zu lassen. "Wir wollen die Menschen unterstützen, die bis heute unter den Folgen des Attentats leiden. Der Staat muss stärker für die Betroffenen von Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenhass da sein", erklärte Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD). Bayerns Sozialministerin Trautner (CSU) sagte: "Der Freistaat setzt hier ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und stellt sich an die Seite der Betroffenen, denen unsere Solidarität und unser Mitgefühl gilt."

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Text: Annette Ramelsberger, Portraits: Stephan Rumpf

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