Doku zum Oktoberfestattentat:40 Jahre Recherche

Doku zum Oktoberfestattentat: Chaussy hat in seinen Recherchen wiederholt Zeugen aufgeboten, die neben dem Attentäter Gundolf Köhler einen anderen Mann am Tatort gesehen haben.

Chaussy hat in seinen Recherchen wiederholt Zeugen aufgeboten, die neben dem Attentäter Gundolf Köhler einen anderen Mann am Tatort gesehen haben.

(Foto: BR)

Die Dokumentation "Ermittlungen? Eingestellt." zeigt die vielen Widersprüche rund um das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest.

Von Annette Ramelsberger

Eigentlich müsste man diese Dokumentation von hinten ansehen. Dann, wenn der unermüdliche Rechercheur Ulrich Chaussy alle seine Mosaiksteine noch einmal vorgezeigt hat, die darauf hinweisen, dass das Oktoberfestattentat vor 40 Jahren nicht von einem Einzeltäter begangen wurde. Nachdem er noch einmal Zeugen aufgeboten hat, die neben dem Attentäter Gundolf Köhler einen anderen Mann am Tatort gesehen haben. Die erklären, dass sie Köhler kurz vor dem Attentat mit anderen jungen Männern in einem Auto haben streiten sehen. Und deren Aussagen die Bundesanwaltschaft dennoch nicht zu den Hintermännern geführt haben, die hinter diesem schwersten Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik vermutet werden.

Am Ende dieser Dokumentation über das Oktoberfestattentat von Ulrich Chaussy und Daniel Harrich wird Chaussy selbst gefragt, wie es ihm eigentlich damit geht, dass die Ermittlungen nach der spektakulären Wiederaufnahme im Jahr 2014 in diesem Sommer eingestellt worden sind. Und man sieht da einen Mann, der bei aller Kampfbereitschaft, bei aller Energie doch auch ein wenig wehmütig und enttäuscht wirkt darüber, dass seine fast 40 Jahre langen Ermittlungen, ein journalistisches Lebenswerk, nicht doch noch die Verbindung zu jenem Mann hergestellt haben, den Chaussy als Hintermann in Verdacht hat: Karl-Heinz Hoffmann, dem Chef der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann.

Was Chaussy über all die Jahre zusammengetragen hat, war den Ermittlungsbehörden ein beständiger Dorn im Fleisch. Er hatte ihnen nachgewiesen, dass sie noch 1997, als es die DNA-Analyse längst gab, wichtige Asservate wie ein Handfragment vom Tatort vernichteten. Und die entsprechenden Akten dazu fehlen. Heute sagt ihm dazu selbst der bayerische Innenminister ins Mikro, dass das "alles in der Tat etwas merkwürdig" ist. Als Chaussy mit seinen Nachforschungen begann, galt er als Spinner. Es war doch alles längst abgeschlossen, der Täter begraben, die Akten geschlossen. Aber er ließ nicht locker. Die Dokumentation ist auch ein Gang durch die Geschichte seiner Recherchen.

Zum Oktoberfestattentat lässt sich kaum noch Neues sagen, aber Chaussy konzentriert sich nun auf Karl-Heinz Hoffmann und das, was um ihn herum passierte. Er interviewt einen ehemaligen Anhänger, der berichtet, wie Hoffmann ihn einst in einem Ausbildungscamp in Libanon folterte. Eine ganze Nacht lange habe er ihm löffelweise Speisesalz in den Mund gezwungen. Ein Schreckensregime habe der Mann, der sich für den Nachfolger von Hitler hielt, errichtet. Hoffmann trainierte mit rund 70 Aktiven in Frankens Wäldern den Untergrundkampf. Wer die Bilder von den marschierenden Paramilitärs sieht, fragt sich noch immer, wie Franz Josef Strauß sie für harmlos halten konnte.

Besonders interessant wird Chaussys Film, wenn es um den Mord an dem Erlanger Verleger und Rabbiner Shlomo Lewin und dessen Partnerin Frida Poeschke nur wenige Wochen nach dem Oktoberfestattentat geht. Die beiden wurden mit Kopfschüssen in ihrem Haus getötet. Am Tatort lag die Sonnenbrille von Hoffmanns Lebensgefährtin. Aber Hoffmann schob alles auf einen Anhänger, der angeblich in Libanon Suizid begangen hatte. Auch hier wurde wieder fehlerhaft ermittelt, der Täter im Umfeld der Toten gesucht. Und erstaunlich: Der heutige bayerische Innenminister Joachim Herrmann erzählt, dass er als Kind der Nachbar von Lewin und Poeschke war und wie sehr ihn das Attentat erschüttert hat. Geschichte reicht oft bis in die Gegenwart.

In 40 Jahren Kampf gegen das Vergessen ist aus dem jungen Reporter Uli der Zeitzeuge Chaussy geworden. Die neuen Ermittlungen haben ihm zumindest im wichtigsten Punkt recht gegeben: Das Oktoberfestattentat war nicht die Tat eines von Liebeskummer geplagten, frustrierten Jünglings. Es war rechter Terror.

Ermittlungen? Eingestellt. Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Bayerisches Fernsehen, 22 Uhr, und in der Mediathek.

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