Geschichte:Eine Stadt gebaut auf saftigen Toilettengebühren

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Keine Spülung, kein Seifenspender, und garantiert nichts fürs Herz: Das erste urkundlich erwähnte öffentliche stille Örtchen Münchens war sicher nicht so heimelig wie die heutige Variante. (Foto: dpa-tmn)

München feiert nicht nur das Olympia-Jubiläum - sondern auch die erste urkundliche Erwähnung einer öffentlichen Latrine vor 625 Jahren. An die Arbeit der dort tätigen Nachtkönige will man allerdings nicht gern zurückdenken.

Glosse von Wolfgang Görl

Jetzt, in den ersten Tagen des neuen Jahres, tut München gut daran, sich auf die bevorstehenden Jubiläen vorzubereiten. Weit oben auf der Liste steht der 50. Jahrestag der Olympischen Sommerspiele '72, aber auch die 700 Jahre zurückliegende Schlacht bei Ampfing ist einer Gedenkminute wert. Am 28. September 1322 besiegte der Wittelsbacher Ludwig IV., der spätere Kaiser, den Habsburger Gegenkönig Friedrich den Schönen in einer der letzten Ritterschlachten nach gutem alten Brauch - wäre es anders ausgegangen, würde Bayern heute von Wien aus regiert, von einem Kolonialregime aus Sebastian Kurz, Mörtel Lugner und Red Bull.

Noch bedeutender aber ist, was vor 625 Jahren geschah: Am 10. November 1397 wird erstmals in München eine öffentliche Bedürfnisanstalt urkundlich erwähnt. An diesem Tag verzeichnet der Stadtkämmerer die Ausgabe von sieben Schillingen für Schreinerarbeiten "zu dem newen prifet bey dem rathause".

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"Prifet" bedeutet Abtritt, Latrine oder heimliches Gemach, und dieses Gemach befand sich beim Ridler'schen Haus im Tal. So sehr das Prifet auch Erleichterung bot, ein stilles Örtchen zum Durchschnaufen inklusive Toilettenspülung und Seifenspender war es nicht. Vermutlich befand sich darin ein etwas besserer Donnerbalken mit einer darunter ausgehobenen Versitzgrube. Sogenannte Goldgrübler respektive Nachtkönige schöpften die Fäkalien zur diskreten Stunde ab und schütteten sie in die Stadtbäche.

Ob der Besucher des Prifets eine Gebühr zahlen musste, ist der Kammerrechnung nicht zu entnehmen. Man darf aber vermuten, dass der Lokus im Tal nicht die erste öffentliche Toilette Münchens war. Noch heute kursiert die Legende, Herzog Heinrich der Löwe habe die vor allem von Fuhrleuten frequentierte, sehr einträgliche Bedürfnisanstalt des Freisinger Bischofs Otto in Föhring abbrennen und ein eigenes Klo im Bereich der heutigen Mariensäule errichten lassen. Rund um diesen "Heinrichs-Thron" habe man die Stadt München erbaut, die infolge der saftigen Toilettengebühren rasch zu Reichtum kam.

Der Legende nach soll die erste öffentliche Toilette sogar noch früher eingerichtet worden sein, in der Nähe der heutigen Mariensäule. (Foto: dpa)

Was immer von der Geschichte zu halten ist: Die saftigen Toilettengebühren sind bis heute geblieben, nur verdienen sich jetzt Privatunternehmen damit eine goldene Nase. Kostenlose Prifets in der Altstadt sind so rar, dass man die Existenz eines solchen nicht mal seinem besten Freund verraten würde. Umso mehr gilt es, das epochale Ereignis vor 625 Jahren gebührend zu feiern. Es war ein Meilenstein im bis heute währenden Kampf der Stadt München gegen die wilden Biesler, einen mit Blitzaktionen operierenden Geheimbund, der Urinale und Kloschüsseln als freiheitsberaubend ablehnt. Leider hat die öffentliche Hand den Toilettenbau in jüngerer Zeit ebenso vernachlässigt wie den Sozialen Wohnungsbau, weshalb auch gutwillige Münchner gelegentlich zu wilden Bieslern werden. Andere nutzen die Kundentoiletten der Kaufhäuser, ein warmer Regen für die Konsumtempel, sonst ginge gar niemand mehr rein.

Jedenfalls ist zur Feier des Jahrestags eine große Sause fällig. Die Philharmoniker wären gut beraten, für den Festakt schon mal Händels "Wassermusik" zu proben, und zwar unverzüglich. Es pressiert.

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