Popularklage:Mit der Ruhe ist's vorbei

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Kurt Grünberger, Vorsitzender des "Stadtteilvereins für Lebensqualität", steht an der Appenzeller Straße und kämpft gegen Nachverdichtung in Fürstenried. (Foto: Robert Haas)

Anwohner in Fürstenried klagen gegen die Nachverdichtung in ihrem Viertel, sie fürchten um ihre Lebensqualität. Dabei ist die Wohnungsnot in München gewaltig.

Von Jürgen Wolfram

Die Schweiz ist in Fürstenried allgegenwärtig. Fast alle Straßen und Plätze des Viertels im Münchner Südwesten tragen die Namen von Städten und Kantonen des Nachbarlandes - Reminiszenz an die Stadtteil-Partnerschaft mit Bern-Bethlehem, das etwa zur gleichen Zeit wie Fürstenried errichtet wurde. Heute interessiert man sich mehr für das eidgenössische Baurecht. Denn das kennt im Zusammenhang mit Zuzugsfragen und Siedlungsprojekten den Begriff "Dichtestress". Dass dieses Übel auch hierzulande unbedingt zu vermeiden sei, findet der aus einer Bürgerinitiative hervorgegangene Verein Pro Fürstenried. Gemeinsam mit zwei unmittelbar betroffenen Bewohnern hat er jetzt eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Diese richtet sich gegen die Stadt München und die von ihr genehmigte Nachverdichtung in Fürstenried-West.

In dem betroffenen Quartier - Bebauungsplan Appenzeller Straße - mit seinen 1500 Wohnungen hat die Bayerische Versorgungskammer bereits damit begonnen, durch Aufstockungen, Anbauten und den Bau von Hochhäusern mit bis zu 18 Stockwerken weitere 660 Wohnungen zu errichten. Ein Vorhaben, gegen das Pro Fürstenried seit Jahren Sturm läuft, dem der Stadtrat dennoch unter Hinweis auf benötigten Wohnraum mehrheitlich zugestimmt hat.

Aus Sicht des "Stadtteilvereins für Lebensqualität" ist das ein skandalöser Affront. Sein Vorsitzender Kurt Grünberger sieht sogar Grundrechte verletzt. So würden Bestandsgebäude durch die geplanten Neubauten in zwei Extremfällen derart verschattet, dass die alteingesessenen Bewohner kaum noch Sonnenlicht abbekommen dürften. Und Parkplätze seien so platziert worden, dass sie einem Eingriff ins Landschaftsschutzgebiet gleichkämen. Ohnehin sei die Fällung von 184 Bäumen zu beklagen.

Zudem habe die Stadt den Stellplatzschlüssel für das Plangebiet trickreich heruntergerechnet, sodass bei näherem Hinsehen nur noch etwa ein Viertel einstiger Vorgaben übrigbleibe. "Die verstoßen gegen ihre eigenen Regelungen", kritisiert Grünberger, "das ist in dieser Größenordnung einmalig und in gewisser Weise eine Täuschung."

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Als unliebsame Folge sei mit chaotischen Verkehrsverhältnissen im Viertel zu rechnen. Zumal auch die festgesetzte Maximaldistanz von 600 Metern zur nächsten U-Bahn-Station nicht überall eingehalten werde. Dass im Zuge der Quartiersumgestaltung obendrein ein völlig intaktes Wohnhaus an der Forst-Kasten-Allee abgerissen werde und dessen teils ältere Bewohner nolens volens umziehen müssten, dass ferner ganze Balkone "weggesägt" würden, die Bodenversiegelung zunehme und während der jahrelangen Bauarbeiten Feuerwehr-Zufahrten blockiert blieben, komplettiere nur das Bild einer überzogenen, sozial unverträglichen Nachverdichtung, moniert Grünberger. Mit den stets von offizieller Seite geforderten gesunden Wohnverhältnissen habe all dies nichts zu tun.

Dem Vereinsvorsitzenden ist klar, dass Pro Fürstenried mit seiner Popularklage auf eine betonhart formierte Phalanx aus Stadtrat, Stadtverwaltung und Bauträger stößt. "Aber es ist unsere letzte Möglichkeit, uns gegen die Verletzung von Grundrechten durch eine maßlose Nachverdichtung zu wehren", betont er. Einen großen Vorteil der Popularklage sieht er darin, dass über die Stadt München hinaus auch der bayerische Landtag sowie die Staatsregierung Stellung beziehen sollen. Ein Urteil erwartet Pro Fürstenried frühestens im Juli.

Das städtische Planungsreferat und die Bayerische Versorgungskammer weisen die Kritik von Pro Fürstenried gebetsmühlenartig zurück, seit der Konflikt vor acht Jahren seinen Anfang genommen hat. Beide Seiten betonen, denkbare Verkehrsprobleme mit einem ausgeklügelten Mobilitätskonzept zu entschärfen, das Carsharing ebenso einschließt wie den Verleih von Fahrrädern. Die Bayerische Versorgungskammer nimmt für sich in Anspruch, mit der Quartierserweiterung in Fürstenried-West einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot zu leisten. Gebaut würden dringend benötigte, bezahlbare Mietwohnungen, beteuern Unternehmenssprecher. Zugleich weisen sie die Vermutung zurück, dabei würden gesetzliche Abstandsnormen unterlaufen oder zu viele Grünflächen geopfert. Baumfällungen würden durch Neupflanzungen eins zu eins kompensiert, so das Versprechen.

Anders als der Münchner Stadtrat lassen sich die Mitglieder von Pro Fürstenried durch solche Zusagen nicht beeindrucken. Für sie steht fest, dass es mit der Ruhe und Wohnqualität in ihrem Stadtrandviertel unwiderruflich vorbei ist, sollte ihre Popularklage keinen Erfolg haben. Helvetische Bestimmungen gegen "Dichtestress" wären ihnen dann nur ein schwacher Trost.

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