Gil Ofarim:Die Poesie des Grashüpfers

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Der sanfte Rocker: Diesen Typen gab Gil Ofarim schon zu Teenager-Zeiten in der "Bravo"-Foto-Love-Story. Jetzt schwankt der 37-Jährige zwischen ernsthaftem Musiker-Dasein und Fernseh-Star. (Foto: dpa)

Der Münchner Musiker Gil Ofarim ist als TV-Persönlichkeit derzeit bekannter denn als Sänger. Nun reflektiert er das Showbiz auf seinem neuen Album "Alles auf Hoffnung" - so sinnlich wie pointiert.

Von Michael Zirnstein

Als Grashüpfer getarnt war Gil Ofarim besonders nackt. Unter dem Plastikhelm mit Riesenglubschern konnte er nicht mit seelenvollen Augen punkten, er durfte auch nichts sagen und mit seinem Charme bezirzen, und keine treue Verehrerin, die dem engelhaarigen Beau aus der Bravo-"Foto-Lovestory" in Teenagertagen vor seiner Wohnung an der Leopoldstraße auf dem Trottoir tagelang aufgelauert hatte, würde aus alter Liebe für ihn stimmen. Ein wenig mit dem Extra-Beinpaar wackeln, das konnte er. Nur die Stimme zählt, das war die Ausgangslage des so albernen wie geheimnisvollen Sängerwettstreits auf Pro7 "The Masked Singer". "Ich wollte wissen: Funktioniere ich oder nur der Promifaktor", sagt Gil Ofarim. Seine samtraue Stimme überzeugte, auch wenn die Experten-Jury anfangs mit Tipps von Bruce Springsteen über Florian Silbereisen bis DJ Bobo noch recht im Dunkeln tappte. Im Finale waren sich dann alle sicher, es mit Gil zu tun zu haben, der nur dem Soul-Bruder Max Mutzke unterlag.

Der 37-jährige Münchner fordert sich gern heraus. Weil die Fernsehzuschauer derzeit nichts lieber sehen als Duelle, misst sich Ofarim auf allen Kanälen. Bei "Schlag den Star" fegte er den 13 Jahre jüngern Pietro Lombardi hinweg, obwohl er sich im zweiten Spiel - Trampolinball - einen großen Zeh brach, er trat beim "Großen Promi-Backen" und bei "Promi Ninja Warrior" an, bei "Let's Dance" siegte er mit Ekaterina Leonova im Paartanz, jüngst trat das Team "Gilkat" dann im Quiz "Wer weiß denn sowas?" gegeneinander an. Dazu modelt er, spricht Synchronrollen, spielt in Film und Musical, moderiert die Rock-Radio-Show "Chilling In The Name" - ein Medienmann modernen Typs. "Das mag wahllos erscheinen", sagt er, aber er nehme nur Angebote an, auf die er "Bock" habe. Tanzen zum Beispiel, das habe er schon als Kind geliebt, mit seinem Bruder Tal brachte er anderen Kindern in der BR-Reihe "Ping Pong Junior Club" rappen und Dancemoves bei. Die nächste Herausforderung ist schon gestartet: Mit dem Krimiklassiker "Tod Auf dem Nil" ist er auf Theatertour und gastiert im Februar 2021 im Prinzregententheater.

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Freilich fragen ihn Freunde, ob er sich nicht verzettelt. "Keine Ahnung", sagt Ofarim, "aber stimmt schon, wenn's ums Eigentliche ginge, dürfte ich nur Musik machen". Aber als "gestandener Liedermacher", als der er sich bezeichnet, hat man es dort nicht leicht, wo er zu Hause ist. Für die so genannte Münchner Szene, glaubt er, sei er zu prominent, obwohl er lange in der Band Acht mit Andy Lind von den Freaky Fukin Weirdoz und mit Petros Kontos, dem lässigen Wirt vom Café Haidhausen, das wilde Tourleben genoss. Und im TV? Wo kann man da heute noch live rocken, außer bei "The Voice", und da war er schon.

Aber er bleibt dran, wo sein Herz hängt. Nach der Zeit als Mädchen-Schwarm mit Hits wie "Round'N'Round (It Goes)" auch in Kanada, Asien und im Olympiastadion vor Bon Jovi und nach Bands wie Zoo Army und Acht war es längst wieder Zeit für eine Bewährungsprobe. Nur kollidierte das Solo-Projekt "Alles auf Hoffnung" mit der härtesten Prüfung seines Lebens, die er sich einmal nicht selbst gesucht hatte. 2018 starb sein Vater, der israelische Schwabinger Schlager-Gigant Abi Ofarim. So sehr ihn der Verlust zum Schreiben drängte, so sehr blockierte er ihn auch. Es half, dass er sich Hilfe holte, weil er "tausend Ideen, aber keinen einzigen Song" hatte. In einer frühen Session mit Christian Neander von Selig und Tom Albrecht offenbarten alle "in einem Seelenstriptease" ihre Trauer und Ängste. Sie wunderten sich, dass sowohl Albrecht als auch er beim Tod der Väter zum Landeplatz für einen Schmetterling geworden waren und gossen dieses gemeinsame Gefühl in ein Lied: "Ein Teil von mir".

"Den Papa-Song habe ich von der Schulter", dachte sich Ofarim, aber recht befreit fühlt er sich nicht. Irgendwo "am Arsch der Welt" bei Münster, bei einer verregneten Songwriting-Runde, hörte er Abis Stimme in sich: "Eine Ballade mit Streichern und Trauer für mich, echt jetzt?" Sein Vater habe Funk geliebt, sei voll auf Rhythmus abgefahren, er hätte ihm geraten, seine Wut rauszubrüllen. Daraus wurde "Nach Dir der Regen", ein aufwühlendes Donnerwetter. Das fängt sanft an, erzählt - wie auch Christian Ude bei der Beerdigung - von den Händen Abi Ofarims: "Du hast mir beigebracht, wie man Hände reicht, die groß genug zum Halten sind, die Trost genug für Tränen sind, die wehren und die streicheln können." Gil berühren sie immer noch, wenn er an sie denkt. "Ein Kind sucht Halt", sagt er, "ich habe keine Hände länger gehalten als die meines Vaters, er hat mir damit gezeigt, wie man eine Gitarre und einen Tennisschläger hält; zum Lob hat er mir beide Hände zum Einschlagen hochgehalten: Kapha, Gil, kapha!"

Mit dem Stück, das es auch als Duett mit seinem Bruder Tal gibt, platzte der Knoten. Noch in der folgenden Nacht schrieb er das zweite Meisterwerk, es ist in der rohen Erst-Aufnahme am Ende der Platte: "Pierrot". Er singt in der Ballade aus Sicht der traurigen Figur des Pantomimen Jean-Gaspard Deburau. Auch wenn das jeden betrifft, der für andere Rollen spielt, schildert der Text doch sein Innerstes als verjährter Teenager-Star: "Meine Name ist Pierrot / Ich tanz wenn's muss / Mit dem Schädel unterm Arm / Und Schmerz im Fuß / Die Leute, die drauf hoffen und die alles drauf setzen /die kann ich nicht enttäuschen / ... / mein Name ist egal / Ihr findet mich in jedem zweiten Saal". Chapeau, dem Pierrot. So macht sich ein Künstler nackt.

Gil Ofarim , Dienstag, 3. März, 20 Uhr, Technikum

© SZ vom 03.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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