"Cleanup Day":Was die Münchner einfach wegwerfen

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Mit Greifzange und großen Tüten: An der Lerchenauer Straße sammeln an die 50 Menschen Müll ein. Vor allem Kronkorken, Zigarettenstummel, Fast-Food-Verpackungen und Plastik. (Foto: Stephan Rumpf)

Bei der ersten Müllmeisterschaft machen 400 Menschen in 16 Stadtvierteln mit. Eingesammelt wird fast alles: Kronkorken, Zigarettenstummel, Kondome - und Autoreifen.

Von Nicole Graner

Lilia sieht es zuerst. Das riesige Wolkenherz. Ein kleines Flugzeug malt es gerade in den blauen Himmel. Es ist kurz nach zwölf. Die Wiesn ist eröffnet. Aber der Achtjährigen ist das 188. Oktoberfest im Moment ziemlich egal. Viel wichtiger sind ihr die voll gefüllten grauen Müllsäcke. Sie macht zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin bei der ersten Münchner Müllmeisterschaft mit. Und je mehr sie sammeln, desto besser.

In 16 Stadtvierteln wird zum weltweiten "Cleanup Day" am 16. September aufgeräumt. An die 400 Menschen machen mit. Ob Plastik oder Glas, ob Zigarettenkippen oder Kronkorken - alles wird eingesammelt, fein säuberlich getrennt und dann zum Abholen bereit gestellt. Initiiert hat die Weltmeisterschaft Rehab Republic, ein Verein, der mehr Bewusstsein für eine nachhaltige Umwelt fördern will. Dort laufen alle Fäden zusammen, wie Mitinitiatorin Janine Malz erklärt, denn das Projekt Cleanup Munich vereint alle Müllsammel-Initiativen, die es so gibt. "Zusammen geht mehr", sagt die 38-Jährige, die im Grünen-Ortsvorstand Giesing aktiv ist.

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So hat man auch schon politische Forderungen an die Stadt München gestellt, wie man in Sachen Müll mehr bewegen könnte. "Wir wünschen uns zum Beispiel, dass es in München einen Beauftragten gibt, der für die Cleanup-Initiativen zuständig ist", sagt Malz. Oder dass es mehr Mülleimer in der Stadt gibt. Bunte vielleicht. Mit guten Sprüchen. Einfach als Anreiz, wie Malz hofft, den Müll richtig zu entsorgen und nicht irgendwohin zu werfen.

Für Schwabing-Freimann geht nur eine kleine Gruppe von zehn Leuten an den Start. Christina Smith, die seit acht Jahren mit ihrem Mann in Freimann wohnt, macht zum ersten Mal bei einem Cleanup mit. "Ich will einfach, das mein Stadtviertel hier sauber ist", sagt sie und verteilt 60 Liter-Müllsäcke und Handschuhe. Die einen machen sich zum Schwabinger Bach auf, die anderen zu einem öffentlichen Parkplatz an der Sondermeierstraße.

Im Gebüsch liegen Kondome und Strümpfe

Viel Müll liege hier immer herum, sagt Xenia, die Mutter von Lilia. Und das stimmt. Egal, in welche Ecke man schaut: Zigarettenschachteln, Fast-Food-Verpackungen, Taschentücher im Gebüsch, Kondome, Spritzbesteck, Unterhosen, Strümpfe, Perücken. Irgendjemand hat seinen Bauschutt einfach auf den Kies geworfen. Lauter kleine blaue Kacheln liegen herum. Auch kaputte Autos würden auf dem Parkplatz abgestellt, sagt Xenia, die im Viertel wohnt. Und nie mehr abgeholt.

"Das ist so ekelhaft", ruft Lilia und zieht mit spitzen Fingern einen alten Putzlumpen aus dem Kies. Ihre Freundin sammelt Kronkorken. "Ich verstehe nicht, warum die Menschen einfach alles liegen lassen", sagt sie und Lilia gibt ihr recht. "Wenn das so weitergeht, ist die Welt ein großer Müllhaufen". In der Schule lernten sie gerade, Müll richtig zu trennen, erzählt die Achtjährige weiter. Ihr sei es wichtig, dass der Pausenhof sauber sei. Also sammele sie auch da schon Müll ein. Drei große Müllsäcke sind an diesem Samstag im Nu voll. Auch die andere Gruppe sammelt ordentlich. Kurioses? Eine Suppenkelle. Irgendwo am Schwabinger Bach.

Auf dem Lastenrad von Mitinitiator Markus Mitterer sind Kartons, in denen der Müll getrennt werden kann. (Foto: Stephan Rumpf)

Markus Mitterer, Mitbegründer von Rehab Rebublic, trägt Lederhose. Passend zum ersten Wiesn-Samstag. Der 38-Jährige schwingt sich auf sein großes Lastenfahrrad mit Musikbox und vielen Kartons zur Mülltrennung. "Wir wollen mit dieser Aktion einfach motivieren, Abfall wahrzunehmen", sagt er. Es gehe auch darum, dass sich die Menschen in der Stadt mehr um ihre eigene Umgebung, ihr eigenes Viertel kümmerten.

Die Gruppe, die ihm folgt, ist groß. Insgesamt sind schätzungsweise 80 Leute ins Olympiadorf gekommen, um in Milbertshofen Müll zu sammeln. Mit großen Holz-Pinzetten, Greifzangen, Tüten und kleinen Blumentöpfen aus Plastik für Kronkorken oder Zigarettenstummeln ausgerüstet, geht es los. Die Stimmung ist gut. Mit Musik mache es mehr Spaß, sagt ein junger Mann und hält den Blick nur noch auf den Boden gerichtet.

Eine Handvoll Kippen: Ein Stummel kann bis zu 1000 Liter Wasser mit Nikotin verunreinigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Maya Kolls, 40, hat die ganz Hand voller Kippen. "Wer das einmal einsammelt", sagt sie, "wirft keine Zigarettenstummel mehr weg." Sie findet, dass man das Müllproblem nicht allein der Stadt überlassen könne. Eine Studie besage, dass schon eine Kippe bis zu 1000 Liter Wasser mit Nikotin verunreinigen könne, sagt Mitterer. Deshalb hat er einen Plastik-Behälter als Art Mess-Säule auf dem Lastenrad. Das höchste Maß sind 6000 Kippen. Ob sie den Messbecher voll bekommen? Alle werfen die gesammelten Kippen hier hinein. Nach einer Stunde sind es immerhin schon mehr als 1000.

Shagufa Haidary wohnt in Milbertshofen und kommt aus Afghanistan. Auch sie sammelt Müll in ihrem Stadtviertel ein. (Foto: Stephan Rumpf)

Sich als Bürger einbringen - das ist für viele der Grund zum Mitmachen. Ob sie etwas gewinnen oder nicht. Denn natürlich gilt: keine Weltmeisterschaft ohne Preis. Einen Kreislaufschrank inklusive Einweihungsfest mit Live-Musik und Freigetränken kann das beste Team gewinnen. Der erste Münchner Müllmeister wird am Dienstag via Zoom in fünf Kategorien ermittelt. In welchem Stadtviertel haben die meisten mitgemacht? Wer hat die meisten 60-Liter-Säcke gesammelt? Der kurioseste Fund, das schwerste Einzelstück werden auch bewertet. Und: Wer die meisten Kippen gesammelt hat.

Ein Stadtviertel liegt da am Samstagabend schon gut im Rennen. Giesing hat am Bahnhofsplatz vier Kilo Kippen gesammelt. Und 20 000 Kronkorken. Das entspricht 40 Kilo. Was den schwersten Fund betrifft, könnten am Ende auch die 27 Kilo schweren Gleisanschlusskästen aus Giesing rekordverdächtig sein. Beim kuriosesten Fund dagegen, hat Riem große Chancen: Eingesammelt wurde eine silberne Zahnkrone.

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