Monacensia:Alleine macht das keine

Frauen und Erinnerungskultur: Das Literaturarchiv Monacensia rief vor kurzem zur Blogparade #femaleheritage auf - wir stellen einige der dabei gewürdigten Schriftstellerinnen und Künstlerinnen vor und ergänzen die Auswahl.

Von SZ-Autorinnen

Comiczeichnerin Illi Anna Heger

#femaleheritage

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(Foto: Illi Anna Heger)

"Alleine macht das keine", hat die Münchner Comiczeichnerin Illi Anna Heger über ihren Beitrag für den Blog #femaleheritage geschrieben. Sie beschäftigt sich darin in Text und Bild mit Frauen wie der Schriftstellerin Erika Mann und der Schauspielerin Therese Giehse, die eine intensive Arbeits- wie Liebesbeziehung verband. Alleine macht das keine - das könnte man aber auch gut als Titel über das Projekt #femaleheritage der Monacensia insgesamt setzen: Unzählige Frauen haben seit November in einer Blogparade das Werk unzähliger anderer Frauen gewürdigt. Ein unerwartet großer Erfolg für das Experiment der Monacensia - und nur der Beginn eines auf fünf Jahre angelegten Forschungsprojekts. "Was fällt Euch spontan zu Frauen und Erinnerungskultur ein? An welche prägenden Frauen erinnert Ihr Euch? Welche weibliche Persönlichkeit ist vergessen und sollte Eurer Meinung nach wieder aktiv erinnert werden?" Mit diesen Fragen rief die Kulturwissenschaftlerin Tanja Praske im November für die Monacensia zum Bloggen auf. Klickt man sich heute durch die 158 bis Anfang Dezember eingestellten Beiträge und die bisher 41 Nachträge, so stößt man auf die unterschiedlichsten Privatpersonen und Institutionen. Das Spektrum der von ihnen gewürdigten Frauen reicht von Therese von Bayern bis zu den Frauenrechtlerinnen Emma Haushofer-Merck oder Anita Augspurg. Dass die vielseitige Erika Mann dabei ist, von der Monacensia zuletzt in einer Ausstellung unter den Aspekten "Kabarettistin, Kriegsreporterin, Politische Rednerin" gewürdigt, versteht sich von selbst. Auch während des Nationalsozialismus verfolgte und heute weitgehend vergessene Schriftstellerinnen wie Elisabeth Castonier oder Carry Brachvogel finden sich auf der Liste - oder die Journalistin Jella Lepman, die mit der Gründung der Internationalen Jugendbibliothek den Kindern nach dem Krieg neue Werte vermitteln wollte. Doch nicht nur einstige, auch lebende Schriftstellerinnen wie die Lyrikerin Dagmar Nick werden in den Beiträgen gewürdigt. Und da die Blogparade (zu finden unter anderem unter blog.muenchner-stadtbibliothek.de) nur der Anfang eines groß angelegten Projekts ist, ergänzen wir die Auswahl auf unseren Seiten noch um die eine oder andere wichtige Kulturschaffende, die jede Ehre verdient hat. Die Monacensia will weiterhin neue Wege erproben, um das kollektive Gedächtnis zu stärken: Nach der Blogparade entstehen in diesem Jahr mit Unterstützung der Otto-Beisheim-Stiftung zunächst Dokumentarfilme über vier Münchner Autorinnen. Die Regisseurin Christiane Huber und der Filmemacher Sven Zellner haben sich Dagmar Nick, Asta Scheib, Amelie Fried und Dana von Suffrin angenähert; von März an sollen die Filme auf der Webseite der Münchner Stadtbibliothek zu sehen sein. Außerdem soll anlässlich des Festjahrs "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" ein digitales Dossier über jüdische Schriftstellerinnen in München entstehen. Eigens in Auftrag gegebene Texte von Wissenschaftlerinnen und Autorinnen werden ebenso dazu gehören wie Veranstaltungen in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum. Dabei sollen Comiczeichnerinnen wie Nino Paula Bulling oder Barbara Yelin eingebunden werden, dazu Zeitzeuginnen wie Charlotte Knobloch und Gertraud Burkert. Alleine schafft so etwas eben keine.

Mäzenin Ursula Haeusgen

Im Grunde wäre sie lieber Gedicht gewesen

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(Foto: Catherina Hess)

Dass Lyriker aus aller Welt für eine gemeinsame Traueranzeige sammeln, kommt nicht alle Tage vor. Doch als Ursula Haeusgen vor wenigen Wochen starb, war die Bestürzung in der Szene groß. "Wir trauern um eine große Förderin der Lyrik", hieß es in der Anzeige, die von unzählbar vielen Kulturschaffenden unterschrieben war. "Wir alle haben ihr viel zu verdanken." Das kann man nicht anders sagen. Wohl niemand, weit über die Grenzen Münchens und Deutschlands hinaus, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so um die Lyrik verdient gemacht wie Ursula Haeusgen (1942-2021). Dabei war sie selbst keine Lyrikerin, sondern gelernte Kauffrau. Sie war, viel wichtiger, eine große Leserin; den Titel einer großen Anthologie, die ihr 2019 gewidmet wurde, könnte man wohl auch auf sie selbst münzen: "Im Grunde wäre ich lieber Gedicht". Da Ursula Haeusgen nicht Gedicht werden konnte, wurde sie Mäzenin. Sie hatte das Glück, eine Firma zu erben und damit viel Geld, und sie versenkte es nicht in Aktien oder anderem Unfug - sondern in Lyrikbänden und Künstlerbüchern. 1989 begann ihr Engagement mit einer Buchhandlung, später gründete sie einen Verein und noch später eine Stiftung, um ihre Lyrik Bibliothek auf- und auszubauen. Dieser Bibliothek - inzwischen die zweitgrößte dieser Art in Europa mit derzeit 65 000 Gedichtbänden und weiteren Medien - ließ sie in München sogar ein eigenes Haus errichten: In einem Hinterhof entstand ein moderner Kubus, voll fein-skurriler Kunstwerke, denn einen guten Geschmack hatte sie auch in Sachen Kunst, nebenbei. Das Lyrik Kabinett hat über die Jahre in Lesungen mit so gut wie allen bedeutenden Lyrikerinnen und Lyrikern internationale Strahlkraft entwickelt. Dieses Haus wird bleiben; die Strahlkraft sicher ebenfalls. Und auch wenn die Blogparade der Monacensia auf Haeusgen bisher nicht aufmerksam wurde: Sie gehört in der Riege bedeutender Münchnerinnen in die erste Reihe. Ach was, würde sie nun abwiegeln, peinlich berührt. Und sich lieber wieder zurückziehen, ins Gedicht.

Schriftstellerin Elisabeth Castonier

Odyssee mit Glanz und Schatten

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(Foto: Theresa Höpfl)

"Ich bereue nichts", schreibt Elisabeth Castonier am Ende ihres Buches "Stürmisch bis heiter", "vielleicht nur, diese oder jene Torheit nicht begangen zu haben, denn Torheiten und Irrtümer sind die Würze des Lebens." Dass die 1894 in Dresden geborene Schriftstellerin diese Würze durchaus gekostet hat, lässt sich in ihren 1964 erschienen Erinnerungen nachlesen. "Stürmisch bis heiter" wurde damals zum Bestseller. Witzig, pointiert, Großes oft beiläufig erwähnend erzählt Castonier - an die Theresa Höpfl im Monacensia-Blog erinnert - von ihrer Jugend in Berlin und München. In München erlebt sie den Ersten Weltkrieg und die Räterepublik. Als Kurt Eisner den Freistaat ausruft, steht sie eher zufällig auf der Theresienwiese. Nach dem Krieg reüssiert Castonier als Autorin, bis die Nazis an die Macht kommen und 1933 auch ihre Werke verbrennen. Castonier verfolgt dieses Verbrechen auf dem Berliner Opernplatz, "denn dergleichen sieht man nur einmal im Leben - und außerdem war es gut, Zeuge gewesen zu sein." Castonier emigriert, lebt lange in England, unter anderem als Landarbeiterin, bevor sie nach Deutschland zurückkehrt. Sie stirbt 1975 in München. In ihren Erinnerungen bezeichnet sie ihr Leben als "Odyssee" und fügt hinzu: "Ihr Glanz verscheucht die abendlichen Schatten." Von diesem Glanz zu erzählen, hat sie auf wunderbare Art verstanden.

Schauspielerin Hedwig Pringsheim

Ein Anfang der vielen Möglichkeiten

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(Foto: Rowohlt Verlag)

Wie ein Leben erzählen? Chronologisch oder rückwärts vom Tode zur Geburt? Hedwig Pringsheim (1855 - 1942) leidet gegen Ende an den Brutalitäten des Nationalsozialismus. Sie muss 1939 hoch betagt mit ihrem jüdischen Mann von München ins Exil in die Schweiz fliehen, nach vielen Demütigungen. Doch viel schöner ist es, wie alles angefangen hat im Dasein dieser außergewöhnlichen Frau, die klug war, Witz besaß, große Ausstrahlung und herrliche ökonomische Möglichkeiten. Den meisten ist sie, wenn überhaupt, als die Schwiegermutter von Thomas Mann bekannt. Doch an zeitgeschichtlichen Figuren ist ihre Familie noch reicher: Sie war die Tochter von Hedwig Dohm, die 1873 als eine der Ersten in Deutschland das Frauenstimmrecht forderte. Ihr Vater Ernst war ein nicht minder politisch denkender Mensch, er war der Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Kladderadatsch. Der Salon ihrer Eltern war Treffpunkt der kulturellen Elite Berlins, in dem Alexander von Humboldt, Hans und Cosima von Bülow und Franz Liszt ein und aus gingen. Kurz wagte Hedwig eine Karriere als Schauspielerin. In dieser Zeit lernte sie den Münchner Mathematikprofessor und Kunstmäzen Alfred Pringsheim kennen. Die beiden heirateten, hatten neben Katia, Thomas Manns späterer Frau, noch vier weitere Kinder. Im Palais Pringsheim, in der Arcisstraße 12, etablierte Hedwig den Mittelpunkt der Münchner Gesellschaft. Ihr Enkel Golo Mann beschrieb sie später als "femme du monde der bayrischen Kapitale". Inge und Walter Jens haben Hedwigs Leben 2005 in "Katias Mutter. Das außerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim" (Rowohlt) nachgezeichnet. Der Monacensia-Blog knüpft an eine Radiosendung zum Buch, herausgegeben von Dirk Heißerer, an: "Hedwig Pringsheim, Mein Nachrichtendienst, Briefe an Katia Mann 1933 - 1941" (Wallstein).

Zeichnerin Gabriella Rosenthal

Lebensoffen und ironiebegabt

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(Foto: privat)

Als Tochter, Emigrantin, Ehefrau, Mutter, Ex-Frau, Künstlerin zwischen Alltag und Politik, Soldatin, Lehrerin und Autorin wurde Gabriella Rosenthal anlässlich der ihr gewidmeten Ausstellung "Von der Isar nach Jerusalem" im Jüdischen Museum im vergangenen Jahr vorgestellt. Und tatsächlich: Die Lebensumstände, insbesondere die politischen Ereignisse der Dreißigerjahre und deren Folgen, haben der 1913 in München geborenen weltoffenen, gebildeten, mit Witz und Ironie begabten und offensichtlich lebenshungrigen Gabriella Rosenthal, Enkelin des bekannten Antiquars Jacques Rosenthal, viele Rollen zuerkannt. Sie selbst beschrieb sich in einem Brief an ihren Vater Erwin Rosenthal später als eine Frau mit lauter "schief eingehängten Dreiviertelbegabungen", die als "Großmutter" immer noch nicht wisse, worauf sie eigentlich hinaus wolle. Dabei hatte sie schon als Kind die Kunst und fremde Sprachen für sich entdeckt, hatte eine Kunstschule besucht und war für Studien nach Paris und Florenz gegangen. Mit ihrem Mann, dem Autor und Religionswissenschaftler Fritz Rosenthal, der unter dem Namen Schalom Ben-Chorin berühmt wurde, wanderte sie 1935 nach Jerusalem aus. 1936 wurde ihr Sohn Tovia Ben-Chorin geboren, 1943 die Ehe geschieden. Doch man blieb sich freundschaftlich verbunden. Gabriella Rosenthal arbeitete als Zeichnerin für verschiedene Zeitschriften. Nach der Scheidung diente sie einige Zeit in der Luftwaffe der britischen Armee in Kairo. Zurück in Jerusalem wurden die Jahre von 1946 bis 1947, in denen sie für die Palestine Post die Reihe der "Palestine People" zeichnete, ihre erfolgreichsten. Witzig-ironische Blicke auf die vom britischen Mandat regulierte junge jüdisch-zionistische Gesellschaft in Palästina waren das. Zeichnungen, die das Alltagsleben der aus allen Ecken der Welt eingewanderten Menschen zwischen Politik und Religion festhielten. Weltoffen wie sie war, arbeitete Gabriella Rosenthal später als Kunstlehrerin in arabischen Dörfern, begleitete als Reiseführerin ausländische Besuchergruppen durchs Land. Sie starb 1975. Ein Stück weit der Vergessenheit entrissen hat sie die Ausstellung im Jüdischen Museum und der Blog #femaleheritage.

Autorin Emerenz Meier

Das Naturtalent

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

"Radikal gesinnt war ich von Haus aus, wie du weißt, u. je mehr Einblick man gewinnt in das Weltgetriebe, desto radikaler-er-er wird man", schreibt Emerenz Meier 1923 an ihren Freund, den Schriftsteller Hans Carossa, der 1898, begeistert von ihrem literarischen Erstling, angereist kam, um das "Naturtalent" kennenzulernen. 17 Jahre lebte sie da schon in Amerika. Ein hartes Leben. Geboren wurde die "Wirtshaus-Senz" 1874 in Schiefweg. Vater Josef Meier ist nicht nur Bauer und Wirt, sondern handelt mit Vieh. Mehr als fünf Jahre Schule in Waldkirchen sind nicht drin für Emerenz. Verblüffend, wie sie es schafft, sich so viel Bildung anzueignen. Sie liest Schiller, Goethe, Euripides, Homer, Dante und Heine, verschlingt alles, was ihr in Waldkirchen unter die Hände kommt. Gedichte schreibt sie schon als Zehnjährige, erst im Verborgenen, weil die Eltern von der "narrischen Verslmacherei" nichts halten. Später, als die ersten Erzählungen gedruckt werden und Geld ins Haus bringen, schwenkt der Vater um. 19 Jahre ist Emerenz alt, als in der Wochenbeilage der Passauer Donau-Zeitung in rascher Abfolge ihre ersten acht Erzählungen erscheinen. 1896 folgt "Aus dem bayerischen Wald", ihr erstes und zu Lebzeiten einziges Buch. Ihr wachsender Bekanntheitsgrad als Autorin nutzt ihr wenig bei den Versuchen, sich finanziell freizuschwimmen. 1906 wandert sie mit ihrer Mutter nach Chicago aus. Fabrikarbeit, zwei Ehen, ein Sohn - ihre Gefühle Amerika gegenüber bleiben zwiespältig. 1928 stirbt sie. Ihre Heimat hat sie nie mehr wiedergesehen.

Lyrikerin Dagmar Nick

Wichtige Stimme der Gegenwart

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(Foto: Natalie Neomi Isser)

Keine Spur von Lebensüberdruss, sondern eine feine, gelassene Heiterkeit zeichnet Dagmar Nick aus. Als ihr erstes Gedicht publiziert wurde, war sie gerade 19 Jahre alt, den ersten Preis nahm sie mit 21 in Empfang. Dass sie zu den wichtigsten deutschsprachigen Lyrikerinnen nach 1945 zählt, neben Ingeborg Bachmann und Rose Ausländer genannt wird, nimmt die 94-Jährige mit bescheidenem Gleichmut hin. Sie sei eben ehrgeizlos, sagt sie. Geboren ist sie 1926 in Breslau. Ihr Vater Eduard Nick war Komponist und Dirigent, ihre Mutter Kaete Nick-Jaenicke Konzertsängerin und Jüdin. Die Nazis sorgten 1933 dafür, dass der Vater seine Stelle verlor, die Familie zog nach Berlin um. Ausbombung, Flucht nach Bayern und schwere Erkrankung bannte Dagmar Nick 1945 in ihre ersten Gedichte. "Ach, ich habe nichts mehr, kaum ein Leben, / nur noch Angst", schrieb sie - und "Onkel Erich Kästner", ein enger Freund des Vaters und in München Feuilletonchef der Neuen Zeitung, druckte das Gedicht "Flucht". Schnell avancierte Nick zu einer der wichtigsten lyrischen Stimmen. Sie unternahm nicht viel, um ihre Karriere zu beschleunigen. Zur Gruppe 47 ging sie trotz wiederholter Einladung nicht hin. Erfolg hatte sie trotzdem, vielleicht alles ein wenig leiser. Neben den Gedichten, die sie nur schreibt, wenn sie ein Ventil braucht, finden sich in ihrem Werk Hörspiele, poetisch präzise Reiseprosa über diverse Inseln oder drei Monologe, die sie Medea, Lilith und Penelope in den Mund gelegt hat. Und das jüdische Familienbuch "Eingefangene Schatten": 14 Generationen hat sie in der Familiengeschichte aufgearbeitet. Kein Wunder, dass Bloggerin Birgit Donhauser so richtig von der Dichterin schwärmt.

Schauspielerin Liesl Karlstadt

Das unentbehrliche "Fräulein"

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(Foto: Monacensia)

Lange stand Liesl Karlstadt im Schatten ihres Bühnenpartners Karl Valentin. Mit der Erkenntnis, eine kongeniale Ideenlieferantin und Mitautorin vor sich zu haben, taten sich die intellektuellen Großkritiker lange schwer. Ob "das Fräulein Karlstadt", wie Valentin sie beharrlich nannte, sich darüber freuen würde, dass sie der Förderverein "Die Saubande" in seinem Blog als "Sancho Pansa zum Don Quijote" bezeichnet, ist freilich auch nicht so ganz klar. Eigentlich hieß sie Elisabeth Wellano, geboren 1892 in der Maxvorstadt, Tochter einer armen Bäckersfamilie. Für ihren Berufswunsch Lehrerin reicht das Geld nicht, sie lernt Textilverkäuferin, geht abends zu den Volkssängern, tritt als Soubrette auf. Sie lernt Valentin kennen, er entdeckt ihr komisches Talent. 1913 treten sie zum ersten Mal gemeinsam in "Das Alpensängerterzett" auf. Schnell wird sie unentbehrlich für den verheirateten Valentin, ob als Darstellerin, Sekretärin, Regisseurin, Maskenbildnerin, Agentin, Geliebte oder Psychologin. Bald gastieren sie in allen bekannten Kabaretts von München, reisen nach Berlin und Wien, drehen Filme. Der Preis für die Partnerschaft ist hoch. Karlstadt funktioniert, bis sie nicht mehr kann: Am 6. April 1935 springt sie in die Isar, wird an der Prinzregentenbrücke aus dem Wasser gefischt. "Kummer" gibt die Polizeichronik als Grund an. Valentins Amouren, die Pleite seines Panoptikums, die Karlstadt um ihre Ersparnisse brachte - ihr Seelenzustand ist miserabel. In den nächsten Jahren folgen weitere Zusammenbrüche. Doch dann emanzipiert sie sich von Valentin, forciert erfolgreich ihre Solokarriere als Schauspielerin. Als sie 1960 unerwartet stirbt, trauert ganz München um sie.

Schriftstellerin Gisela Elsner

Pionierin mit grotesk geschärftem Blick

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(Foto: Monacensia)

Auch wenn ihr Debütroman "Die Riesenzwerge" 1964 mit dem Prix Formentor ausgezeichnet wurde, gerieten die Werke der Nürnberger Autorin Gisela Elsner von Mitte der Achtzigerjahre an zunehmend in Vergessenheit. Ihr Suizid im Jahr 1992, als sie sich mit einem Sprung aus dem Fenster einer Münchner Privatklinik das Leben nahm, sowie der Film Die Unberührbare (2000) ihres Sohnes Oskar Roehler, der auf der Biografie der Autorin basiert, lenkten zwar die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre Person. Eine Beschäftigung mit ihren Texten wurde allerdings erst durch die Neuedition ihrer Werke im Verbrecher Verlag seit 2002 wieder in Gang gesetzt. Mittlerweile gilt Elsner als Pionierin analytischer, nicht einfühlender Prosa von Frauen, wird für ihren scharfen Blick auf die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft und als unbequeme Intellektuelle geschätzt. Darüber hinaus brilliert sie im Fach der literarischen Groteske, etwa in der Erzählung "Der Knubbel", in der sie die entwürdigende Situation einer Frau beschreibt, die abtreiben will. "Nicht genug nämlich, dass sie sich eigens für die paar Minuten vor und nach der Untersuchung, diesmal gewillt, aufs Ganze zu gehen, wie sonst nur sonntags angezogen hatte: Frau Loos war auf Anraten ihres Mannes hin sogar eigens zum Friseur gegangen, um wenigstens für die beiden infrage kommenden Gefühlsregungen, aus denen heraus (...), von der Geldgier einmal abgesehen, der Votzenvölzner abtrieb: dem Mitleid und der Geilheit leidergottes, gewappnet zu sein." Begriffe wie "Frauenliteratur" und "weibliche Ästhetik" lehnte Elsner jedoch als geistige wie ästhetische Ghettoisierung ab: "Das ästhetische Verhältnis zur Welt (ist) bekanntlich nicht biologisch, sondern historisch bestimmt und durch die Interessen der jeweils herrschenden Klassen und Schichten bedingt."

Autorin Emma Haushofer-Merk

Die Netzwerkerin

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(Foto: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia)

Emma Haushofer-Merk (1854 bis 1925) war eine unglaublich selbständige Frau. Als sie ihren Freund Max Haushofer, Dichter und Professor der Nationalökonomie, 1902 heiratet, ist sie 48 Jahre alt und berühmt, hat Novellenbände und Romane veröffentlicht, Artikel für die Kult-Zeitschriften Jugend und Simplicissimus geschrieben. Sie engagiert sich, wie Ingvild Richardsen in ihrem Buch "Die Fraueninsel" (Volk Verlag) darstellt, seit Jahren für die Rechte der Frau, arbeitet im Vorstand eines 1894 gegründeten Vereins mit, der sich erst unverfänglich "Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau" nennt und sich später zum "Verein für Fraueninteressen und Frauenarbeit" wandelt. Interessant, dass die Gruppe auch Männer aufnahm, um von deren Netzwerken zu profitieren. 28 Männer zählt 1897 die Mitgliederliste auf, darunter Rainer Maria Rilke. Mit ihrer Freundin Carry Brachvogel gründet sie den ersten bayerischen Schriftstellerinnen-Verein. Zur ersten Sitzung 1913 erscheinen 68 Frauen, darunter Ricarda Huch und Annette Kolb. Die Forderung nach adäquater Bezahlung und Gleichberechtigung bei der Entlohnung, die sich in der Vereinssatzung findet, ist heute noch aktuell. Alle Mitglieder mussten sich übrigens verpflichten, ihre Arbeit nicht zu "Schleuderpreisen oder umsonst" abzugeben, "damit mit dem bei vielen Redaktionen herrschenden Vorurteil gebrochen werden kann, dass Frauenarbeit billiger entlohnt werden dürfe als Männerarbeit". Trotz all ihrer Verdienste ist Emma Haushofer-Merk, seinerzeit weit über die Grenzen Bayerns bekannt, heute fast vergessen.

Pazifistin Sarah Sonja Lerch

Die Revolutionärin

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(Foto: privat)

"Wegbereiterin des Freistaats" - das schreibt Teresa A. Winderl über ihren Blogbeitrag für #femaleheritage. Darin würdigt sie die Friedensaktivistin Sarah Sonja Lerch - und übertreibt deren Bedeutung keineswegs. Auch wenn Lerch nur "eine Randnotiz" der Geschichte gewesen sein mag, so hat diese Frau sich vor mehr als hundert Jahren tatsächlich um den Freistaat verdient gemacht - und dafür mit dem Leben bezahlt. Sarah Sonja Lerch, 1882 in Warschau in die jüdische Familie Rabinowitz geboren, war Sozialistin und Pazifistin. 1918 kämpfte sie an der Seite des späteren ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner in Versammlungen für Freiheit und Frieden. Die Streiks, die sie organisierten, brachten beide ins Gefängnis. Nur Eisner verließ es lebend; Lerch starb aus bis heute nicht restlos geklärten Umständen am 29. März 1918 in Stadelheim - im Alter von nur 35 Jahren. Daran, dass die Aktivistin nicht mehr so vergessen ist wie noch vor einigen Jahren, hat die Autorin Cornelia Naumann maßgeblichen Anteil: Im Roman "Der Abend kommt so schnell" (Gmeiner Verlag, 2018) verarbeitete sie das Leben und Wirken der Revolutionärin; sie kuratierte auch eine Ausstellung über Lerch mit. Und immerhin ist seit 2019 eine kleine Straße in Neuperlach nach der mutigen Frau benannt, für die der Abend viel zu schnell kam.

© SZ vom 18.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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