Kolumne:Ab ins Funkloch!

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Einfach so das Handy abschalten geht ja auch nicht, sonst wartet der gesellschaftliche Rand. (Foto: dpa)

Die Smartphone-Gesellschaft ist gespalten in Könner und Neandertaler. Letzteren hilft nur eins: kein Empfang.

Glosse von Wolfgang Görl

In Unterfranken müsste man wohnen. Oder im Bayerischen Wald. Nicht weil es da billiger ist, was sind schon ein paar hundert Euro mehr gegen das Privileg, in einem exklusiven Münchner Mausloch zu residieren? Nein, es ist wegen der Funklöcher. In Unterfranken und im Bayerischen Wald gibt es viele Funklöcher, und wer Glück hat, kriegt dort eine Wohnung, in der er zu keiner Stunde auf dem Handy erreichbar ist. Ein größerer Luxus ist kaum denkbar, dafür würde selbst ein Münchner die Schmach in Kauf nehmen, als Franke zu gelten. Zwar will die Bundesregierung eine Milliarde lockermachen, um die Mobilfunklöcher zu stopfen, aber keine Panik: Das soll der Verkehrsminister Scheuer machen, der mit der Maut. Dies wird also nix, die Bayerwäldler und Unterfranken können ganz beruhigt sein.

München hingegen ist eine Mobilfunkhochburg, da müsste man schon in ein tiefes Bohrloch springen, um vor den Übergriffen der Telekommunikation sicher zu sein. Gott ja, das klingt ein wenig kulturpessimistisch, aber die Sache duldet keine Schönfärberei: So wie Trump die USA spaltet, spaltet das Handy die Münchner Gesellschaft. Der Graben verläuft dabei nicht zwischen Handybesitzern und Handylosen. Das war früher mal. Heute hat jeder zivilisierte Mensch ein Smartphone, die wenigen, die keines haben, werden therapeutisch betreut und stehen als Sonderlinge unter polizeilicher Beobachtung. Mittlerweile hockt der Spaltpilz in der Mobiltelefon-Gemeinde selbst, wo sich sogenannte Digital Natives, die bereits als Säuglinge mit ihrem Smartphone die Rechner des Pentagons knackten, und jene bedauernswerten Tröpfe gegenüberstehen, die das Handy als Teufelszeug betrachten und es nur nutzen, um der gesellschaftlichen Ächtung zu entgehen.

Tatsächlich sind die Dinger ja auch Teufelszeug, sonst würden keine Stimmen rauskommen von Leuten, die ganz woanders sind. Jedenfalls sind sie unheimlich und außerdem schwer zu bedienen. Erst neulich ist ein digitaler Neandertaler zum Gespött einer Kindergartengruppe geworden, weil er mit dem Zeigefinger eine Whatsapp-Botschaft in sein Smartphone tippte, anstatt beide Daumen zu benutzen, wie das von der Schöpfung vorgesehen ist. Die Bengel und Bengelinnen lachten sich einen Ast und verglichen den Fingertipper mit einem Orang-Utan, der Ameisen zerdrückt.

Solche Vorfälle treiben einen Keil ins schöne München. Was soll aus einem Gemeinwesen werden, wenn gebildete Menschen, die sogar das MVV-Tarifsystem verstehen, nur deshalb verlacht werden, weil sie mit ihren Daumen keine 30 Anschläge pro Sekunde schaffen? Derartige Verwerfungen gibt es in Funklochregionen nicht. Und umgekehrt muss man sagen: Überall, wo ein Funkloch gestopft wird, geht es den Bewohnern genauso wie den Urvölkern im Regenwald, die von der Zivilisation aufgestöbert werden: Die Ruh' ist hin, fortan herrschen Konsumpflicht und Konzerne. Ein Zurück in die verlorene Unschuld gibt es nicht, aber eines könnte München machen: ein gemütliches Funkloch bauen, auf dessen Grund die daumenschwachen Grobmotoriker ungestört Ameisen zerdrücken können.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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