Kritik:Versperrte Aussicht

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Kein Ausweg, nirgends: Judith Toth und Thomas Meinhardt in "4.48 Psychose". (Foto: Jean-Marc Turmes/Metropoltheater)

Jochen Schölch inszeniert Sarah Kanes letztes Drama "4.48 Psychose" als einen Abend über die Ausweglosigkeit.

Von Yvonne Poppek, München

"Schwarzer Schnee fällt", heißt es zum Ende von Sarah Kanes "4.48 Psychose". "Sieh mich verschwinden", geht es ein paar Zeilen später weiter, "wem ich nie begegnete, das bin ich, sie mit dem Gesicht / eingenäht in den Saum meines Bewusstseins / bitte öffnet den Vorhang." Die letzten Worte vor dem Suizid, diese Lesart drängt sich auf. "4.48 Psychose" ist ja auch nicht irgendein Werk von Kane. Es ist ihr letztes, dessen Uraufführung sie nicht mehr erlebte. Die britische Autorin litt an depressiven Schüben, sie beging am 20. Februar 1999 Suizid.

Im Metropoltheater sieht man am Ende des Abends ein paar schwarze Flocken auf Judith Toth rieseln. Mit ausgebreiteten Armen steht sie auf einer kleinen runden Plattform, die sich fortwährend dreht. Ihr Gesicht reckt sie einem Bündel Scheinwerfer entgegen, der "Luke", wie es im Text heißt, "starres Licht". Zuvor hat sie eine Handvoll bunter Kapseln, die aussehen wie die angekündigte tödliche Dosis Tabletten, in ihren Mund geschoben. Regisseur Jochen Schölch lässt keinen Zweifel zu: Diese Figur bringt sich nach etwa eineinviertel Stunden Ringen mit sich, der Welt, der Depression, der Verzweiflung um.

Dass die Situation aussichtslos ist, manifestiert sich schon im Bühnenbild, das Schölch zusammen mit Thomas Flach entworfen hat. Die kleine Spielfläche ist auf zwei Seiten von Publikum gesäumt. Judith Toth in der Mitte ist eingekesselt von durchsichtigen Plastikwänden. Das ist die Manege, in der sie mit sich kämpft, überzeugend auf dem schmalen Grad zwischen Kontrolle und Kontrollverlust balanciert, und in die Thomas Meinhardt abwechselnd als Arzt, Alter Ego und verzerrte Lichtfigur mit "Schweigen der Lämmer"-Anleihen eindringt. Den psychotischen Effekt dieser Landschaft verschärft der Ton: Die Stimmen kommen teils vom Band, gehören nicht zum Körper, spiegeln einen verwirrten Geist.

Kane hat in ihrem Drama keine Vorgaben gemacht, keine Rollen definiert, keinen Ort. Schölch hat "4.48 Psychose" nun konsequent pathologisch gedeutet. Er illustriert den Text ohne Brüche. So ist ein Abend über die Ausweglosigkeit entstanden. Nicht mehr, nicht weniger.

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